Bei einer Kundgebung zum Gedenken an die Ogoni 9 vor einer Shell-Tankstelle in Berlin-Kreuzberg hielt Olusegun David Agbede am 10. November eine eindrucksvolle Rede. Der Sohn einer Deutschen und eines Nigerianers hat acht Jahre in Nigeria gelebt und lebt jetzt in Berlin, wo er als Sozialbetreuer in einer Unterkunft für Geflüchtete arbeitet.
Rede zum Gedenken an die Ogoni 9
Wir sind heute hier, um der Ermordung der Ogoni 9 zu gedenken. Diese wurden genau heute vor 27 Jahren durch das nigerianische Regime und im Auftrag von Shell hingerichtet. Am 10. November 1995 wurde Ken Saro-Wiwa zusammen mit acht weiteren Angeklagten nach einem neunmonatigen Schauprozess erhängt.
Die Ogoni 9, das waren Ken Saro-Wiwa, Saturday Dobee, Nordu Eawo, Daniel Gbooko, Paul Levera, Felix Nuate, Baribor Bera, Barinem Kiobel und John Kpuine. Für ihre friedliche Kampagne gegen Shell haben sie dieses Schicksal teilen müssen.
Ken Saro-Wiwa, der unter anderem Bürgerrechtler, Umweltschützer, Schriftsteller, Politiker und Minister war, war auch Träger des alternativen Nobelpreises 1994 und repräsentierte wie kein anderer die Ogoni-Bewegung. Die Ogoni sind eine Volksgruppe im Nigerdelta im heutigen Nigeria, in dem Erdöl gefördert wird. Ken Saro-Wiwa wurde 1941 in der Ogonistadt Bori als Kenule Saro-Wiwa geboren. Er erhielt als einer der wenigen Ogoni dieser Zeit eine gute Schul- und Universitätsausbildung und besetzte schon als junger Mann wichtige administrative und politische Positionen.
Unterstützt wurde Ken Saro-Wiwa durch die damalige nigerianische Bundesregierung, unter anderem von General Yakubu Gowon, der ihm auch half, während der Zeit des Bürgerkriegs in den 1960er und 1970er Jahren die Einheit des Landes zu bewahren. Das Schicksal sollte es aber anders meinen, denn ein paar Jahre später wurde Ken Saro-Wiwa mit den Ogoni 9 in Gefangenschaft gebracht, gefoltert und hingerichtet.
Viele bewaffnete Konflikte, Menschenrechtsverletzungen, politische Instabilität, Diskriminierung, Armut sowie die Folgen des Klimawandels und von Naturkatastrophen werden oft als Fluchtursachen genannt. Aber es gibt auch den Ökozid, die Zerstörung von Lebensgrundlagen durch die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen und die Subventionspolitik der Industrieländer des Globalen Nordens. In vielen Regionen Afrikas werden die Ökosysteme systematisch zerstört, um die Gewinne zu maximieren und den Wohlstand der Länder des Globalen Nordens zu sichern und auszubauen. Die friedliche Nutzung durch die Menschen vor Ort, die dort leben, ist fast unmöglich geworden.
Das Leben in den meisten rohstoffreichen Regionen ist unerträglich geworden, so dass viele Menschen verzweifelt ihre Heimat verlassen und früher oder später dann auch vor den Toren Europas, also auch hier bei uns in Deutschland, um Asyl bitten. Das Leben dieser Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, wird dadurch nicht einfacher. Keine:r verlässt gerne seine Habe, seine Heimat, seine Familie, seine Gemeinschaft. Doch diese Menschen werden von der Weltengemeinschaft nicht als Geflüchtete anerkannt oder werden als „Geflüchtete zweiter Klasse“, als „Wirtschaftsflüchtlinge“ abgetan.
Das Gebiet, das von der besagten Umweltverschmutzung und von dem Ökozid in Nigeria betroffen ist, erstreckt sich über 70.000 Quadratkilometer. Das kann man sich nicht einmal vorstellen: 70.000 Quadratkilometer. 22 Millionen Menschen sind davon betroffen, das sind ungefähr fünf bis sechs Mal die Bewohner:innen Berlins.
Umweltzerstörung und die Zerstörung von Lebensgrundlagen in Afrika sind nicht neu. Neu ist aber, dass viele Expert:innen den Ökozid angesichts seiner verheerenden Folgen als Grund für Flucht und für Migration ansehen. Diejenigen, die fliehen, sind jedoch nicht durch die Genfer Flüchtlingskonvention geschützt, sondern werden meist als „Wirtschaftsflüchtlinge“ diffamiert, während die Folgen krimineller wirtschaftlicher Aktivitäten von Unternehmen des Globalen Nordens verschleiert werden.
Die Armut im ölreichen Nigerdelta in Nigeria ist zum Beispiel eine direkte Folge eines Ökozids. Die Ölförderung begann 1958 und versprach der Bevölkerung, die Grundlage zukünftigen Reichtums zu sein. Doch der angekündigte Segen verwandelte sich in einen Fluch.
Unser Öl, euer Wohlstand. Unser Tod, unsere Auslöschung. Der Slogan ist in der Region allgegenwärtig. Nigeria ist mit rund 170 Millionen Einwohner:innen das bevölkerungsreichste Land Afrikas und eine der größten „Ölnationen“ der afrikanischen Staaten. Mit zweieinhalb Millionen Barrel pro Tag ist das Land der größte Ölexporteur in Afrika und der sechstgrößte der Welt. Für die Ölförderung ist die Shell Petroleum Development Company, ein Joint Venture zwischen Royal Dutch Shell und dem nigerianischen Staat zuständig. Die eigentliche Förderung wird jedoch von mehreren Ölgesellschaften wie der Royal Dutch Shell, Exxon Mobile, Chevron Texaco und ENI/Agip durchgeführt.
In den letzten fünfzig Jahren ereigneten sich im Nigerdelta fast 7.000 Ölunfälle. Ich glaube, in Deutschland haben wir von keinem einzigen durch die Medien erfahren, ich zumindest nicht. Mehrere Milliarden Liter ausgelaufenen Öls haben das ehemalige Naturparadies in eine Hölle auf Erden verwandelt. Das Gebiet ist das drittgrößte Wasserreservoir Afrikas, aber sowohl der Boden als auch das Wasser sind extrem verseucht, wobei der Boden bis fünf Meter tief beschädigt ist. Stillgelegte Bohrinseln und die illegale Umleitung von Öl sind weitere Ursachen für die Ölverschmutzung. Das Grundwasser ist so stark kontaminiert, dass selbst die Weltgesundheitsorganisation eine extrem hohe Kohlenwasserstoff-Konzentration mit mehr als 900 Mal höheren Werten als nach dem internationalen Standard zulässig sind und 1000 Mal höhere Werte als die vom nigerianischen Staat selbst festgelegten Grenzwerte feststellte.
Jedes Jahr werden durch die Verbrennung von Gas mehr als 400 Millionen Tonnen CO2 in die Atmosphäre freigesetzt. Nach Angaben der WHO ist die Luftverschmutzung extrem gesundheitsschädigend, sie ist eine der Hauptursachen für Krebserkrankungen in der Welt und extrem intensiv vor Ort in Nigeria.
Dazu kommt aktuell: Vor ca. drei Wochen hat sich ebenfalls im besagten Nigerdelta eine Flutkatastrophe biblischen Ausmaßes ereignet, wodurch sich die Verschmutzung auf 33 von 36 Bundesstaaten des Landes ausgeweitet hat. Der Schaden kann aktuell noch nicht einmal abgeschätzt werden, denn dafür muss das ganze Wasser erst mal wieder abfließen und gereinigt werden. Die betroffene Fläche dient als Lebensgrundlage für 22 Millionen Menschen, und durch die aktuelle Flutkatastrophe vergrößert sich diese auf eine Fläche unbekannten Ausmaßes.
Der Großteil nigerianischer Geflüchteter - ca. 70 % - sind aus den besagten Gebieten der Ogoni, dennoch werden sie hier nicht anerkannt und haben keinen Geflüchtetenstatus, können somit also davon ausgehen, dass ihr Asylantrag abgelehnt wird.
Wir fordern von Shell Wiedergutmachung, also die Bereinigung des Schadens. Dass Shell seit 30 Jahren immer noch unkontrolliert Öl aus offenen Ölquellen heraus pumpt, ist mit den aktuellen Klimazielen der Weltengemeinschaft nicht vereinbar. Wir fordern Shell damit auf, seinen Beitrag zu leisten und das zu tun, was der Konzern versprochen hat und nicht einfach weiterzumachen wie bisher.
No clean up, no justice. No justice, no peace.
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit.
Vielen Dank an Peter Donatus für seine freundliche Genehmigung zur Verwendung seines Artikels.
Quellen: