Heute stand Basti in Berlin vor Gericht. Der promovierte Geowissenschaftler war angeklagt, weil er sich vor fast genau zwei Jahren - am 5. Oktober 2020 - an das Bundesverkehrsministerium angekettet hatte. Die Richterin des Amtsgerichts Tiergarten wollte in ihrem Urteil einen "rechtfertigenden Notstand" nicht anerkennen und verurteilte den Klimaaktivisten zu 70 Tagessätzen.
Wir dokumentieren Bastis eindrucksvolles Statement, das er bei der Verhandlung vorgetragen hat.
Ich werde nicht tatenlos zuschauen
Stellungnahme eines Angeklagten
In meinem Leben sind mir die katastrophalen Folgen der Klimakrise direkt und indirekt immer wieder vor Augen geführt worden. Meine enge Bindung zur Natur hat sich durch mein bisheriges Leben gezogen.
Ich bin in einem dörflichen Teil Hamburgs aufgewachsen, habe mich viel draußen aufgehalten und wurde von meinen Eltern zu einem Leben mit der Natur erzogen. Mein Vater ist Gärtner; meine Eltern haben einen großen Garten mit vielen Obstbäumen. In meiner Kindheit habe ich dort oft Gemüse angebaut und mich um Teile des Gartens gekümmert. Später habe ich auf dem Hof meines Onkels sowie in der Gärtnerei meines Cousins geholfen und viel Zeit mit Tieren sowie dem Anbau von Pflanzen verbracht.
Während meines Studiums habe ich mich in der Flüchtlingshilfe engagiert und Freundschaften mit geflüchteten Menschen aufgebaut. Mir geht es auch heute noch nahe, dass Menschen aufgrund von Hungersnöten, Kriegen und Naturkatastrophen, auch ausgelöst durch die Klimakrise, ohne ihre Familie aus ihrem Heimatland fliehen.
Nach der Schulzeit habe ich ein Studium der Geowissenschaften begonnen. Während des Bachelor-Studiums wurden mir die Konsequenzen des Nicht-Handelns unserer Regierung regelmäßig vor Augen geführt: Die Lehre der Erdwissenschaften und das Verstehen von Zusammenhängen im globalen Erd-System hat mir einen vertieften Einblick in die Hintergründe der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen verschafft.
Im Master-Studium konnte ich sehen, welche katastrophalen globalen Folgen die Degradierung der Böden durch die immer schneller fortschreitende Ökokrise nach sich zog. Neben dem Verlust von Böden durch Wind- und Wassererosion kommt es insbesondere durch die massive und anhaltende Bodenversiegelung zu dramatischen Verlusten von wertvollstem Boden. Im Jahr 2020 wurden immer noch 58 ha pro Jahr in Deutschland, hauptsächlich durch den Bau von Verkehrsflächen, versiegelt. Damit wurden die Ziele der Bundesregierung massiv verfehlt (30 ha pro Jahr).
Nach dem Abschluss des Masters bin ich für neun Monate auf die Philippinen gereist. Die Philippinen sind weltweit mit am stärksten von der Klimakatastrophe betroffen. Dort habe ich neben der Forschung an Flusssedimenten direkte Folgen der Klimakatastrophe gespürt. Am meisten bewegte mich das Leid von Millionen unschuldigen Menschen in der Hauptstadt Manila, die täglich den Folgen der Klimakrise ausgesetzt sind: Immer mehr tödliche Taifune, extreme Überflutungen, Meeresspiegelanstieg, Hitzetote. Die Stimmen dieser Menschen finden im Globalen Norden kein Gehör. Diese Menschen sind den Konsequenzen der fatalen Klimapolitik des Globalen Nordens schutzlos ausgeliefert.
Nach meinem Philippinen-Aufenthalt habe ich dennoch meine Promotion an der TU Delft in den Niederlanden begonnen, wo ich Kohlenstoff-Flüsse in Hafensedimenten untersuchte. Die dafür notwendigen Gas-Messungen führten mir immer wieder den Anstieg des Luft-CO2-Gehaltes vor Augen. Ich habe mir in der Zeit als Doktorand weitere wissenschaftliche Kenntnisse zur Klimakatastrophe angeeignet, so dass mir das Versagen der Klimapolitik immer klarer wurde.
Während meiner Promotion habe ich Petitionen unterschrieben, an Demonstrationen von FridaysForFuture, StudentsForFuture sowie ScientistsForFuture teilgenommen. Eine 14-tägige Fahrradtour durch Deutschland mit den StudentsForFuture hat mir den Kontakt zu lokalen Politiker:innen, Forscher:innen, Landwirt:innen und NGOs ermöglicht. Dabei wurde mir klar: Viele Menschen sind bereit für große Veränderung. Das Engagement auf lokaler Ebene wird allerdings oft durch eine profitorientierte Klimapolitik auf bundesweiter und europäischer Ebene blockiert. Außerdem hatte ich während meiner Promotion direkten Kontakt zu Menschen aus dem Globalen Süden, beispielsweise zu einer Aktivistin aus Indonesien. Es bewegt mich sehr, dass es in Indonesien alltäglich ist, dass jährlich Millionen Menschen umgesiedelt werden – wegen der Klimakrise, die von Ländern des Globalen Nordens verschuldet ist.
Basierend auf all diesen Erkenntnissen habe ich mich am 5. Oktober 2020 entschlossen, mich vor dem Verkehrsministerium an ein Tor anzuschließen, um meiner Verzweiflung sowie der Dringlichkeit der klimapolitischen Lage größtmöglichen Ausdruck zu verleihen.
Das Bundesverkehrsministerium konnte von allen Ministerien die geringsten Erfolge bei der CO2-Einsparung vorweisen. Trotz Abgasskandal und der Schädigung von 800.000 Autofahrer:innen wurden dem VW-Konzern, auch durch das Verkehrsministerium, mindestens zwei Milliarden Euro erspart. Weiter werden die Folgen der andauernden Bodenversiegelung durch den Ausbau von Autobahnen und Fernstraßen nicht kommuniziert, sondern jahrzehntealte Bauprojekte (A49, A26) ohne zu hinterfragen umgesetzt.
Seit meiner Aktion bei dem Verkehrsministerium sind zahlreiche weitere Katastrophen passiert sowie weitere politische Fehlentscheidungen getroffen worden. Aktuell sind Dutzende Millionen Menschen in Pakistan auf der Flucht, verursacht durch eine Flut, die nur durch die Klimakrise dieses Ausmaß erreichen konnte. Deutschland hat seit 1850 am viertmeisten CO2 ausgestoßen, steht daher in einer großen Verantwortung, globale Ungerechtigkeiten abzubauen, kommt dieser aber nicht nach.
Auch in Deutschland sehen wir die Folgen der Klimakrise immer stärker: Dürrejahre seit 2018, ausgetrocknete Böden, weniger Grundwasser, verdorrte Äcker. Im Garten meiner Eltern sind seit dem Dürrejahr 2018 immer mehr Bäume vertrocknet. Dieses Jahr hatten die Äpfel „Sonnenbrand“: Durch Sonneneinstrahlung bei über 47 Grad kann sich der Apfel nicht mehr gegen die Hitze schützen und die Schale wird schwarz. Was sich harmlos anhört, ist der Beginn von Krisen, die uns alle erreichen werden: Lebensmittelknappheit, Energiekrise, Versagen unserer Sozialsysteme, Flucht etc.
Die Wissenschaft steht mir zur Seite. Wissenschaftler:innen aus aller Welt nutzen bereits den zivilen Ungehorsam, weil ihr jahrzehntelanges Warnen nicht erhört wurde. Auch ich bin Wissenschaftler. Ich weiß, wie lange es dauert, bis Menschen zu fundiert ausgearbeiteten Ergebnissen gelangen. Seit den 1980er Jahren wird immer stärker auf die sich anbahnende Katastrophe hingewiesen. Es wurden alternative Lebens- und Wirtschaftsformen aufgezeigt, aber dennoch wird die Krise nicht angemessen angegangen – als hätten wir noch Jahre Zeit zum Handeln. Ich konnte und kann es nicht hinnehmen, dass unsere Regierung auf diesem Notstand nicht angemessen reagiert.
Es gibt so viele Hinweise auf eine katastrophale Zukunft, besonders relevant ist das für die nachfolgenden Generationen. Ich habe Groß-Cousins, die gerade zur Schule gehen: Wie kann ich ihnen in einer zwei bis drei Grad heißeren Welt noch in die Augen schauen, wenn ich heute nicht alle Möglichkeiten ausschöpfe gegen diese Ungerechtigkeiten vorzugehen? Können Sie ihren Kindern und Enkeln in die Augen schauen? Können Sie sagen, dass Sie alles in ihrer Macht stehende getan haben, um unsere Lebensgrundlagen zu schützen? Heute können Sie durch einen Freispruch zeigen, dass Sie mit der Wissenschaft gehen und Zivilcourage beweisen.
Ziviler Ungehorsam bedeutet für mich, Zivilcourage zu zeigen und meine privilegierte Position für eine gerechtere Welt zu nutzen. Ziviler Ungehorsam ist in diesem Notstand angemessen, weil er das stärkste demokratische Mittel ist, das mir in diesem Land zur Verfügung steht. Ich werde dieses Mittel weiter nutzen, um mich für eine bessere Welt einzusetzen.
Seit dem Abschluss meiner Promotion bin ich als Vollzeitaktivist tätig, um der ökologischen Krise meine volle Aufmerksamkeit zu schenken. Ich werde dem Fehlverhalten der Politik nicht tatenlos zusehen und rufe alle Menschen in diesem Saal, in dieser Stadt und in diesem Land dazu auf, den gewaltfreien zivilen Ungehorsam für Klimagerechtigkeit zu unterstützen.