Distanzierung bekräftigt

Geschrieben von PG Konfliktbewältigung und -Prävention am 24.04.2020

Restorative Justice Prozess mit Roger Hallam gescheitert

Liebe Rebell:innen, liebe Freund:innen und Unterstützer:innen,

Ende November des letzten Jahres versuchte XR UK-Mitbegründer Roger Hallam Aufmerksamkeit für die Klimakrise zu gewinnen, in dem er in einem Interview in der ZEIT behauptete, der Holocaust sei im Vergleich zur Klimakrise von untergeordneter Bedeutung. Der Schaden für Extinction Rebellion durch diese Äußerung konnte durch unsere schnelle und gründliche Distanzierung (Presseerklärung) nicht ungeschehen gemacht werden. Sie traf unsere Bewegung empfindlich in ihrem Selbstverständnis und ihrer Außenwahrnehmung. Viele Rebell:innen haben als Folge die Bewegung im Protest verlassen oder wurden für ihr weiteres Engagement bei XR kritisiert oder beschämt. Interne Konflikte offenbarten auch, dass wir selbst innerhalb der Bewegung noch viel Arbeit vor uns haben, um unsere 10 Prinzipien unter Anspannung aktiv zu leben.

Diese drastischen Auswirkungen waren die Grundlage und Motivation für die Arbeit der Projektgruppe Konfliktbewältigung und Prävention, die sich auf dem Heidelberger bundesweiten Treffen gründete und seitdem mit insgesamt 16 Mitgliedern die Grundlagen für die nächsten Schritte erarbeitet hat.

Was wir erarbeitet haben

Teil dieser Arbeit war unsere Teilnahme an einem von XR UK initiierten Restorative Justice Prozess. In einem solchen Prozess geht es darum, eine Person, deren Handlungen weit reichende Konflikte und Verletzungen verursacht haben, mit den Auswirkungen und Gefühlen der von ihrer Tat Betroffenen zu konfrontieren. Ziel dieser Konfrontation ist es, über den Dialog Verständnis zu wecken und eine freiwillige Selbsttransformation dieser Person anzuregen, um im Anschluss zu einer gütlichen Vereinbarung zwischen den beiden Seiten zu kommen. In enger Abstimmung mit der Projektgruppe war es die Aufgabe der Delegierten, in diesen Prozess mit einer offenen und an Aufklärung interessierten Haltung gegenüber der Person Roger Hallam zu starten, im Bemühen, das Feedback und die Anliegen der deutschen Bewegung in ihrer Vielfalt zu repräsentieren.

In diesem Prozess, zu dem ein persönliches Treffen und mehrere Videokonferenzen gehörten, haben wir Roger Hallam mehrfach und in aller Deutlichkeit mit den im ersten Absatz beschriebenen Konsequenzen für die Rebell*innen in Deutschland konfrontiert. Wir haben von ihm zum Schutz von Jüdinnen und Juden und der Bewegung ein Überdenken seiner Kommunikationsstrategie gefordert und ihn inständig darum gebeten, in Zukunft auf alle Referenzen zu Holocaust, Nazi-Deutschland oder Genoziden, sowie auf rhetorische Figuren von strukturellem Antisemitismus zu verzichten. Diesen Vorschlag hat Roger Hallam nicht angenommen.

Unsere Empfehlungen

Wir schätzen diese Entscheidung nicht zwingend als Beleg für eine rassistische oder antisemitische Intention oder Ideologie ein, jedoch als Indiz dafür, dass Roger Hallam nicht willens oder in der Lage ist, auf Basis von Feedback wesentliche Zugeständnisse zu machen und damit den im Restorative Justice Prozess angestrebten Transformationsprozess zu durchlaufen. Wir konnten bei Roger Hallam auch kein emotionales Gespür und tiefes Verantwortungsgefühl für die Bedürfnisse der gesamten heutigen Bewegung ausmachen. Roger Hallam nutzt stattdessen seine Machtposition innerhalb von XR aus, um trotz überwältigendem negativen Feedback seinen eigenen Überzeugungen zu folgen. Ausführliche Argumentation im Konflikt Report (PDF).

Die Projektgruppe Konfliktbearbeitung und -Prävention hat sich nach dem offiziellen Scheitern des Restorative Justice Prozesses darum bemüht, zu bilateralen Agreements mit Roger Hallam zu kommen. Dieser Prozess wurde durch Hallams Ankündigung zu seiner USA-Buch-Tour überholt, so dass die Agreements vor seiner Abreise zu keinem klaren Abschluss mehr kamen. Wir empfehlen deswegen allen Arbeitsgruppen und Ortsgruppen, bei der klaren Distanzierung zu seinen Äußerungen zu bleiben.

An die deutschen Medien stellen wir klar: Roger Hallam ist für uns weder ein Sprecher für die deutsche, noch für die stetig wachsende, vielfältige internationale Bewegung. Als Projektgruppe empfehlen wir der deutschen Bewegung, Hallams zukünftige Handlungen und Äußerungen, die im Widerspruch zu unseren 10 Prinzipien stehen, in Zukunft nicht mehr zu kommentieren. Wir sehen diese für die deutsche Bewegung als ungültig, unrepräsentativ und gefährlich an.

Denn für XR Deutschland gilt, besonders nach den rechtsextremen Attentaten und Morden von Halle und Hanau: Unser Bekenntnis zur Demokratie und Inklusivität ist unvereinbar mit jeder Form der Diskriminierung, insbesondere mit einer Sprache und rhetorischen Figuren, die in vergleichbarer Weise von Faschisten in Deutschland und anderen Ländern genutzt werden und damit den Boden für Gewalttaten bereitet haben. Ökologische Gerechtigkeit und Klimagerechtigkeit sind nur zu erreichen, wenn wir gefährliche Spaltungen überwinden und die in unseren 10 Prinzipien verankerten Werte von Empathie, Gemeinschaft, Diversität und Inklusion leben. Darauf wollen wir in unserer Kommunikation nach außen und untereinander achten und bei Verletzungen dieser Werte kritisch sein und bleiben - auch mit uns selbst.

Mit neuer Energie in die Zukunft

Eine Krise ist auch immer eine Chance. Aus dem Konfliktprozess gingen auch positive Impulse hervor: Wir konnten uns gegenseitig besser verstehen, haben engagierte, warmherzige und großzügige Rebell:innen aus der ganzen Welt kennen gelernt, in diesem Zusammenhang unsere Vernetzung mit der internationalen Bewegung gestärkt, unseren Horizont und unser Verständnis für unterschiedliche kulturelle und politische Perspektiven erweitert. Wir wurden für einen verantwortungsvollen Umgang mit Sprache sensibilisiert und haben ein besseres Verständnis davon gewonnen, wo wir in Zukunft wiederholte Verstöße gegen unsere 10 Prinzipien oder destruktives Verhalten Einzelner durch neue Teams, Prozesse und Strukturen abfedern müssen. Hierfür sind wir allen Menschen dankbar, die uns durch ihr Feedback und ihr Engagement geholfen haben, die notwendigen Schritte einzuleiten. Es wird die Aufgabe vieler AGs und aller Rebell:innen sein, die notwendigen Aufarbeitungen für ihre jeweiligen Bereiche in den nächsten Monaten weiter zu verfolgen.

Es ist nun Zeit, wieder zu unserer gebündelten Kraft und Energie zurückfinden, um das zu tun, wofür wir Teil von Extinction Rebellion geworden sind:

2020 zum Wendepunkt in der Klimakatastrophe zu machen, die ökologische Wende einzuleiten, und unsere 3 Forderungen mit mutigem zivilem Ungehorsam, kreativem Protest und der Vernetzung mit vielen neuen Menschen in die Köpfe und Herzen Aller zu bringen.

Love & Rage,

Eure PG Konfliktbewältigung und -Prävention

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