Ankündigung eines Bürgerrates durch den Bundestag - eine Einschätzung

Geschrieben von Lorenz Kramer aus der Arbeitsgruppe Bürger:innenversammlung am 19.06.2020

Der Bundestag kündigte einen “Bürgerrat zur Rolle Deutschlands in der Welt” an. Diese Ankündigung ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, dieser Schritt ist allerdings viel zu kurz und birgt auch Gefahren.


👉 Unsere Pressemitteilung zum Beschluss des Bundestages: "Partizipation auf Stützrädern: Der vom Bundestag eingesetzte Bürgerrat ist nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung" PDF runterladen


Gestern gab der Bundestag per Pressemitteilung bekannt, dass ein Bürgerrat ein Bürgergutachten “zur Rolle Deutschlands in der Welt” erstellen und dem Bundestag vorlegen soll: "Analog des 'Bürgerrats Demokratie' 2019 sollen dazu 160 per Los ausgewählte Bürgerinnen und Bürger an drei Wochenenden im Austausch mit Expertinnen und Experten diskutieren und Handlungsempfehlungen erarbeiten. Diese sollen in Form eines Bürgergutachtens Anfang 2021 vorliegen, so dass sie noch in dieser Legislaturperiode diskutiert werden können."

Wir begrüßen ausdrücklich, dass das Konzept eines Bürger:innenrats/ einer Bürger:innenversammlung im Bundestag angekommen ist. Wir freuen uns sehr, dass Demokratie nicht nur als ein starres unveränderliches Konzept betrachtet wird, sondern auch eine Anpassung der Demokratie für nötig erachtet wird. Ebenso geht eine Orientierung am "Bürgerrat Demokratie" in die richtige Richtung.

Insgesamt lässt sich der Pressemitteilung wenig Konkretes entnehmen, sodass eine abschließende Bewertung noch nicht möglich ist. Im Folgenden findet Ihr eine erste Einschätzung auf Basis der vorliegenden Informationen:

Das Thema

Die Definition des Themas ist noch schwammig. “Die Rolle Deutschlands in der Welt” beinhaltet viele Aspekte, die sich kaum innerhalb von drei Wochenenden bearbeiten lassen. Ein riesiger Teil der Rolle Deutschlands in der Welt betrifft natürlich das Thema Klimagerechtigkeit. In der akuten Bedrohungssituation durch die Klimakrise definiert Deutschlands Verhalten in diesem Feld zu großen Teilen dessen Rolle in der Welt. Daher muss Klimagerechtigkeit natürlich Teil einer konkreten und ergebnisoffenen Fragestellung sein. Sollte dies der Fall sein, freuen wir uns sehr, dass dieses Thema mit dem unserer Meinung nach adäquaten Instrument nun endlich ganz oben auf die politische Agenda gesetzt wird und sind sehr gespannt auf die genaue Konzeption dieser Bürger:innenversammlung.
Allerdings könnte es aufgrund des sehr begrenzten Zeitrahmens auch zu einer Fragestellung kommen, die das Thema auf wenig strittige oder wichtige Teilthemen eingrenzt. Auf diese Weise beschneidet die Themensetzung womöglich das große Potenzial dieses Formats, das sich ja insbesondere dann gut eignet, wenn ein bestimmtes Thema in der Bevölkerung sehr kontrovers, deshalb auch parteipolitisch hart umkämpft und nur schwer lösbar erscheint. Es würde damit die Chance verpasst, dass ein solches Verfahren von einer großen Öffentlichkeit begleitet wird und damit eine detailliertere und fundiertere öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema stattfindet.

Rolle von Expert:innen

Über den Prozess verrät die Pressemitteilung lediglich, dass Bürger:innen im Austausch mit Expert:innen diskutieren. Die Rolle der Expert:innen ist hierbei nicht genau definiert. Uns ist hierbei wichtig, dass Expert:innen und übrigens auch Betroffene oder Interessensvertreter:innen zu vorher klar definierten Themenbereichen Inputs geben, die auch für die Öffentlichkeit nachvollziehbar sind (bspw. über TV Übertragung und Videostreams). Die Ausarbeitung der konkreten politischen Maßnahmen obliegt dann hingegen den Bürger:innen.

Konsultation

Menschen, die nicht ausgelost wurden, sollten dennoch an einer Bürger:innenversammlung teilhaben dürfen. So sollten einzelne Bürger:innen und Gruppen Eingaben formulieren können. Diese müssen zusammengefasst und der Bürger:innenersammlung zur Verfügung gestellt werden. Ganz nebenbei wird so die Sichtbarkeit und die Akzeptanz der Bürger:innenversammlung erhöht. Auch sollte es möglich sein, dass die Teilnehmenden der Bürger:innenversammlung weitere Expert:innen, Interessensvertreter:innen oder Betroffene einladen können. So kann eine zu einseitige Information korrigiert werden.

In diesem Bereich liegen uns bislang keine Informationen zu den Plänen des Bundestags vor. Allerdings soll das geplante Verfahren analog zum “Bürgerrat Demokratie” verlaufen, der hierbei nicht ganz unseren Ansprüchen genügte.

Umgang mit den Ergebnissen

Bei der Wahl des Themas und dem Umgang mit dem Bürgergutachten lässt der Bundestag einiges an Mut vermissen. In der Pressemitteilung ist nicht klar definiert, was mit dem Bürgergutachten am Ende passieren soll. Es wird lediglich erwähnt, dass noch eine Diskussion darüber im Bundestag in dieser Legislaturperiode möglich sein soll. Auch das Zitat von Bundestagspräsident Schäuble lässt erahnen, dass dieser Bürgerrat wohl nur eine Art Test sein soll. Nur wenn die Teilnehmenden echte Verantwortung spüren, kann eine Bürger:innenversammlung alle ihrer positiven Eigenschaften entfalten: Nur dann erhält sie genug Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit, um die Debatte über das Thema mitzugestalten, nur dann kann sie einen Teil dazu beitragen, dass Menschen sich mehr in den politischen Entscheidungsprozessen vertreten fühlen und auch nur dann ist die höchstmögliche Motivation für die Teilnehmenden gewährleistet, gemeinwohlorientierte Lösungen zu erarbeiten.

Fazit

In Bezug auf die Bürger:innenversammlung, die Extinction Rebellion fordert, lässt sich natürlich klar feststellen: Unser Anliegen lässt keine Zeit mehr zu warten, bis der Bundestag für sich ausführlich genug getestet hat, ob er den Menschen vertrauen kann. Eine Bürger:innenversammlung für die Erarbeitung der notwendigen Maßnahmen gegen die ökologische Katastrophe und für Klimagerechtigkeit muss so schnell, wie es eine gute Konzeption zulässt, durchgeführt werden!

Sollte dieser Themenkomplex in dem vom Bundestag angekündigten Bürger:innenrat enthalten sein, ist das Verfahren leider unzureichend: Drei Wochenenden sind viel zu kurz und der Umgang mit den Ergebnissen ist nicht geklärt.
Das Vorgehen könnte im schlimmsten Fall sogar das demokratische Instrument Bürger:innenversammlung/Bürger:innenrat schwächen, indem es den Eindruck von Bürger:innenbeteiligung zum Schein erweckt.

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