Was soll falsch daran sein, Bäume zu pflanzen?

Ein kritischer Blick auf Klimaneutralität, Offsets, REDD+ und “Naturbasierte Klimalösungen"

Hauptsache grün? Klimaneutralität kann auf dem Papier auch durch Monokultur-Plantagen erreicht werden. Gleichzeitig schmückt sich die fossile Industrie mit schönen Bildern von „Natural Climate Solutions“ Bildquellen: REDD-Monitor, OGCI (Oil and Gas Climate Initiative)

Staaten, Städte und Unternehmen weltweit setzen sich Ziele, bis zu einem bestimmten Zeitpunkt klimaneutral zu werden. Die EU sieht momentan Klimaneutralität erst bis zum Jahr 2050 vor. Klimagerechtigkeitsbewegungen wie XR oder Fridays for Future fordern Klimaneutralität (bzw. “Netto-Null”/”Net-Zero”) deutlich früher, bis 2025 bzw. 2030.

Zahlreiche Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen kritisieren aber schon seit Langem, dass falsch verstandene Klimaneutralität die wirklichen Ursachen der ökologischen Krisen verschleiert und globale Ungerechtigkeiten weiter verschärft, statt sie zu beenden. Was ist dran an dieser Kritik und warum sollten wir als Aktivist*innen sie ernst nehmen?

Um den gefährlichen globalen Temperatur- Anstieg unter 1,5°C zu halten und das katastrophale Überschreiten der Klima-Kipppunkte zu verhindern, muss der Ausstoß von Treibhausgasen schnell und drastisch reduziert werden. Wir stehen vor der gigantischen Herausforderung, die Lebensgrundlagen für viele kommende Generationen zu erhalten, die Zerstörung der natürlichen Lebensräume zu stoppen und dabei die massiven globalen Ungerechtigkeiten zu überwinden.

Dafür ist neben dem Stopp von Entwaldung, dem Schutz der Land- und Meeres-Ökosystemen und dem Umstieg auf klimafreundlichere Formen der Landwirtschaft, vor Allem das vollständige, möglichst schnelle, Ende der Verbrennung fossiler Brennstoffe notwendig.

Im Pariser Klimaabkommen haben die Länder vereinbart, dass der globale Temperaturanstieg „deutlich unter 2°C“ bleiben sollte – dafür soll bis spätestens Mitte dieses Jahrhunderts „Klimaneutralität“ erreicht werden. Die Industrieländer des Globalen Nordens, die am Meisten zur Klimakrise beigetragen haben, sollen dabei die Reduktion ihres Treibhausgas-Ausstoßes schneller vollziehen als Länder das Globalen Südens. Ziel ist ein Gleichgewicht zwischen dem verbleibenden Ausstoß von Treibhausgasen und deren Abbau. Dabei sollen Gerechtigkeit und die Beseitigung von Armut zu einem besseren Leben aller Menschen weltweit führen.

Was bedeutet Klimaneutralität aber unter den aktuellen Bedingungen in der Praxis? Sind Klimaneutralität und die verschiedenen Netto-Null-Ziele ein wichtiger, notwendiger Schritt zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen und zu einer ökologischen und gerechten Transformation? Tragen sie dazu bei, die Gewalt und Ungerechtigkeit zu stoppen, die mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe und der Zerstörung von Lebensräumen verbunden sind? Oder bremst eine Forderung nach Klimaneutralität diese Prozesse aus und erlaubt eher eine Fortsetzung von „Business as usual“ statt wirklicher, wirksamer Veränderungen? Die Debatten darüber sind sehr komplex, widersprüchlich und für Laien oft schwer nachvollziehbar.

Nehmen wir also Strategien und Maßnahmen, die in der internationalen Klimapolitik diskutiert werden, genauer unter die Lupe und betrachten dabei kritisch, welche realen Folgen die sie haben können.

Was genau ist mit Klimaneutralität/ Netto-Null gemeint?

Der Begriff der Klimaneutralität kann sehr breit ausgelegt werden. Meistens bezeichnet er einen Zustand, bei dem das atmosphärische Gleichgewicht nicht verändert wird und bei dem es nicht zu einem Netto-Ausstoß von Treibhausgasen kommt. “Netto” bedeutet hierbei, dass Emissionen, die irgendwo ausgestoßen werden, ausgeglichen (kompensiert) werden dadurch, dass an anderer Stelle Emissionen in gleicher Höhe eingespart werden (z.B. indem erneuerbare statt fossile Energieträger genutzt werden), oder indem CO2 aufgenommen wird (z.B. von Bäumen, Böden oder Ozeanen).

Der Einfachheit halber wird meistens in erster Linie über CO2 gesprochen, auch wenn es weitere, teilweise viel stärker wirkende Treibhausgase wie Methan oder Lachgas gibt, die in Betrachtungen der Klimawirkung dann meistens in CO2-Einheiten umgerechnet werden.

Wir können uns das Grundkonzept von "Netto-Null" auch wie eine Gleichung vorstellen: auf einer Seite werden Treibhausgase ausgestoßen, auf der anderen Seite wird die gleiche Menge an Treibhausgasen wieder aus der Atmosphäre entnommen. Um Null zu erreichen, dürfen die Emissionen auf einer Seite der Gleichung nicht größer sein als die Menge an Treibhausgasen auf der anderen Seite, die über denselben Zeitraum aus der Atmosphäre entnommen wird.

Auf den ersten Blick erscheint das Prinzip ganz einfach. Der Teufel steckt hier aber im Detail und die unterschiedlichen Methoden, wie Netto-Null erreicht werden soll, müssen genauer betrachtet werden, da sie ganz unterschiedlich funktionieren und auch sehr unterschiedliche Auswirkungen in der realen Welt haben.


Proteste der Mapuche gegen REDD+ bei der UN-Klimakonferenz in Madrid 2019

Bildquelle: Wikimedia Commons, Malopez 21, CC BY-SA 4.0

Der klimapolitische Werkzeugkasten – welche Vorschläge liegen auf dem Tisch?

Bei den Weltklimagipfeln und in verschiedenen anderen Gremien wird schon sehr lange über verschiedene Strategien zur Reduktion von Treibhausgas-Emissionen diskutiert. Die effektivste Methode, Emissionen zu stoppen, ist es natürlich, fossile Brennstoffe im Boden zu lassen und den Energieverbrauch insgesamt zu senken sowie durch erneuerbare Energien zu decken. Allerdings basiert die globale industrielle Wirtschaft immer noch größtenteils auf der Verbrennung fossiler Brennstoffe, der Ausbau der erneuerbaren Energien geht nicht schnell genug voran und der Gesamt-Energiebedarf steigt immer weiter. Konzerne, die ihre Profite mit Kohle, Öl und Gas erzeugen und Wirtschaftszweige, die auf fossile Energieträger angewiesen sind, behaupten zwar, dass sie ihre Emissionen senken wollen. Sie argumentieren aber, dass es Emissionen gibt, die sehr schwer ersetzt oder vermieden werden können. Die angeblich schwer vermeidbaren Emissionen sollen also erstmal ausgeglichen werden, um im Ergebnis auf Null zu kommen. Dafür werden verschiedene Werkzeuge vorgeschlagen:

Eine schon sehr lange existierende Strategie ist der Emissionshandel. Kurz gesagt bedeutet der Emissionshandel, dass es für verschiedene Akteure wie Staaten oder Unternehmen, möglich ist, weniger teure Reduktionsmaßnahmen im Ausland zu ergreifen, um die eigenen Klimaziele im Inland zu erreichen. Durch den Emissionshandel können die im Ausland vermiedenen Emissionen als Emissions-Gutschriften bzw. -zertifikate (sog. “carbon credits”) auf den globalen Kohlenstoffmärkten gekauft und auf die eigenen Ziele angerechnet werden. Nach dieser Logik kann sich z.B. ein EU-Land oder ein Konzern Emissionsreduktionen in Ländern des Globalen Südens erkaufen, dadurch die eigenen Emissionen auf dem Papier reduzieren – und dabei weiter die entsprechende Menge an Treibhausgasen ausstoßen.

Dieser Ausgleich wird auch Klimakompensation bzw. “Offset” genannt. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Offsets erzeugt werden: zum Einen dadurch, dass Emissionen vermieden oder verringert werden, also wenn z.B. erneuerbare Energien statt fossilen Brennstoffen genutzt werden.

Andere Möglichkeiten für Offsets sind Maßnahmen, die eine Speicherung von CO2 in sog. Kohlenstoffsenken bewirken. Natürliche Kohlenstoffsenken sind z.B. Wälder, Moore oder humusreiche Böden. Klassische Kompensationsmaßnahmen sind z.B. Aufforstung oder Renaturierung von Mooren. Für eine dauerhafte Speicherung muss sichergestellt sein, dass der Kohlenstoff nicht bald wieder zurück in die Atmosphäre gelangt – dafür gibt es aber in vielen Fällen keine Garantie.

Ein viel genutztes Konzept ist seit Längerem REDD+ („Reducing Emissions from Deforestation and Forest Degradation“, also „Verringerung von Emissionen aus Entwaldung und Waldschädigung”). Hierdurch sollen Emissionen, die durch Landnutzungsänderungen, insbesondere durch Abholzung oder Schädigung von Wäldern in tropischen Ländern, vermieden werden. Um Abholzung auszugleichen werden an nationale Regierungen und lokale Akteure in den betroffenen Ländern Kompensationen ausgezahlt. Neben dem Waldschutz soll auch die Wiederaufforstung zerstörter Waldflächen gefördert werden.

REDD+ ist allerdings auf viel Widerstand zahlreicher Indigener und kleinbäuerlicher Gemeinschaften, insbesondere in Ländern des Globalen Südens, gestoßen. Kritik an REDD+ umfasst z.B. Unklarheiten bei Nachvollziehbarkeit und Messbarkeit der tatsächlich gespeicherten CO2-Mengen. Zum Anderen ist die Art von Aufforstungen nicht genau definiert, somit können auch Monokultur-Baumplantagen als REDD+ gezählt werden können. Auch Landrechte und Selbstbestimmungsrechte Indigener und kleinbäuerlicher Gemeinschaften sind bei REDD+-Projekten nicht automatisch abgesichert, so dass es zu Vertreibungen oder zu Einschränkungen der traditionellen Landnutzung kommt.

Nachdem es viele Jahre lang massiven Protest gegen REDD+ gab, werden immer häufiger sog. „Nature based solutions / Natural climate solutions“ (NBS/NCS, also Naturbasierte Lösungen oder Natürliche Klimalösungen) propagiert. Beide Begriffe bezeichnen Maßnahmen, die einerseits Folgen des Klimakrise wie z.B. Überflutungen, abmildern sollen und gleichzeitig als natürliche Kohlenstoffsenken dienen (z.B. Mangrovenwälder). Es wird gesagt, dass NBS eine Verbesserung gegenüber REDD+ darstellen, da sie stärker auf Förderung der Biodiversität und Zusammenarbeit mit lokalen Gemeinschaften setzen. Aber auch hier gibt es Kritik, weil klimaschädigende Konzerne den weniger vorbelasteten Begriff für sich entdeckt haben und nun darauf setzen, um weitere Kompensationen für ihre Emissionen zu ermöglichen.

Neben Lösungen, die auf natürlichen Kohlenstoffsenken basieren, wird auch über noch spekulative Technologien diskutiert, um “Negative Emissionen” zu erzeugen, also bereits freigesetzte Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entziehen. Bei der sog. CO2- Abscheidung und -Speicherung handelt es sich um Methoden, CO2 aus der Luft oder dem Wasser zu entfernen und es dann in unterirdischen Lagerstätten zu speichern. Ein Beispiel ist CCS (engl. carbon dioxide capture and storage) – hier wird das CO2 zunächst direkt am Ort der Verbrennung fossiler Brennstoffe eingefangen und dann in unterirdischen Lagerstätten gelagert.

Bei der BECCS-Methode (engl. bioenergy with carbon capture and storage), soll zunächst Biomasse, z.B. in Baumplantagen, CO2 aufnehmen, um dann industriell verbrannt zu werden, wobei das entstehende CO2 anschließend abgeschieden und ebenfalls unterirdisch gespeichert wird. Bei beiden Methoden ist es umstritten, ob genügend geeignete Lagerstätten gefunden werden können, in denen das CO2 dauerhaft gespeichert werden kann. Bei BECCS kommt das Problem des enormen Flächenverbrauchs für die Plantagen hinzu, was Biodiversität gefährden und mit der Nahrungsmittelproduktion konkurrieren würde.

Diese Technologien sind noch gar nicht in großem Stil umsetzbar. Es ist nach dem heutigen Stand der Forschung noch völlig unklar, ob sie jemals technisch machbar und auch wirtschaftlich sein werden. Darauf zu setzen, ist also eine gefährliche Spekulation und ein unberechenbares Risiko für das Klima.


Kritik am Konzept Netto-Null und an CO2-Kompensationen

Wo liegt nun das Problem, wenn beim Versuch, Klimaneutralität zu erreichen, stark auf Kompensationen gesetzt wird, aber fossile Brennstoffe weiter verbrannt werden?

Ein Zusammenschluss von Organisationen, zu dem u.A. Friends of the Earth International, La Via Campesina, Indigenous Environmental Network, Climate Justice Alliance und andere Organisationen zählen und in dem viele Stimmen aus dem Globalen Süden und von Indigenen Gemeinschaften vertreten sind, hat vor Kurzem den Bericht “Chasing carbon Unicorns“ veröffentlicht. Dieser Bericht ist Teil einer langen Reihe an Kritik, die schon seit vielen Jahren von Aktivist*innen im Globalen Süden, Indigenen und kleinbäuerlichen Organisationen und von Wissenschaftler*innen vorgebracht wird. Die Organisationen fordern eine „Real Zero“ statt „Net Zero“-Politik und kritisieren Offsets als Ablenkung von den wirklichen Ursachen der Klimakrise.

Die Biologin und Expertin für Klima- und Biodiversitäts-Kompensationen Jutta Kill kritisiert Offsets und Netto-Null-Versprechen als eine Art Ablasshandel, eine rein buchhalterische Rechnung, die auf hypothetischen Annahmen beruht, die sich oft nicht beweisen lassen. Sie sagt, dass dadurch die notwendigen gesellschaftlichen Debatten darüber, wie wir leben und wirtschaften sollen, ohne die Ökosysteme der Erde weiter zu zerstören, ausgebremst wird, was eine wirksame und gerechte Transformation verhindert.

Das World Rainforest Movement, das sich international für die Rechte Indigener und vom Wald lebender Menschen einsetzt und eng mit diesen zusammenarbeitet, hat zahlreiche Beispiele von Menschenrechtsverletzungen bei Klimakompensations-Projekten gesammelt – auch hier wird sichtbar, wie stark naturzerstörende Konzerne versuchen, sich ein grünes Image zu verpassen, indem sie sich für REDD+, Offsets und Natural Climate Solutions engagieren und gleichzeitig weiter zerstören und verschmutzen.

Weitere Kritik wurde mehrmals im Rahmen des “Rights of Nature Tribunals” vorgebracht, welches daran arbeitet, Rechte der Natur in der internationalen Gesetzgebung zu verankern. Das Tribunal verurteilte REDD+ als eine Verletzung der Rechte der Natur und als Widerspruch zu vielen Weltbildern Indigener Kulturen, die es ablehnen, Natur mit einem Preisschild zu versehen.

Auch die Kampagnen “People’s Demands for Climate Justice” und #OurNatureIsNotYourSolution, die von zahlreichen Umwelt-und Menschenrechtsorganisationen, viele davon aus dem Globalen Süden, unterzeichnet wurden, lehnten “falsche Lösungen” und Greenwashing durch Netto-Null ab und forderten stattdessen eine gerechte ökologische Transformation und den Schutz Indigener Landrechte.

Kritiker*innen von Netto-Null sagen auch, dass hier die Verantwortung für Verschmutzung der Industrieländer auf Diejenigen ausgelagert wird, die am Wenigsten zur Klimakrise beitragen – Land und Ökosysteme im Globalen Süden werden dafür genutzt, Emissionen auszugleichen, die überwiegend im Globalen Norden erzeugt werden. Mit Gerechtigkeit hat das wenig zu tun.

Sogenannte klimaneutrale Produkte oder Dienstleistungen wirken also nicht automatisch der Klimaerhitzung entgegen. Sie greifen häufig auf Ausgleichsmaßnahmen zurück, es werden also weiterhin fossile Brennstoffe gewonnen und verbrannt mit allen schädlichen Folgen, Treibhausgase werden weiter freigesetzt, der Ausgleich erfolgt oft nur auf dem Papier und ist schwer zurückverfolgbar.


Baumplantage der norwegischen Firma Green Ressources in Uganda, Bildquelle: REDD-Monitor

Folgen für lokale Gemeinschaften

Wenn wir Klimapolitik nicht auf die reine Bewegung von CO2-Molekülen reduzieren, sondern auch die gesellschaftliche Dimension betrachten und uns für globale Gerechtigkeit, gegen Rassismus und Kolonialismus einsetzen wollen, müssen wir die realen Folgen von Kompensationsmaßnahmen für die von ihnen betroffenen Menschen genau betrachten. Wenn wir uns für Menschenrechte und Gerechtigkeit aussprechen, dürfen wir nur diejenigen Maßnahmen unterstützen, die von den Menschen vor Ort gewünscht und für sie von Nutzen sind und die ihre Landrechte sowie ihre kulturelle Selbstbestimmung respektieren.

Welche konkreten Auswirkungen von CO2-Kompensationsprojekten, insbesondere in Ländern des Globalen Südens, sind bekannt? Natürlich gibt es sehr viele sehr unterschiedliche Projekte. Klar ist aber, dass nicht alle Maßnahmen, die auf dem Papier zu “Klimaneutralität” führen, gut für die betroffene lokale Bevölkerung sind.

Betrachten wir zunächst Projekte, bei denen es um Ausgleich durch Vermeidung von Emissionen geht. Maßnahmen, die durch CO2 Reduktion eine „Klimaneutralität“ anstreben, sind nicht in allen Fällen umweltfreundlich oder sozial gerecht. Zum Beispiel werden für den Bau von großen Staudämmen zur erneuerbaren Stromerzeugung oft unberührte Ökosysteme überflutet und die lokalen Gemeinschaften von ihrem Land vertrieben.

Biokraftstoffe, die oft als Ersatz für fossile Brennstoffe angeblich zur Senkung von Emissionen führen sollen, können starke Auswirkungen haben: oft entstehen unter Zerstörung von schützenswerten Ökosystemen große Monokultur-Plantagen, um die Pflanzen zur Erzeugung von Biokraftstoffen wie Holzpellets oder Bio-Ethanol anzubauen. Zahlreiche Fälle von Landraub, massiven Landnutzungsänderungen und dem Verlust von fruchtbarem Land, das eigentlich zur Nahrungsmittelerzeugung benötigt wird, wurden und werden in Ländern des Globalen Südens dokumentiert.

Und auch bei REDD+ und Nature Based Solutions sind viele Fälle von Landraub und Vertreibungen dokumentiert (einige davon z.B. im Environmental Justice Atlas). Oft durften die Menschen ihre traditionellen Formen der Landwirtschaft nicht mehr betreiben, weil auf den von ihnen genutzten Flächen Kompensationsflächen eingerichtet wurden. Selbstversorgung betreibende Kleinbäuer*innen haben im globalen Vergleich einen sehr geringen Treibhausgas-Ausstoß. In manchen REDD+/NBS- Projekten werden sie und ihre traditionelle Landwirtschaft aber als Schuldige von Entwaldung definiert, ihre Flächen “unter Schutz gestellt” und als Ausgleichsflächen für Konzerne genutzt, oft um Emissionen im Globalen Norden oder die Entwaldung für industrielle Landwirtschaft (z.B. für Palmölplantagen) auszugleichen.

Die selbstbestimmte kleinbäuerliche Landnutzung wird dann also von aussen kontrolliert, bis hin zum Landraub – alles, um die Klimaneutralitäts-Ziele von Konzernen im Globalen Norden zu erfüllen, also den Ausstoß auszugleichen, den die betroffenen Menschen im Globalen Süden gar nicht verursacht haben!

Nach massiver Kritik an diesen Konzepten sind verschiedene Richtlinien entwickelt worden, z.B. der Global Standard der IUCN oder die NbS Guidelines der Universität von Oxford und von manchen in Kritik geratenen NBS-Akteur*innen. Dies ist gewiss eine Verbesserung im Sinne der Menschenrechte und der Biodiversität. Das Prinzip FPIC (Free, Prior and Informed Consent), also freie, vorherige und informierte Zustimmung, sollte selbstverständlich auch für Klimalösungen gelten. Allerdings gibt es Kritik, dass diese Richtlinien keine rechtliche Bindung haben, somit sind sie für die Projektbetreibenden rein freiwillig. Einen garantierten Schutz vor Menschenrechtsverletzungen und Landraub gibt es hier also nicht und es gibt auch immer wieder Fälle von Betrug, wo Projekte noch aussen gut aussehen, in der Realität aber zu Spaltung in den lokalen Gemeinschaften und zum Verlust von Selbstbestimmung führen.

Alleine die Tatsache, dass es soviel Ungerechtigkeit im Zusammenhang mit Klima-Kompensationen gibt, sollte uns dazu motivieren, Klimaneutralität kritisch zu betrachten und genau zu schauen, welche Massnahmen sinnvoll sind und welche nicht. Aber auch aus naturwissenschaftlicher Sicht verbergen sich hinter dem Fokus auf Netto-Null einige gravierende Denkfehler.


Schnell und langsam - zwei unterschiedliche Kohlenstoffkreisläufe

Beim Ausgleich durch Aufforstung etc. mit dem Ziel der "Klimaneutralität" werden zwei unterschiedlich schnelle Kohlenstoff-Kreisläufe vermischt. Der geologische Kreislauf, bei dem Kohlenstoff in Kohle, Öl und Gas eingelagert wird, ist extrem langsam: er braucht Millionen von Jahren und hat, bezogen auf für die menschliche Zeitrechnung, keinen spürbaren Einfluss, wenn es darum geht, überschüssige Treibhausgase aus der Atmosphäre zu entfernen.

Der viel schnellere, aktive Kohlenstoffkreislauf, bei dem CO2 in Biomasse (also z.B. Bäumen, Algen oder Mooren) sowie in Ozeanen und Böden gespeichert wird, arbeitet in viel kürzeren Zeiträumen. Das CO2 wird aufgenommen, in z.B. Bäumen eingelagert und wieder freigesetzt, sobald der Baum stirbt und von Kleinstlebewesen zersetzt oder wenn er durch Waldbrand zerstört wird. (Simple Club: Erklärvideo zum Kohlenstoffkreislauf)

Bäume sind Teil des schnellen Kohlenstoffkreislaufs und können den Kohlenstoff bestenfalls zwischenspeichern. Die Aufnahmefähigkeit von Wäldern und anderen natürlichen Ökosystemen wie Mooren und Ozeanen ist aber begrenzt und die Speicherung funktioniert irgendwann nicht mehr, wenn das Gesamtgleichgewicht durch immer mehr Treibhause aus fossiler Verbrennung gestört wird.

Die globale Wirtschaft setzt immer mehr fossiles CO2 frei, dass über Jahrmillionen in Kohle, Öl und Gas gebunden war. Ausserdem werden durch Zerstörung von Wäldern und Sümpfen für die industrielle Landwirtschaft auch die dort gebundenen Treibhausgase freigesetzt.

Wenn wir uns darauf verlassen, dass die Ökosysteme diese gigantischen Mengen aufnehmen, während immer weiter Treibhausgase aus fossilen Quellen freigesetzt werden, geht die Rechnung irgendwann nicht mehr auf. Wälder verwandeln sich in vielen Teilen der Welt schon heute von Kohlenstoffsenken zu Kohlenstoffquellen (z.B. in Kanada oder im Amazonas), d.h. durch die bereits eingetretenen Klimaveränderungen und ihre Folgen wie Dürren, Waldbrände oder Schädlingsbefall setzen die Wälder mehr CO2 frei, als sie aufnehmen.

Somit gibt es überhaupt keine Garantie dafür, dass das CO2 nicht nur kurzfristig zwischengespeichert, sondern wirklich dauerhaft der Atmosphäre entzogen wird. Wenn wir weiter fossile Energieträger verbrennen, zirkuliert insgesamt immer mehr CO2 in der Atmosphäre, welches das Klima weiter anheizt.

Bäume zu pflanzen kann an sich hilfreich sein, um die Folgen der bereits erfolgten Entwaldung abzumildern und Flächen wiederzubeleben, die in der Vergangenheit durch Entwaldung zerstört wurden (vorausgesetzt, es werden einheimische Bäume gepflanzt und nicht Monokulturen, sondern vielfältige, naturnahe Wälder). Gesunde Wälder verbessern den Boden, den Wasserhaushalt und das Mikroklima, wirken gegen Bodenerosion, bieten zahlreichen Pflanzen- und Tierarten ein Zuhause und dienen den lokalen Gemeinschaften als Quellen für gesunde Nahrung und pflanzliche Medizin. Und natürlich speichern sie auch CO2 - allerdings wären global gesehen keine so großen Flächen verfügbar, um dauerhaft all das CO2 aufzunehmen, das immer weiter durch die fossile Wirtschaft freigesetzt wird.

Reiner Fokus auf CO2 – eine gefährliche Vereinfachung der ökologischen Krisen

Der reine Fokus auf CO2-Emissionen blendet andere Umweltwirkungen aus, wie z.B. den Verlust der biologischen Vielfalt, die Vernichtung der Wälder, Erosion und Belastung fruchtbarer Böden, Verschmutzung der Meere und der Land-Ökosysteme.

Mit dieser einseitigen Fixierung werden die tieferliegenden Ursachen der Klimakrise verdrängt: unsere Art zu wirtschaften, die Ausbeutung von Mensch und Natur für Profitinteressen und den übermäßigen Ressourcenverbrauch der Industrieländer. Die Art und Weise, wie wir ein Problem beschreiben, bestimmt aber, welche Lösungen wir in Erwägung ziehen. Die Maßnahmen zum Erreichen der Klimaneutralität bauen darauf auf, dass Treibhausgase Priorität haben vor anderen Faktoren.

Die Priorisierung von CO2 führt dazu, dass andere Aspekte wie Biodiversität, Ressourcenschonung und Gerechtigkeit einen geringeren Stellenwert bekommen, statt dass sie im Vordergrund stehen und das Handeln bestimmen. Es zeichnet sich ab, dass der reine Fokus auf Klimaneutralität im Endeffekt einen Politik- und Mentalitätswandel und ein Hinterfragen der gesellschaftlichen Machtverhältnisse verhindert. Sinnvolle Lösungen müssen die Klimakrise bekämpfen und gleichzeitig Menschenrechte, Solidarität, Gerechtigkeit und ein gutes Leben für Alle in den Vordergrund stellen.

Wälder, Land und Ökosysteme sind viel mehr als der in ihnen gespeicherte Kohlenstoff – sie sind Orte voller Leben, Lebensgrundlage der lokalen Gemeinschaften, Orte mit kultureller und spiritueller Bedeutung. Die Finanzialisierung der Natur, deren Teil Klimakompensationen sind, wird dieser Bedeutung nicht gerecht – die Einzigartigkeit und Vielfalt lebendiger Ökosysteme kann nicht auf den in ihnen gespeicherten Kohlenstoffgehalt oder andere vereinzelte Funktionen reduziert werden.


Gründungsmitglieder von "Markets for Natural Climate Solutions" auf der COP25 in Madrid,

Bildquelle: REDD-Monitor

Strategien der Ablenkung

Immer mehr Firmen und Regierungen versprechen, klimaneutral zu werden. Aber alleinige Klimaneutralität sagt noch nichts darüber aus, auf welche Art und Weise dies erreicht wurde – durch reale Reduktion fossiler Energie, oder durch Klimakompensation und Emissionshandel?

Mächtige Akteure, die am meisten zur Klimakrise beitragen, wie die Öl, Kohle- und Gasproduzenten, verdecken ihre Absichten, weiterhin fossile Brennstoffe zu fördern, hinter versprechen, „Klimaneutral“/”Netto-Null”/”Net-zero” zu werden. Sie nehmen Einfluss auf die internationale Klimapolitik und versuchen die eigenen Profite so lange wie möglich zu sichern. Shell z.B. hat selbst stolz verkündet, das Pariser Abkommen beeinflusst zu haben. Sie veröffentlichen Hochglanzbroschüren mit wunderschönen Landschaften, die sie schützen wollen, zerstören aber gleichzeitig die Natur an anderen Orten.

Die Verantwortung von Konzernen, ihre Emissionen und auch sonstige Naturzerstörung zu beenden, wird durch den Emissionshandel und die Kompensationen ausgelagert, sie nutzen diese Werkzeuge, um der notwendigen Kontrolle durch Gesetzgebung auszuweichen. Leider sind auch einige große Naturschutz-Organisationen Teil dieses Spiels, wie z.B. ein Blick auf die Website von The Nature Conservancy zeigt, die mit u.A. Amazon, Coca-Cola, Nestle und Shell zusammenarbeitet.

Netzwerke, in denen Naturschutz-NGOs und Großkonzerne kooperieren (z.B. "Nature4Climate", das als Partner WBCSD auflistet, einen Zusammenschluss zahlreicher Großkonzerne) und mit schönen Bildern für Konzepte wie NBS/NCS werben, lenken davon ab, dass ein schneller Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen notwendig und auch möglich ist, um die schlimmsten Folgen der Klimakrise abzuwenden.

Während Staaten bei den jährlichen Klimakonferenzen um eine gemeinsame Strategie zur Eindämmung der Klimakrise ringen und es bis jetzt nicht geschafft haben, drastische und schnelle Emissionsreduktionen weltweit zu erreichen, werden Offsets zu einem gefragten Produkt auf den globalen Märkten. Auch Regierungen und die internationale Klimapolitik planen, Kohlenstoffmärkte zu fördern, dies wird eine wichtige Rolle bei den kommenden Klima- und Biodiversitäts-Gipfeln in diesem Jahr spielen. Die Zunahme der "Netto-Null"-Zusagen von Unternehmen und Regierungen führt unter diesen Umständen zu einer wachsenden Nachfrage nach Kompensationen.


Prof. Wangari Maathai, Friedensnobelpreisträgerin und Gründerin des Green Belt Movement.

Bildquelle: All you ever wanted to know about ecofeminism, Asmae Ourkiya

Bäume pflanzen geht auch anders: Graswurzel-Bewegungen für gesunde Wälder und für Menschenrechte

Gibt es auch gute Projekte, die sowohl dem Klima als auch den Menschen und der Biodiversität vor Ort dienen? Was wären wirkliche, sinnvolle Alternativen zu den aktuellen, marktbasierten Ansätzen?

Gerade im Globalen Süden und insbesondere bei Indigenen Gemeinschaften aller Kontinente existieren schon seit jeher unterschiedlichste Wege, mit und von der Natur zu leben, die den Menschen nutzen und gleichzeitig das atmosphärische Gleichgewicht und Biodiversität erhalten. Traditionelle Landnutzungssysteme erzeugen natürliche Kohlenstoffspeicher, bilden die Lebensgrundlage für zahlreiche Gemeinschaften, lassen Landschaften mit hoher Artenvielfalt entstehen und sind voller kultureller und spiritueller Bedeutung.

Aber auch dort, wo die Entwaldung schon sehr fortgeschritten war, haben lokale Gemeinschaften es vielerorts geschafft, die Natur zu regenerieren und sich mit naturbasierter Landnutzung ein gutes Auskommen zu sichern.

Ein bekanntes Beispiel ist die Graswurzelbewegung The Green Belt Movement, das 1977 von Prof. Wangari Maathai gemeinsam mit dem Nationalen Frauenrat Kenias und Frauengruppen in Nairobi und dessen ländlicher Umgebung gegründet wurde.

Prof. Maathai wurde für ihr Lebenswerk 2004 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. Sie setzte sich ihr Leben lang für den Schutz der Wälder ein und ermöglichte zusammen mit der Green Belt- Bewegung die Pflanzung von Millionen von Bäumen.

Das Green Belt Movement führt seit Jahrzehnten Aufforstungsprojekte in Kenia und anderen Afrikanischen Ländern durch, die von der lokalen Bevölkerung entsprechend ihren Bedürfnissen geplant werden. Die Bewegung fördert lokale ökologische Landwirtschaft und nachhaltige Waldnutzung und stärkt insbesondere die Rechte von Frauen.

Zahlreiche weitere Beispiele aus verschiedenen Ländern zeigt die Global Forest Coalition, die sich seit über 20 Jahren für eine sozial gerechte und effektive Waldpolitik und Landrechte einsetzt und mit zahlreichen Indigenen und kleinbäuerlichen Gemeinschaften auf verschiedenen Kontinenten zusammenarbeitet.

Ein vollständiger Ausstieg aus den fossilen Energien, der industriellen Landwirtschaft und anderen lebenszerstörenden Technologien, ”Real zero” statt “Net zero” und gerechte Klimapolitik sind möglich und notwendig. Fossile Brennstoffe müssen im Boden bleiben. Statt auf falsche Lösungen der Konzerne zu setzen, brauchen wir echte, an den Menschen ausgerichtete Lösungen für die Klimakrise, die Gerechtigkeit wiederherstellen und das Miteinander von Mensch und Natur wieder in den Fokus rücken. Die Einmischung und Vereinnahmung der Klimaverhandlungen durch Konzerne und die Finanzialisierung der Natur werden die Klimakrise nicht aufhalten. Stattdessen stärken gesicherte Landrechte und die Selbstbestimmung lokaler Gemeinschaften Biodiversität, Ernährungssicherheit und ein gutes Leben für kommende Generationen überall auf der Welt.


Quellen:

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