Indigene Gemeinschaften und Biodiversität

Naturschutz durch Landrechte für Gemeinschaften, die mit und durch die Natur leben

Salween Peace Park der Karen in Myanmar, Bild: KESAN

"Wir sollten den Naturschutz anführen und nicht Opfer von diesem sein."

Archana Soreng, Khadia-Stamm, Indien - Mitglied der UN Jugendberatungsgruppe zum Klimawandel

Es gibt in den westlichen Industriegesellschaften den weit verbreiteten Glauben, dass Landschaften mit hoher Biodiversität, wie z.B. der Amazonas-Regenwald, "Wildnis" sind, also von Menschen völlig unbeeinflusste, sich komplett selbst überlassene Orte. Dies ist eine Vorstellung, die ihre Wurzeln in der Kolonialzeit hat. "Wildnis" und "Zivilisation" genau wie "Natur" und "Kultur" wurden im Kolonialismus als Gegensätze dargestellt, und diese Tradition hält bis heute im westlichen Denken an.

Seit einiger Zeit setzt sich aber in der Wissenschaft die Erkenntnis durch, dass solche vermeintlichen "Wildnis"- Landschaften in Wirklichkeit uralte Kulturlandschaften sind, die über Jahrtausende von der dortigen Indigenen Bevölkerung beeinflusst wurden. Dieser Einfluss der Menschen auf die Natur hat zur großen Vielfalt beigetragen, die heute in den Indigenen Territorien zu sehen ist.

Menschen haben seit der Steinzeit und ihrer Ausbreitung auf der Welt immer Einfluss auf Ökosysteme genommen, im Positiven wie im Negativen. Auch alte Kulturen haben auf verschiedenen Kontinenten ganze Spezies ausgerottet. Andere Kulturen wiederum haben durch Erfahrung und Ausprobieren Wissenssysteme entwickelt, die es ihnen ermöglichten, über Jahrtausende gut von und mit der Natur zu leben und die Lebensgrundlagen für kommende Generationen zu sichern.

Hüter*innen der Natur - ohne es "Naturschutz" zu nennen

Zum Beispiel im Amazonas sehen sich Indigene Gruppen als Hüter*innen des Waldes und kämpfen für die Bewahrung ihrer traditionellen Lebensweisen. Nach langer Zeit der Missachtung bestätigt nun die westliche Wissenschaft, dass die Anwesenheit der Indigenen Menschen über Jahrtausende essentiell zum Entstehen der Landschaft beigetragen hat. Durch praktisches Erfahrungswissen und die starke, auch spirituell begründete Eingebundenheit in die Umgebung sind sie zu einer Lebensweise gekommen, die von einer wechselseitigen Beziehung mit der Landschaft geprägt ist. Dieses wechselseitige Miteinander, das in diesen Fällen sowohl Mensch und Natur ein langfristiges Überleben ermöglicht, zieht auch keine scharfe Grenze zwischen den beiden.

So haben die Indigenen Gemeinschaften im Amazonas die Artenvielfalt durch ihre Bewirtschaftung der Wälder erhöht. Archäologische Untersuchungen belegen, dass vor der Ankunft der europäischen Kolonisatoren komplexe und sehr vielfältige Gesellschaften auf dem Gebiet des Amazonas lebten, die den Wald in der Umgebung ihrer Siedlungen kultivierten und dort Bäume pflanzten, die für ihre Lebensweise nützlich waren. Mit der veränderten Baumzusammensetzung veränderten sich auch gesamte Ökosysteme. Auch die Böden im Amazonasgebiet wurden von Menschen geprägt – die Methode der sog. Terra Preta, eines speziellen, über Generationen gepflegten Bodens in der Umgebung menschlicher Siedlungen auf erstaunlich großer Fläche, gilt als Beweis für die menschliche Gestaltung der Amazonas-Region. Mensch und Natur passten sich über Jahrtausende hinweg aneinander an. Die Kolonisierung, im Zusammenspiel mit Epidemien durch eingeschleppte Krankheitserreger, unterbrach diese ausgeklügelte Bewirtschaftung und führte zum Zusammenbruch vieler Indigener Gesellschaften.

Die Gestaltung der Landschaft durch Indigene Gesellschaften ist auch zahlreich auf anderen Kontinenten nachgewiesen, wie z.B. die traditionelle Feuerwirtschaft bei Indigenen Menschen Australiens oder die Naturweidewirtschaft der Plains-Kulturen Nordamerikas (z.B. Lakota, Sioux) und der Rentierhirten-Kulturen der Arktis. Manche dieser Lebensweisen wurden im Laufe der Kolonisierung zerstört, andere wiederum existieren bis heute und sind sehr erfolgreich. Es gibt Weltanschauungen wie z.B. die der neuseeländischen Maori von "stewardship" und "kinship", also die übrige Natur als Verwandte anzusehen, aber auch Sorge und Verantwortung für sie zu übernehmen.

"[Indigene Völker] sind bekanntlich die ersten, die vom Verlust der Artenvielfalt, von der Wüstenbildung und dem Klimawandel betroffen sind, und trotzdem sind sie die Hüter der Biodiversität."

Hindou Oumarou Ibrahim, Mboro, Tschad - Umweltaktivistin und Geografin

Indigene Gemeinschaften schützen 80 % der weltweiten Artenvielfalt

Laut UN-Berichten befinden sich 80 % der Tier- und Pflanzenarten auf Indigenen Territorien, die ein Viertel der Landfläche ausmachen. Menschen, die seit Generationen ihr Land auf traditionelle Art bewirtschaften, leben mit der Natur, ohne es "Naturschutz" zu nennen – das Ergebnis ist aber eine Nutzung, die die Bezeichnung "nachhaltig" wirklich verdient. Tatsächlich gibt es auch Naturschutzgebiete, die von Indigener Bevölkerung und Lokalen Anwohnerinnen beschlossen und umgesetzt werden, diese werden häufig ICCA (Indigeneous Community Conservation Area) abgekürzt und sind in einem globalen Konsortium vernetzt. Allerdings sind viele Indigene Gemeinschaften mittlerweile mit der westlichen Welt in Kontakt und auch davon beeinflusst. Etwa, wenn Rentierhirten oder Jäger in der Arktis mittlerweile ganz selbstverständlich Schneemobile, moderne Gewehre oder Funkgeräte nutzen.

Die Wichtigkeit von Traditional Environmental Knowledge (TEK), also traditionellem ökologischem Wissen der Indigenen Gemeinschaften für den Naturschutz wird immer mehr im westlichen Naturschutz diskutiert und auch einbezogen. Es muss aber sichergestellt werden, dass sich vor allem die Machtverhältnisse ändern, das betrifft insbesondere auch die Finanzierung, Zugang zu Medien usw. Es reicht nicht lokale Bevölkerung nur formal anzuerkennen, stattdessen müssen respektvolle, gleichberechtigte Beziehungen zu westlichen NGOs/Organen aufgebaut werden, bei denen die lokalen Organisationen immer die sind, die Entscheidungen für ihr Land treffen.

Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Indigene und lokale Gemeinschaften auf der ganzen Welt Wälder bewirtschaften, deren Kohlenstoffgehalt das 33-fache unserer derzeitigen jährlichen Emissionen enthält - obwohl selbst diese schwindelerregende Zahl wahrscheinlich eine Unterschätzung ist. Gleichzeitig zeigt die Forschung deutlich, dass das von Indigenen verwaltete Gebiete geringere Entwaldungsraten aufweisen und bessere Ergebnisse erzielen als Schutzzonen, die Indigene Gemeinschaften ausschließen.

Menschenrechte für die Verteidiger*innen der Natur – Grundlage eines erfolgreichen Naturschutzes

Die dunkle Seite dieser Fakten ist, dass Indigene Gemeinschaften auch eine höchst unverhältnismäßige Anzahl der Angriffe auf Verteidiger ausgesetzt sind. Der traditionelle Landbesitz ohne Urkunden wird häufig von Nationalstaaten nicht anerkannt. Die profitorientierten Geschäftspraktiken und eine Regierungspolitik, die Rohstoffgewinnung und Industrie auf Kosten der Menschenrechte priorisieren, bringen diese Menschen und ihr Land, in Gefahr.

Indigene Gemeinschaften weltweit kämpfen für Gerechtigkeit und die Rückgabe von Land (z.B. das Land Back Movement in den USA), die ihnen im Kolonialismus weggenommen wurden, sowie gegen weiteren Landraub im Namen der kapitalistischen Wirtschaft. Dies betrifft neben Kämpfen gegen Minen, Kohlekraftwerke, Groß-Staudämme sowie industrielle Landwirtschaft auch die Verhinderung neuer Naturparks, die nach dem Modell des Festungsnaturschutzes arbeiten (was den faktischen Verlust des Landes für die lokale Bevölkerung bedeutet).

Indigene Umweltschützer*innen und Landrechtsaktivist*innen sind häufig Gewalt ausgesetzt und werden auch ermordet, dies belegen viele Berichte, zum Beispiel die Statistiken von Global Witness. 2019 wurden z.B. etwa 212 Menschen ermordet, weil sie die Umwelt und ihr Land schützen wollten, ähnliche Zahlen gibt es jedes Jahr. Die Hälfte dieser Morde passiert in Kolumbien und den Philippinen, aber auch Brasilien und Zentralamerika sind sehr gefährlich für Landschützer*innen. Besonders betroffen sind Indigene Menschen, nämlich 40 % der Getöteten, das ist viel im Verhältnis zum Anteil der Indigenen Menschen an der Gesamtbevölkerung. Deswegen gibt es Abkommen, die insbesondere die Verteidiger*innen der Natur (environmental defenders) schützen sollen, wie etwa die Aarhus Konvention für Europa oder der Vertrag von Escazú für Lateinamerika. Dieser Vertrag garantiert etwa Informationsfreiheit über Umweltprojekte, öffentliche Beteiligung bei Entscheidungsprozessen und Zugang zu Gerechtigkeit und Gerichtsverfahren in Umweltbelangen. Dieser Vertrag wurde erst am 22.1. von Argentinien unterzeichnet und hat damit genug Unterschriften von lateinamerikanischen Staaten erreicht um 3 Monate später in Kraft zu treten - ein großer Gewinn für die Menschenrechte und ein Erfolg der sozialen Mobilisierung.

"Wir werden die Biodiversität nur schützen können, wenn wir uns sicher fühlen - dafür ist es wichtig, unsere Rechte auf unser Land und unsere Wälder zu respektieren, anzuerkennen und durchzusetzen"

Archana Soreng, Khadia-Stamm, Indien - Mitglied der UN Jugendberatungsgruppe zum Klimawandel

Landrechte sichern, Gemeinschaften ihr Land zurückgeben

Tanabag Batak mit einer Karte ihres Stammesgebietes; Foto: ICCA Consortium

Es gibt aber auch viele Beispiele, wo Indigene Gemeinschaften durch die Sicherung ihrer Landrechte die bewährte traditionelle Nutzung der Gebiete mit einem selbstbestimmten Naturschutz verbinden und die Biodiversität dort weiter erhalten können. Naturschutz muss immer zusammen mit Menschenrechten und dem Recht auf Selbstbestimmung gedacht werden, um langfristig Erfolg zu haben. Gleichzeitig sollten westliche Gesellschaften sich klar machen, dass in ihren Ländern die Biodiversität bereits stark von der Industrie, insbesondere der Landwirtschaft, zerstört wurde. In Deutschland ist etwa 1/3 der Säugetierarten gefährdet und die deutschen Naturschutzgebiete sind laut EU unzureichend geschützt. Hier wäre es enorm wichtig, sich vor Ort einzusetzen um Natur-Kultur-Landschaften zu erhalten und degradierte Orte wieder zu renaturieren, z.B. Moore wieder zu vernässen, sodass sie auch Kohlenstoff speichern. Viel grundsätzlicher müssten westliche Kulturen ihr Weltbild kritisch infrage stellen, die eigene Abhängigkeit von der Natur anerkennen und ihre eigene Gesellschaft und Industrie so verändern, dass das 6. Massensterben der Arten aufgehalten werden kann.

Quellen:

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