Die wirklichen Ursachen für Biodiversitätsverlust und Ausbeutung bekämpfen

Von Wirtschaftswachstum und Überkonsum zu alternativen Ökonomien und Systemwandel

Bild: degrowth.info (Global Degrowth Day 2021)

In diesem Augenblick der Erdgeschichte scheint die Zukunft der menschlichen Gesellschaften sehr ungewiss zu sein. Dies ist das Ergebnis von Unterdrückungssystemen wie Patriarchat, Rassismus oder Kolonialismus, die zur kapitalistischen Ausbeutung von Völkern und Ökosystemen geführt haben. Jedoch wurden diese Systeme seit jeher, bis heute, herausgefordert - von Menschen in vielfältigen Widerstandskämpfen einerseits und einem "Pluriversum von Alternativen" andererseits. Als europäische Industriegesellschaften können wir von diesen alternativen Formen der Gemeinschaftsorganisation lernen, wie wir unsere Beziehungen zu Menschen und zur nicht-menschlichen Natur wiederherstellen können.

Trotz Kolonialisierung und Unterdrückung konnten viele indigene Völker ihre Wertesysteme und ihre Mythologie bewahren, die oft die Wechselbeziehungen zwischen menschlichem und nicht-menschlichem Leben und das Gemeinschaftsleben in den Mittelpunkt stellen. Ähnliche Werte sind Teil der DNA von Konzepten wie Buen Vivir (Sumak Kawsay, Quechua) in Südamerika oder Ubuntu in Subsahara-Afrika. Während diese in ihren lokalen Gemeinschaften und gelebten Praktiken verwurzelt sind, sind ihnen Vorstellungen von einem guten Leben gemein - nicht für einzelne Individuen, sondern für die Gemeinschaft/Gesellschaft als Ganzes, in respektvollen und wechselseitigen Beziehungen mit den sie umgebenden Ökosystemen, die auch als lebensspendende, lebendige Entitäten (Pachamama) gesehen werden.

Bewegungen im Globalen Norden wollen solche traditionellen Wertesysteme auch wiederentdecken und fördern, die von den hegemonialen kapitalistischen Werten des Egoismus, Wettbewerbs und der Ausbeutung überdeckt wurden. Es ist klar, dass westliche Gesellschaften die Weltanschauungen und Traditionen anderer Kulturen nicht einfach übernehmen können, sondern ihren eigenen Weg in die Zukunft finden müssen. Das schließt auch die Notwendigkeit ein, die Schäden der Vergangenheit, die anderen Gemeinschaften zugefügt wurden, wiedergutzumachen. Alternative Lebensweisen sollten auf dem Gedanken der Suffizienz basieren und damit die ökologische Zerstörung der Ökosysteme und Gemeinschaften im Globalen Norden, vor allem aber im Globalen Süden durch Extraktivismus und Ausbeutung reduzieren. Die Unterstützung aktueller Widerstandskämpfe im Globalen Süden ist ein wichtiger Teil gelebter Solidarität und kann sich u.a. in Aktionen gegen die Zentralen internationaler Konzerne ausdrücken, die für Umweltverschmutzung oder Landraub verantwortlich sind.

Bild: Scottish Degrowth Network

Degrowth ist ein Konzept, das den wirtschaftlichen Wachstumszwang im Kapitalismus infrage stellt und darauf abzielt, die Vorstellungen von menschlichem Wohlstand neu zu bestimmen. Um den zerstörerischen Überkonsum von Ressourcen zu reduzieren, müssen alle schädlichen und unnötigen wirtschaftlichen Aktivitäten eingestellt werden. Suffizienz und Verteilung sind notwendig, um ein gutes Leben für alle Menschen und das nicht-menschliche Leben auf dem Planeten zu ermöglichen. Initiativen, die einige dieser Ideen in westlichen Gesellschaften praktizieren, sind ökologische Dörfer, Permakultur-Projekte oder Transition Towns, obwohl keine von diesen bisher in der Lage ist, den Mainstream neu zu definieren. Die Wiederentdeckung der menschlichen Verbundenheit mit Land und Ökosystemen ist der Kern vieler solcher Bestrebungen.

Die Wiederherstellung von lokalen und globalen Commons (Gemeingüter, Allmende) ist ein wichtiger Bestandteil vieler verschiedener Transformationskonzepte. Der Zugang zu öffentlichen und gemeinschaftlich verwalteten Ressourcen reduziert den Gesamtmaterialverbrauch (z.B. öffentliche Verkehrsmittel im Vergleich zu individuellen Autos) und bietet einen gerechteren Weg zur Erfüllung grundlegender Bedürfnisse der Menschen wie Nahrung, Unterkunft und Gemeinschaft - aber auch kultureller, emotionaler und intellektueller Bedürfnisse, die durch einen "gemeinsamen Reichtum" erfüllt werden, der reguliert, aber auch für alle zugänglich ist. Commons unterstützen die Umverteilung der Macht von Konzernen zu lokalen Gemeinschaften und Menschen. Das gemeinschaftliche Wohlergehen gilt hierbei als wichtiger als privates Eigentum und individualistische Wünsche. Dies geht nicht zulasten des Individuums, sondern erfüllt im Gegenteil tiefere individuelle Bedürfnisse (Gemeinschaften bieten materielle und soziale Sicherheit, Konsensbildung führt zu stärkeren sozialen Bindungen, die jedes Individuum unterstützen). Das Konzept, Ressourcen als Commons zu verwalten, trägt dazu bei, die Verbundenheit von Menschen und Gemeinschaften untereinander wiederzuentdecken und schließt die Fürsorge für zukünftige Generationen dieser Gemeinschaften ein.

Genossenschaften (Kooperativen) zielen darauf ab, eine direktere Verbindung und Inhaberschaft von Menschen und Gemeinschaften zu der Produktion und sinnvoller Arbeit wiederherzustellen. Gleichzeitig streben sie nach Autonomie und einer gerechteren und nachhaltigeren Wirtschaft im Allgemeinen. Sie existieren in einer Reihe von Kontexten, als lokale Projekte innerhalb einer überwiegend kapitalistischen Wirtschaft und als wirtschaftliche Säulen etablierter autonomer Zonen wie bei den Zapatisten in Chiapas, Mexiko (Indigene Autonomie) oder in der multiethnischen Demokratischen Föderation von Nordsyrien ("Rojava").

Das Konzept des Öko-Sozialismus wird vor allem in Südamerika stark diskutiert, da die Gemeinden unter dem kapitalistischen Extraktivismus durch Umweltverschmutzung und Landenteignung gelitten haben, ohne dass sich die Lebensbedingungen wesentlich, wenn überhaupt, verbessert hätten. Der Öko-Sozialismus baut auf dem Konzept des Sozialismus auf, konzentriert sich aber auf die Idee einer Wirtschaft innerhalb planetarischer Grenzen. Sein Ziel ist es, Gesellschaften und Ökonomien zu schaffen, die nicht ewig wachsen, sondern eine gerechte Verteilung in den Mittelpunkt stellen. Eine ähnliche Idee wird von Kate Raworth mit dem Konzept der "Doughnut Economics" vorgeschlagen.

Ein weiteres, aus Indien stammendes Konzept - "Radical Ecological Democracy" - baut auf dem Begriff des "Swaraj" von Ghandi, also der Autonomie und Unabhängigkeit auf der Ebene der Gemeinschaft, auf und versucht, ein Verständnis von Demokratie wiederherzustellen, bei dem die Menschen die Macht über die Entscheidungsfindung zurückgewinnen. Es beschreibt eine zutiefst ethische Art des Lebens, die nicht die Lebensrechte anderer Wesen verletzt. Das Verständnis der ökologischen Prozesse, der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt, die die Grundlage allen Lebens auf der Erde sind, führt zu Bewusstsein und Respekt vor den ökologischen Grenzen, von denen sich die menschliche Wirtschaft und Gesellschaft einschränken lassen muss.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Alternativen zur "imperialen Lebensweise" überall auf der Welt reichlich vorhanden sind und Inspirationen oder/und Entwürfe für eine andere Art des Zusammenlebens mit anderen Menschen und der Natur liefern. Es ist wichtig, sich all diese Ideen in ihrem jeweiligen Kontext vorzustellen und ein globales "Pluriversum" zu bilden, im Gegensatz zu einer einzigen Ideologie, die so vielen Menschen wie möglich aufgezwungen wird.

Quellen:

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Artikel

Konzeptwerk Neue Ökonomie


I.L.A. Kollektiv: Das Gute Leben für alle - Wege in die solidarische Lebensweise (frei verfügbares Buch)


Rosa Luxemburg Stiftung, Jamie Tyberg: Von Degrowth zur Dekolonisierung (tiefergehend)

"Mit der Degrowth-Formel, bestehend aus Sorge, Autonomie und Suffizienz, ist bewusstes Verlernen des Bisherigen möglich. Diese Formel ist entscheidend, um zu verstehen, dass das eigentliche Ziel der Degrowth-Verfechter*innen nicht die Aufhebung des Wachstums ist. Denn nicht darum geht es, sondern um Dekolonisierung."


VIDEOS

re:publica Campus: Wirtschaft ohne Wachstum, geht das? Diskussion zu Degrowth und Postwachstum


VIDEOS (Englisch)

New Economies: How Degrowth Will Save the World with Jason Hickel


Leaflets: What is Eco-Socialism and Who was Chico Mendes?


Eco India: How Gandhi's idea of Swaraj is inspiring communities to take charge of their environment

On Radical Ecological Democracy


Connecting Equality, Justice and Sustainability - Permaculture Action Network


Neighbor Democracy: The Communes of Rojava: A Model In Societal Self Direction

A deep dive into the structure of society in Rojava by Ian Campbell


Our Changing Climate: The Problem with Consumerism

A look at why green growth does not work


Artikel (Englisch)

yes!magazine: What an ecological civilization looks like


Ashish Kothari, Ariel Salleh, Arturo Escobar, Federico Demaria, Alberto Acosta (Edited by): Pluriverse: A Post-Development Dictionary (free PDF)

A great collection of short entries on various concepts/movements/topics for transformations across the world


The Conversation, Anna Pigott: Capitalism is killing the world’s wildlife populations, not ‘humanity’

Good introduction to the root causes of biodiversity loss. Exploding human consumption as the main cause of mass extinction - but as capitalism is made invisible as the underlying problem it leads to the wrong solutions.The different contributions to the crisis globally are also obscured by the (humanity) "we".


Uneven Earth, François Schneider and Joanna Pope: Degrowth


Medium, Nafeez Ahmed: Capitalism is destroying ‘safe operating space’ for humanity, warn scientists

According to a study in the journal Nature Communications the richest 10 percent of people are responsible for up to 43 percent of destructive global environmental impacts. Capitalism’s structural obsession with endless growth is destroying the very conditions for human survival on planet Earth.


Al Jazeera, Jason Hickel: The racist double standards of international development

On global inequality and how a ridiculously low "poverty line" set by western insitutions tries to hide it. In a racist double standard of international development, working conditions and wages are perceived very differently in the "North" and in the "South".


Medium, Nafeez Ahmed: Green economic growth is an article of ‘faith’ devoid of scientific evidence

Refuting the myth of decoupling of material use from environmental impact (the core idea of green growth)


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