Die rassistischen und kolonialen Wurzeln des Naturschutzes und seine neokoloniale Gegenwart

Eine Chepang-Familie vor den Resten ihres Hauses, Chitwan Nationalpark, Nepal; Foto: Raju Chaudhary, Survival International

Der Naturschutz hat allgemein ein durchaus positives Image – die meisten Menschen in Europa würden ihn nicht mit Rassismus und Gewalt in Zusammenhang bringen. Im Vordergrund stehen für Interessierte dabei häufig bedrohte Tierarten oder die Schönheit der Landschaft. Aber genau dieser Fokus führt in vielen Ländern Afrikas oder Asiens zu Menschenrechtsverletzungen. In Dokumentarfilmen werden Naturschutzgebiete dort häufig als menschenleere Landschaften dargestellt - Menschen als Teil der Natur sind selten präsent, und wenn, dann werden sie als Gefahr für seltene Tierarten oder Pflanzen dargestellt. Teilweise werden die Schutzgebiete von bewaffneten Rangern bewacht. Aber sind lokale Gemeinschaften wirklich eine Gefahr für den Naturschutz? Was haben Schutzgebiete und die damit verbundenen Vorstellungen der Beziehungen zwischen Mensch und Natur mit Rassismus und Kolonialismus zu tun?

Ein Blick in die Geschichte - Kolonialismus und die Entfremdung von der Natur

Als Kolonialzeit im engeren Sinne wird üblicherweise die Zeit seit den Amerikareisen von Christoph Kolumbus Ende des 15. Jahrhunderts bezeichnet. Gefördert von europäischen Königreichen und der Kirche, und im Glauben an die eigene kulturelle Überlegenheit, brachen Seefahrer zu anderen Kontinenten auf. Bis heute sprechen die Geschichtsbücher von ihnen als “Entdeckern”, was zeigt, wie sehr sogar unsere Sicht von Geschichte die europäische Perspektive in den Vordergrund stellt und alle anderen Sichtweisen ignoriert.

Denn dort, wo die Seefahrer ankamen, lebten seit Jahrtausenden Menschen in komplexen und hoch entwickelten Gesellschaften, z.B. die Maya oder Inka. Erst nach langen Zeiten von Vertreibung, Versklavung und Ermordung dieser Menschen, sowie tödlichen Epidemien durch eingeschleppte Krankheiten, erschien die Landschaft den später ankommenden Siedler*innen als “Wildnis”.

Der Kolonialismus war immer begleitet von zwei zentralen Ideen: zum einen, dass die Natur vom Menschen getrennt sei, dass “Wildnis” und “Zivilisation” Gegensätze darstellen und das “Zivilisation” besser ist als chaotische, nutzlose “Wildnis”. Und zum Anderen, dass die Menschen in den kolonisierten Gebieten den weißen Europäer*innen in jeder Hinsicht unterlegen waren. Sie wurden als wild, primitiv und gefährlich dargestellt, was als Rechtfertigung für den kolonialen Landraub diente.

Manche Gelehrte sprachen ihnen sogar das Menschsein ab, andere wiederum sahen sich berufen, sie zu “zivilisieren”. Dies führte zu Zwangs-Missionierung und der brutalen Zerstörung der jeweiligen Kulturen.

Die Kirche rechtfertigte das brutale Vorgehen gegen nicht-christliche Kulturen damit, dass diese “gottlos” seien, weil sie ihre eigene Religion als die einzig wahre betrachtete. Biblische Sätze wie “Macht euch die Erde untertan” wurden ebenfalls zur Rechtfertigung herangezogen.

Aber auch die wissenschaftliche Zeit der Aufklärung brachte keine Verbesserung. Sie fand sogar neue Rechtfertigungen für den Rassismus. Rationales Denken und der Glaube an Fortschritt und die Überlegenheit der europäischen Kultur wurden zu neuen Idealen.

Natur wurde immer mehr als Objekt betrachtet, als eine Ressource, die vom Menschen ausgebeutet werden darf. Weltbilder anderer Kulturen, die Natur als lebendig und beseelt betrachteten, wurden als rückständig und irrational verurteilt. Auch heute noch genutzte Begriffe wie “Naturvölker” und “Wildnis” gehen auf diese Zeit zurück.

Die Evolutionstheorie, die damals noch wenig zur menschlichen Evolution aussagen konnte, wurde als Rechtfertigung für die Einteilung in höher- und minderwertige “Rassen” missbraucht. So entstand der moderne Rassismus.

Der nach wie vor weit verbreitete Alltagsrassismus in den westlichen Industrieländern, aber auch Vorurteile, die im wissenschaftlichen Arbeiten nicht-weiße Perspektiven vernachlässigen, sind Beispiele dafür, wie die Kolonialzeit immer noch unser Denken und Handeln prägt.

Erste Nationalparks und Naturschutz als Festung

Der Naturschutz hat seine Wurzeln ebenfalls im Kolonialismus. Die Gründung erster Nationalparks in den USA wie z.B. Yellowstone und Yosemite bedeutete automatisch die Vertreibung Indigener Bevölkerungen. Dabei haben die Indigenen Bewohner*innen des Landes, auf dem die Nationalparks gegründet wurden, durch ihre Lebensweise diese Landschaften geformt, also genau diese vermeintliche “Ursprünglichkeit” geprägt, die von den westlichen Kolonialisten als schützenswert betrachtet wurde.

Theodore Roosevelt und John Muir im Yosemite Nationalpark, Kalifornien, 1903. Library of Congress

Auch die Gründung heute bestehender großer Naturschutz-Organisationen ist eng mit rassistischem und kolonialem Denken verbunden. So war z.B. John Muir, ein viel gelobter schottisch-amerikanischer Naturforscher und Mitbegründer der ältesten US-Naturschutzorganisation Sierra Club, bekannt für seine rassistischen Ansichten über Indigene und Schwarze Menschen. Erst letztes Jahr hat sich Sierra Club offiziell entschuldigt.

Auf dem afrikanischen Kontinent wurden große Landflächen unter Vertreibung und Zwangsumsiedlung der lokalen Bevölkerung als “Wildreservate” unter Schutz gestellt. Dies geschah meistens, nachdem weiße Großwildjäger große Teile der Wildtierbestände ausgerottet hatten, damit die Bestände sich erholten und weiter für die Jagd genutzt werden konnten.

Auch Deutschland errichtete als Kolonialmacht Ende des 19. Jahrhunderts solche “Schutzgebiete”, z.B. in Tansania und Namibia. Kolonialverbrecher wie Herrmann von Wissmann, denen bis heute Straßen und Denkmäler in ganz Deutschland gewidmet sind, waren oft passionierte Großwildjäger und engagierten sich für die Einrichtung dieser “Schutzgebiete”.

Die heute touristisch für “Safaris” genutzten Gebiete sind eine Fortführung dieser Tradition. Zahlende wohlhabende Tourist*innen dürfen nach bestimmten Quoten Wildtiere bei der Trophäenjagd abschießen während selbstversorgerische Jagd der lokalen Bevölkerung mit Wilderei gleichgesetzt und bestraft wird.

Die Natur in den Nationalparks wurde so zur Kulisse von Erlebnis und Erholung für die weiße Bevölkerung, während die rassistisch diskriminierte Indigene Bevölkerung ausgeschlossen wurde.

Fortführung des kolonialen Naturschutzes in der heutigen Zeit – Gewalt und Militarisierung im Naturschutz

Das Modell des sogenannten “Festungsnaturschutzes” existiert heute weiter – insbesondere in Ländern des Globalen Südens. Nationalparks sind in diesem Modell streng militärisch bewachte, oft sogar eingezäunte Gebiete. Die lokale Bevölkerung, der das Land gehört und die bis zur Einrichtung der Schutzgebiete dort von und mit dem Land lebte, wird vertrieben und ausgeschlossen. Das Spektakel der unberührten Natur wird dann als Erlebnis für den (Öko-)Tourismus vermarktet.

© WWF-Canon / James Morgan

2019 enthüllte das Nachrichtenportal BuzzFeed News massive Gewalt und Menschenrechtsverletzungen durch Nationalpark-Ranger in mehreren Ländern, u.A. Nepal, Indien, Kongo, Kamerun und der Zentralafrikanischen Republik. Die schwer bewaffneten Ranger, deren militärisches Training und Ausrüstung vom WWF mitfinanziert wurde, übten jahrelang unter dem Vorwand, Wilderei zu bekämpfen, massive Gewalt aus – es wurden zahlreiche Fälle von Ermordung, Folter, Vertreibungen, Zerstörung von Häusern und Eigentum und sexualisierter Gewalt dokumentiert.

Spätere unabhängige Berichte bestätigten diese Fakten, auch dass der WWF von den Verbrechen wusste und versuchte, diese zu vertuschen. Erst nach massivem Druck von Presse und Zivilgesellschaft beauftragte der WWF die unabhängige Untersuchung der Vorfälle – diese wurden bestätigt, wobei der WWF die eigene direkte Verantwortung weiterhin abstreitet. Es bleibt abzuwarten, ob WWF die Versprechen, Menschenrechte zu schützen, in Zukunft einhalten wird.

Dies war nicht das erste Mal und der WWF ist nicht die einzige Organisation, die Menschenrechtsverletzungen mitfinanziert und gedeckt hat – der gesamte Naturschutz muss sich grundlegend verändern: kein Naturschutz ohne Gerechtigkeit, kein Naturschutz ohne Schutz von Menschenrechten und Landrechten!

Weltweit fordern Indigene Menschen ein Ende des Festungsnaturschutzes, der auch als Teil eines neuen “grünen Kolonialismus” betrachtet wird. Zahlreiche Indigene Selbstorganisationen kämpfen für einen Naturschutz, der Landrechte, Selbstbestimmung und Geschlechtergerechtigkeit garantiert und sich am FPIC-Prinzip (free, prior and informed consent – freies, vorheriges und informiertes Einverständnis der Betroffenen) orientiert. Umweltaktivist*innen im Globalen Norden müssen zu Verbündeten dieser Kämpfe werden, damit die Erhaltung der lebendigen Welt und globale Gerechtigkeit nicht mehr im Widerspruch zueinander stehen, sondern zusammen umgesetzt werden.

Die höchste Biodiversität kommt in den Gebieten vor, in denen Indigene Menschen leben und wo ihre Landrechte und das Recht auf Selbstbestimmung gesichert sind – dies zeigt, dass sie mit ihrem jahrtausendealten Wissen die besten Naturschützer*innen sind.

“Wir wissen es besser” – Rassismus in der Wissenschaft und Missachtung traditionellen Wissens

Der Rassismus in Naturschutzorganisationen und in der Wissenschaft hat mehrere Dimensionen: Große Naturschutzorganisationen stammen überwiegend aus dem Westen, sie sind es, die das System von Schutzgebieten und der zusammenhängenden Forschung weltweit dominieren. Durch ihre Netzwerke und Medienreichweite haben sie viel mehr Spendengelder als lokale Initiativen und dominieren die Finanzierung von Naturschutzprojekten.

In Afrika, Lateinamerika und Asien werden häufig Menschen aus westlichen Kulturen für Naturschutzprojekte eingestellt, da sie z.B. an bekannten europäischen oder US-amerikanischen Universitäten studiert haben. Dies nimmt teils solche Ausmaße an, dass weiße Menschen mit schlechteren Kenntnissen höhergestellte Positionen bekommen, während besser qualifizierte, nicht-weiße Menschen, die vor Ort aufgewachsen sind, nicht befördert werden und als nicht geeignet gesehen werden, um Führungspositionen einzunehmen. Manchmal werden lokale Menschen auch nur befördert, um die angebliche Diversität der Organisation zu unterstreichen (tokenism), während im Großen und Ganzen eine riesige Ungleichbehandlung weitergeht.

Allgemein herrscht im Naturschutz eine westliche Besserwisserei vor, die koloniales Denken direkt weiterführt. Dabei sind etwa große Landraubtiere in Europa oder den USA viel seltener als etwa in den Ländern, in denen westliche Menschen glauben, mit ihrer Expertise helfen zu müssen. Die Bedürfnisse der Menschen vor Ort und ihre traditionellen Beziehungen zur nicht-menschlichen Natur erhalten einen geringen Stellenwert als die hauptsächlich wissenschaftlichen Naturschutzziele und -konzepte der westlichen “Expert*innen”. Die Menschen vor Ort sind es jedoch, die durch Eingrenzungen von Naturparks ihr Zuhause und ihren Lebensunterhalt ohne Mitsprache verlieren – ein deutlicher Rassismus.

Die Betonung auf rationale Fakten und eine stark westlich geprägte Wissenschaft schließt systematisch Indigenes und traditionelles Wissen und jahrtausendealte Erfahrungsschätze aus. Vielen Naturschutzprojekten liegt der Gedanke zugrunde, durch wissenschaftliche Datenerhebung, Berechnungen und Modelle die Ökosysteme und Natur besser verstehen zu können, als die Menschen, die tagtäglich in diesen Landschaften leben. Häufig werden Konzepte des Naturschutzes von einem Ort einfach auf den nächsten übertragen, ohne die lokalen und kulturellen Gegebenheiten zu beachten oder die lokale Bevölkerung mit einzubeziehen.

In den letzten Jahren wird im Naturschutz der Wert von traditionellem Wissen jedoch mehr und mehr anerkannt - doch teilweise im gleichen Zug vereinnahmt und missbraucht. Deswegen ist hier ein genaues Hinsehen notwendig. Wird ein Projekt unter Nutzung von “traditional ecological knowledge” von der betroffenen Gemeinschaft selbst entworfen und mitverwaltet? Nützt ihnen das Projekt etwas? Hatte sie zuvor das Recht, nein dazu zu sagen?

Es gibt hier aber auch positive Beispiele, in denen z.B. Indigene Gemeinschaften durch das Erhalten von Landrechten selbstbestimmt ihre Lebensweise weiterführen oder wiederbeleben können. Die wenigen Beispiele gegenseitig respektvoller Kooperationen mit westlichen Organisationen sollten zur Norm werden.

Quellen:

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