Bild: Heinrich Böll Stiftung

Zur-Ware-Machen und Finanzialisierung von Natur

Sogenannte nachhaltige Geldanlagen sind in aller Munde. Internationale Institutionen wie die Weltnaturschutzunion IUCN, Banken und Konzerne, sowie große Umweltorganisationen wie WWF, Conservation International oder The Nature Conservancy sprechen von "Naturkapital", (natural capital), “Ökosystem-Dienstleistungen" (ecosystem services) oder “Biodiversitäts-Kompensationen” (biodiversity offsets). Es wird über Methoden diskutiert, wie der ökonomische Wert von Lebensräumen und ihre Leistung für Lebensqualität und als Grundlage des menschlichen Wirtschaftens berechnet werden kann.

Was passiert aber wirklich, wenn versucht wird, den Wert von Ökosystemen oder einzelnen Pflanzen- und Tierarten zu messen und zu bewerten? Was können wir uns unter dem Begriff "Finanzialisierung der Natur" ungefähr vorstellen? Dieser Begriff ist in der Breite der Bevölkerung noch relativ wenig bekannt, spielt aber in der internationalen Umweltpolitik eine zunehmend wichtige Rolle. Auf den ersten Blick erscheint es vielleicht sinnvoll – können Arten und Lebensräume gerettet werden, wenn den naturzerstörenden Industrien die verursachten Schäden in Rechnung gestellt werden und sie dadurch für Langzeitschäden an Mensch und Natur aufkommen müssen? Die Befürworter*innen dieser Konzepte, häufig Wirtschaftswissenschaftler*innen oder Vertreter*innen von Industrie und Banken, argumentieren gerne, dass der Wert der Natur bisher in der Wirtschaft kaum Beachtung fand, und dies auch zu mangelnder Wertschätzung führe.

Kritiker*innen dieser Konzepte sprechen aber davon, dass die Inwertsetzung von Natur dazu führt, dass einzigartige Lebensräume auf vergleichbare, austauschbare Einheiten reduziert werden. Wird z.B. irgendwo ein Wald für Palmölplantagen oder Bergbau zerstört, wäre es nach dieser Logik in Ordnung, dafür als Ausgleich einen anderen, ähnlichen Wald an anderer Stelle zu erhalten oder neu anzulegen – als sog. Kompensationsprojekt oder “offset”. Der alte Wald als Heimat für zahlreiche Lebewesen und als Lebensgrundlage für die dort lebenden Menschen, mit all seiner kulturellen und spirituellen Bedeutung, wäre dennoch unwiederbringlich verloren.

Das Bestreben, natürliche Ressourcen ökonomisch zu bemessen, ist nicht neu. Holz, pflanzliche und tierische Produkte oder Land sind schon lange Teil der Wirtschaftskreisläufe und können gekauft oder verkauft werden. Bei der neuen Finanzialisierung der Natur geht es aber um mehr als nur den Handel mit Naturprodukten oder mit Ackerland. Mit dem Vergleichbar- und Verwertbarmachen von Leben wird versucht, weitere Teile der Natur in Vermögenswerte umzuwandeln und sie für den Handel verfügbar zu machen. Dies geht über die greifbaren Produkte hinaus – hier werden Eigenschaften der lebendigen Natur isoliert, ökonomisch bewertet und so auch handelbar auf den globalen Märkten gemacht.

Bild: Dasgupta Review

Ökosystemdienstleistungen

Bestimmte Funktionen eines Lebensraums, wie z.B. das Speichern von CO2 durch Bäume, das Filtern von Wasser durch Böden, oder das Bestäuben landwirtschaftlich genutzter Pflanzen durch Insekten, werden als sog. “Ökosystemdienstleistungen” (ecosystem services) bezeichnet.

In den Debatten um den Schutz von Lebensräumen und des Klimas ist oft zu hören, dass diese Ökosystemdienstleistungen mithilfe der ökonomischen Bewertung endlich die Anerkennung bekommen, die ihnen zusteht. Es stellt sich aber die Frage, ob diese Art von Wertschätzung die Biodiversitäts- und die Klimakrise wirklich lösen kann. Ökosysteme und Lebewesen werden hier als ökonomische Produktionseinheiten betrachtet, die bestimmte Leistungen zum Wohle des Menschen zu erbringen haben, und nicht als Leben, das an und für sich wertvoll ist.

Business, Börse und Umwelt-NGOs

In den letzten Jahren sind zahlreiche ineinander verschachtelte und schwer zu durchschauende Netzwerke entstanden: sie tragen klangvolle Namen wie "The Capitals Coalition", "Business For Nature", “We Mean Business” oder WBCSD (World Business Council for Sustainable Development).

Ein Blick in die Listen der Mitglieder dieser Netzwerke zeigt, dass hier naturzerstörende Industrien Partnerschaften mit Umweltschutz-NGOs und der internationalen Umweltpolitik eingehen. Es stellt sich aber die Frage, wer hier wen beeinflusst und mit welchem Ergebnis. Die NGOs brauchen Geld, um arbeiten zu können, sie bekommen es immer mehr von der Wirtschaft, um z.B. Kompensationsprojekte zu organisieren. Mit der fortschreitenden Zerstörung von Natur und dem wachsenden Bewusstsein der Konsument*innen für ökologische und soziale Probleme benötigen Banken und Konzerne ein grünes Image und eine Berechtigung, weiter wirtschaften zu können. Dass sie sich mit ihren Partnerschaften für Natur- und Klimaschutz schmücken können, verschafft ihnen die gewünschte Imageverbesserung und die Lizenz zum Weitermachen.

Große Banken wieHSBC oder JP Morgan Chase verkaufen, oft in Kooperation mit Umwelt-NGOs, Finanz-Produkte mit einem Nachhaltigkeits-Schwerpunkt, investieren aber gleichzeitig weiterhin in naturzerstörende und klimaschädliche Industrien. Außerdem existieren zahlreiche Firmen, die sich auf die Erstellung von Bewertungs-Gutachten zu Naturkapital und den Handel mit Biodiversitäts- und Klima-Zertifikaten und Beratung zu diesen Themen spezialisieren (z.B. Forest Trends). Oder Firmen, die Arten- und Ökosystemschutz in Form von Aktienpaketen auf den Finanzmärkten handeln – und so Natur zu einem Spekulationsobjekt machen, das den Gesetzen des freien Marktes unterliegt.

Die ökonomische Bewertung der Natur und sog. “nachhaltige Investments” scheinen ein sehr lukratives Geschäft zu werden. Statt strengerer Gesetze, die weitere Zerstörung und Verschmutzung verhindern, und einem grundlegenden Wandel des Wirtschaftssystems wird auf mehr oder weniger freiwillige Ausgleichs-Leistungen der Firmen gesetzt und gleichzeitig werden damit neue Profite erzielt. Wieviel davon einen wirklich sinnvollen Effekt hat, und was nur auf dem Papier gut aussieht, ist schwer zu erkennen und nachzuweisen. Die Zerstörung kann damit aber auf keinen Fall gestoppt werden.

Hochkomplexe, oft Hunderte von Seiten umfassende Dokumente wie z.B. das vor Kurzem erschienene, vielgelobte “Dasgupta Review” oder das “Natural Capital Protocol” präsentieren Konzepte, mit deren Hilfe der Wert von “Ökosystemdienstleistungen” oder “Naturkapital” berechnet werden können. Dies soll helfen, Ausgleich für die Schäden zu schaffen und Natur immer mehr in die wirtschaftlichen Planungen mit einzubeziehen. Natur wird in diesen Konzepten als “Asset”, also Vermögenswert, betrachtet, und so dem Fluss von Waren, Dienstleistungen und Vermögen im neoliberalen Kapitalismus zugeführt. Gleichzeitig wird, wie im Dasgupta Review, Bevölkerungswachstum und “die Menschheit” für Naturzerstörung verantwortlich gemacht, statt sich auf die wirklichen Ursachen zu konzentrieren: auf ständigem Wachstum basierende Wirtschaft und der übermäßigen Ressourcenverbrauch der Industrieländer, sowie die extreme globale Ungleichheit. Es wurde schon oft kritisiert, dass der Fokus auf “Überbevölkerung” eine sehr rassistische Idee ist – die Schuldigen werden meist im Globalen Süden verortet und so wird vom enormen Energie- und Ressourcenverbrauch der Industrieländer abgelenkt. Diese Berichte und Konzepte sind zwar öffentlich zugänglich, aber die vielen technischen Begriffe machen sie für Laien oft schwer verständlich und so findet wenig öffentliche Debatte darüber statt, während hinter den Kulissen die internationale Umweltpolitik immer mehr von einem ökonomischen Denken bestimmt wird.

Was steckt hinter dieser ganzen Komplexität?

Vereinfacht gesagt, wird hier der einzigartige Charakter von Lebensräumen und Lebewesen, ihre ganz eigene Geschichte und Bedeutung, zu einer Liste vergleichbarer und austauschbarer Funktionen reduziert. So wird es für Industrien einfacher, einen bestimmten Ort zu zerstören, und z.B. Bergbau-Genehmigungen zu bekommen, weil sie gleichzeitig anbieten, die Leistungen dieses Ortes einfach woanders wieder herzustellen. Es wird dann gesagt, dass die Zerstörung ausgeglichen wurde, da die gleichen Leistungen ja auch an einem anderen Ort erzielt werden können und somit zumindest formal nicht verschwinden. In der Realität sieht es dann oft so aus, dass ein doppelter Landraub stattfindet – Menschen, die dort leben, wo die Industrie Natur zerstört, sei es für Bergbau, industrielle Landwirtschaft oder Holzplantagen, werden von ihrem Land vertrieben. Gleichzeitig wird an einem anderen Ort ein Schutzgebiet errichtet, in dem oft die traditionelle Nutzung durch lokale Gemeinschaften nicht mehr erlaubt oder eingeschränkt ist – auch hier verlieren die Menschen oft den freien Zugang zu ihren natürlichen Lebensgrundlagen. In manchen Fällen handelt es sich um sog. Festungsnaturschutz, also von bewaffneten Rangern bewachte, abgeriegelte Schutzgebiete. In anderen Fällen wird die lokale Bevölkerung zwar nicht komplett ausgeschlossen, verliert aber dennoch die Möglichkeit zur freien Nutzung ihres Landes und darf dann als schlecht bezahlte Ranger für die Schutzgebiete arbeiten oder muss sich ein anderes Auskommen suchen, was oft nicht gut funktioniert.

Rio Tinto Mine, Madagaskar

Malagasy in front of a forest deignated as an "offset", Madagascar; Image: Mongabay

Wie "Biodiversitätskompensationen" Menschen vor Ort betreffen

Auf Websites und in Hochglanzbroschüren der Organisationen, die Konzepte wie Naturkapital und Ökosystemdienstleistungen befürworten, wird behauptet, dass die Rechte der lokalen und Indigenen Gemeinschaften respektiert und gefördert werden. Ein entscheidendes Prinzip im Umweltrecht ist das sog. FPIC (Free, Prior and Informed Consent – Freie, vorherige und informierte Zustimmung der lokalen Gemeinschaften). Nach diesem Prinzip müssen Indigene und lokale Gemeinschaften selbstbestimmt entscheiden können, was mit ihrem Land passiert. Die Abstimmungen mit lokalen Gemeinschaften nach FPIC-Prinzip müssen am Anfang eines jeden Vorhabens stehen, egal ob es um Industrie oder um Naturschutz geht. Dies wurde 2007 in der UN-Deklaration der Rechte indigener Völker festgelegt, die aber leider nicht völkerrechtlich bindend ist.

Zahlreiche Bespiele belegen aber, dass FPIC bei Kompensationsprojekten im Globalen Süden oft nicht eingehalten wird. Z.B. in Madagascar, wo ein Subunternehmen des Bergbau-Giganten Rio Tinto einen bedrohten Küstenwald für Mineralien-Abbau zerstört hat und dafür gleich drei Ausgleichsflächen an anderen Orten ausgewiesen hat. Auf den ersten Blick ein Gewinn für die Biodiversität, da die Ausgleichsflächen mehr als das Dreifache der zerstörten Fläche umfassen. Die ausgewiesenen Flächen liegen aber größtenteils in bereits vorhandenen Schutzgebieten. In der größten dieser Ausgleichflächen kann die lokale Bevölkerung ihre traditionelle Landwirtschaft nicht mehr betreiben und ist gezwungen, sich andere Einkommensquellen zu suchen. Statt Selbstversorgung mit Lebensmitteln, die durch die traditionelle Landwirtschaft möglich war, müssen die Menschen jetzt Produkte verkaufen, um ihre Familien ernähren zu können. Die Ernährungssicherheit ist gefährdet, und die alternativen Einkommensquellen funktionieren nicht. Viele andere Fälle sind z.B. im Environmental Justice Atlas dokumentiert.

Die Berechnungen für Kompensationsmaßnahmen basieren oft auf fiktiven Zukunftsprognosen, dort werden die erwarteten Biodiversitätsverluste, die auf den Ausgleichsflächen ohne die Maßnahmen entstehen würden, als zu hoch geschätzt. So werden die Ausgleichsflächen oft innerhalb bereits bestehender Schutzgebiete ausgewiesen und dann gesagt, dass ohne das Geld von den Konzernen die Natur dort in einem viel schlechteren Zustand wäre - was sich aber nicht genau belegen lässt.

Da solche Kompensationsprojekte überwiegend im Globalen Süden stattfinden, ist die Finanzialisierung der Natur eine zutiefst rassistische und neo-kolonialistische Idee. Der überbordende Konsum in den Industrieländern mit seinem enormen Ressourcenverbrauch und das globale Wirtschaftswachstum werden damit weiter ermöglicht. Zerstörerische Industrien und der fortschreitende Raubbau an der Natur werden gerechtfertigt, da die Firmen nun behaupten, für Ausgleich zu sorgen – der Ausgleich findet aber überwiegend an Orten statt, deren lokale Bevölkerungen eine lange Geschichte von Kolonialismus und Ausbeutung erleben und fortwährende Kämpfe für ihre Landrechte und für Selbstbestimmung führen. Natur nur anhand ihrer “Leistungen” zu bemessen und zur Ware und zum Spekulationsobjekt zu machen, widerspricht außerdem vielen traditionellen Weltbildern Indigener Gemeinschaften, die Natur als lebendig und heilig betrachten und in gegenseitiger, respektvoller Beziehung mit dem gemeinschaftlich genutzten Land leben.

Natürlich gibt es Unterschiede zwischen den Kompensationsprojekten, was die Einhaltung Indigener Landrechte und den Nutzen für die lokale Bevölkerung angeht – aber auch bei Vorzeigeprojekten bleibt die grundlegende Ungerechtigkeit bestehen – Menschen, die am Wenigsten zu den ökologischen Krisen beitragen, sind am stärksten von ihren Folgen betroffen, und müssen gleichzeitig für den Ausgleich der Zerstörung durch den Konsum der Industrieländer aufkommen.

Die Finanzialisierung und das Zur-Ware-Machen von Natur vertiefen nur die Trennung von Mensch und Natur, die insbesondere Menschen in den Industrieländern dringend überwinden müssten, um wieder innerhalb planetarer Grenzen leben zu können und Ressourcen gerecht zu verteilen. Es gibt aber andere Konzepte für Natur- und Klimaschutz, bei denen Menschenrechte und Indigene Landrechte respektiert werden und gleichzeitig Arten und Ökosysteme geschützt werden, wobei die Gemeinschaften vor Ort selbst über die Projekte bestimmen und eine führende Rolle einnehmen.

Diese Formen von Beziehungen mit der Natur, die an vielen Orten bereits erfolgreich umgesetzt werden (oder auch schon seit Generationen dort existieren), machen Hoffnung auf einen wirklichen Systemwandel und die Möglichkeit eines positiven Zusammenlebens von Mensch und Natur. In späteren Kapiteln dieser Kampagne berichten wir mehr über diese Erfolge und zeigen auf, wie wir als Aktivist*innen gerechten Naturschutz lokal und global unterstützen können.

"In der Geschichte hat es viele Versuche gegeben, Land, Nahrung, Arbeit, Wälder, Wasser oder Gene, zur Ware zu machen, und solche Ideen wie die Privatisierung unseres traditionellen Wissens. Die Finanzialisierung der Natur tritt in die Fußstapfen dieser Geschichte und macht die Heiligkeit der Kohlenstoff- und Lebenskreisläufe unserer Mutter Erde zu Eigentum, das auf einem globalen Markt gekauft oder verkauft werden kann. Durch diesen Prozess, aus der Natur eine neue Ware zu schaffen, wird die Fähigkeit von Mutter Erde, ein lebensfreundliches Klima und menschliche Gesellschaften zu unterstützen, in die Hände derselben Konzerne übergeben, die das Klima zerstören und die sozialen Ungleichheiten in vielerlei Hinsicht vergrößern. Es ist eine Verletzung des Heiligen. Schlicht und einfach."

Tom Goldtooth, Indigenous Environmental Network:

Quellen:

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