"The Case for Convivial Conservation"

30 % by 2030: Der "Global Deal For Nature"

Warum wir ihn kritisieren sollten und was die Alternativen sind

“Half Earth” ist ein Konzept des berühmten US-Biologen E.O.Wilson, das sich bei genauerem Hinsehen als sehr problematisch erweist. Nachdem Wilson zuvor u.a. den Begriff der Biodiversität prägte, machte er mit seinem 2016 veröffentlichten Buch “Die Hälfte der Erde. Ein Planet kämpft um sein Leben” die Forderung "Nature Needs Half" populär. Dort fordert er, dass die Hälfte der Erde zu Schutzgebieten erklärt werden soll, um sie vor dem zerstörerischen Einfluss des Menschen zu schützen. Sein Ansatz ist, dass Naturschutzgebiete helfen, zerstörerische Industrien zu begrenzen, aber es schlicht bisher nicht genug Fläche gibt, die so geschützt ist. Dabei verallgemeinert er die "Menschheit" stark und spricht ihr die Fähigkeit ab, im Einklang mit der nicht-menschlichen Natur zu leben, so wie das etwa Indigene Gruppen tun. Statt das naturzerstörerende Wirtschaftssystem zu ändern, möchte er Menschen von Natur räumlich trennen. Allerdings würde Wasser- oder Luftverschmutzung nicht auf einer "Seite" bleiben und es gibt keine Beschreibung davon, wie etwa das Leben auf der menschlichen Seite aussehen würde.

Die Idee, dass Artenvielfalt durch eine massive Vergrößerung von "protected areas" erhalten werden kann, bekommt auch auf internationaler Ebene immer mehr Zuspruch. So wird in UN Gremien wie dem CBD (Convention on Biological Diversity) und IUCN (International Union for Conservation of Nature, Weltnaturschutzunion) diskutiert, bis 2030 30% der Erdoberfläche unter strengen Schutz zu stellen - Flächen, die sowohl Land- als auch Meeres-Ökosysteme beinhalten würden. Kampagnen wie der “New/Global Deal for Nature and People” sollen diese Ideen und Prozesse bekannter machen und die Politik zur schnelleren Umsetzung dieser Ziele bewegen. Auf der 15. COP (Conference of the Parties) der CBD in Kunming, China soll “30x30” dieses Jahr beschlossen werden und viele Länder haben bereits erklärt, dass sie das Ziel unterstützen wollen.

Zum konsequenten Schutz der Biodiversität ist Handeln dringend nötig. Gute Absichten und Erklärungen nützen nichts, wenn sie nicht umgesetzt werden. Für die Dekade 2010-2020 etwa hatte sich die UN 20 Ziele gesetzt und keines davon erreicht. Auch Deutschland erreichte von den 20 Zielen nur eines, 1/3 der Säugetierarten stehen auf der Liste de gefährdeten Arten. Aber an der 30x30 Idee gibt es aus ganz anderen Gründen Kritik von Indigenen Gemeinschaften, zahlreichen Organisationen aus dem Globalen Süden und Wissenschaftler*innen. Auf gar keinen Fall dürfen Anwohner*innen für Naturschutz von dem Land vertrieben werden, was sie seit Jahrtausenden nutzen. Insbesondere im Fall von Indigenen Gemeinschaften ist sowieso erwiesen, dass die Biodiversität auf ihrem Land sehr hoch ist und der beste Naturschutz darin besteht, ihre Landrechte zu garantieren. Auf keinen Fall darf Naturschutz zu Menschenrechtsverletzungen führen, wie es in der Vergangenheit und auch aktuell passiert, insbesondere dann, wenn Schutzgebiete von bewaffneten Eco-guards abgeriegelt werden. Die Kritiker*innen fordern demnach vor allem Entscheidungsmacht für die lokalen und Indigenen Gemeinschaften darüber, was auf ihrem Land geschehen soll. Das beinhaltet ihr freies, vorheriges und informiertes Zustimmen.

Indigene Ranger in der Dhimurru Aboriginal Area an der Arafurasea kümmern sich um eine Seeschildkröte; Foto: Grazia Borrini-Feyerabend

Heilige Landschaft in Khumbu, bewahrt von einer Sherpa-Gemeinschaft, Nepal © Ashish Kothari

Es gibt bereits verschiedene alternative Ansätze, die erfolgreich Menschenrechte mit effektivem Naturschutz vereinen. ICCAs (Indigenous Community Conservation Areas) oder auch "Territories Of Life", in denen Indigene Gemeinschaften bzw. Völker leben, werden von diesen selbst verwaltet und erlauben diesen einen Lebensunterhalt im Einklang mit der Natur. Auch in Europa gibt es schließlich hauptsächlich Nationalparks oder Landschaftsschutzgebiete, in denen Menschen leben und teils auch Landwirtschaft betrieben wird. “Rights Of Nature” oder Rechte der Natur sind ein rechtliches Konzept mit Ursprung in Indigenen Kosmologien, das nicht nur die Zerstörung der nicht-menschlichen Natur strafbar macht, sondern auch ihren inhärenten Wert unterstreicht. Convivial Conservation stellt die Trennung von “unberührter Wildnis” und menschlicher Kultur durch Schutzgebiete infrage. Nachhaltiges menschliches Leben von und mit der Natur wird gefördert, naturzerstörende Industrien müssen allerorten beendet werden. Solche Ansätze lassen sich zumindest teilweise in bestehende Konzepte des Naturschutzes integrieren - z.B ICCAs können als "Other effective area-based conservation measures" anerkannt werden.

Artenschutz ist nur möglich, wenn das Wirtschaftssystem sich grundsätzlich ändert und insbesondere Industriegesellschaften den Konsum von Material und Energie reduzieren. Wir müssen die Verantwortung dafür übernehmen, was das stetige Wachstum von sowohl vor Ort in Industrieländern der EU, aber auch in anderen Ländern anrichtet. Die "Rettung" der Biodiversität dürfen wir nicht auf Gemeinschaften abwälzen, die wenig zu den Problemen des Artenverlusts beitragen. Der Umbau des Wirtschaftssystems zu einer Degrowth/Postwachstums-Ökonomie zusammen mit einer tiefgreifenden Dekolonisierung ist notwendig, um langfristig die Artenvielfalt zu erhalten und Menschen ihre Lebensgrundlage zu garantieren. Auch wenn es nicht leicht ist die festgefahrenen Systeme, die unsere Welt gerade noch beherrschen, grundlegend zu verändern, machen sich viele Menschen auf den Weg dorthin.

Quellen:

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Artikel

Riff Reporter, Ulrike Prinz: Kritik an Umweltpolitik: Indigene fordern Mitsprache und warnen davor, sie beim Naturschutz zu übergehen

Zur Problematik des westlichen Begriffs von "Wildnis" und üblicher Naturschutzkonzepte, s.a. der Vorschlag "Half Earth", da dieser Vertreibung und Menschenrechtsverletzungen zu Folge haben könnte; Der Beitrag der indigenen Völker zum Erhalt von Ökosystemen wird zwar anerkannt, sie müssen aber trotzdem für ein Minimum an Mitbestimmung in der internationalen Biodiversitätspolitik kämpfen.


Survival International: Die große grüne Lüge


Survival International, Stephen Corry: New Deal for Nature: Den Kaiser dafür bezahlen, den Wind zu fangen

"Die Naturschutzindustrie sagt, 2020 sei ihr „Superjahr“. Sie will dreißig Prozent der Erde für den Artenschutz reservieren und Milliarden Dollar vom Kampf gegen den Klimawandel in „natürliche Klimalösungen“ umleiten. Doch dies wäre eine Katastrophe für die Menschen und den Planeten."


VIDEOS/AUDIO (ENGLISCH)

Hugh Govan and Mohammad Arju: Conversation of the controversy of 30×30 Campaign

hosted by the ICCA Consortium


Englische Artikel

Wall Street International, Ashish Kothari: Colonial conservation in new avatars

Good overview by Ashish Kothari on what is wrong with the idea of "half earth" and the new UN proposals and also what could be done better and which initiatives exist


ICCA Consortium, Hugh Govan, Mohammad Arju: Pacific nations are on the path of holistic ocean governance, the 30 by 30 campaign may destroy that


ICCA Consortium, Hugh Govan, Mohammad Arju: ‘30 by 30’ is a distraction, keep the focus on Indigenous and locally-led holistic ocean stewardship


Mapping For Rights: THE ‘POST-2020 GLOBAL BIODIVERSITY FRAMEWORK’ – HOW THE CBD DRIVE TO PROTECT 30 PERCENT OF THE PLANET COULD DISPOSSESS MILLIONS


Greenpeace, Irene Wabiwa Betoko, Savio Carvalho: To protect nature, bring down the walls of fortress conservation


World Rainforest Movement: The Conservation Industry’s Agenda in Times of Crisis

Expanding protected areas to 30% in the Global Deal for Nature: A colonialist anti-people approach and it allows the "destruction of forests and biodiversity to continue, both within and beyond their limits".

"The call for more Protected Areas addresses neither the root causes of destruction nor does it tackle the threats to which Indigenous peoples and peasant and traditional communities are exposed as a result of this destruction."


openDemocracy, Brototi Roy: Why indigenous voices must be heard in the global debate about biodiversity

For centuries Indigenous communities have remained responsible stewards for biodiversity protection. But today their voices are being ignored.



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