Liebe Georg-August-Universität, wir müssen über den Tod sprechen.

Unsere Rede zum Die-in am Wilhelmsplatz

Liebe Georg-August-Universität,

letzte Woche haben wir Ihnen einen offenen Brief vorbeigebracht. Darin haben wir Sie um drei Dinge gebeten:

  1. eine Stellungnahme zum Klimanotfall samt Appell an Stadt und Bundesregierung diesem Notfall gemäß zu handeln
  2. eine Stellungnahme zu Ihrem geplanten Weg in Richtung Null-Emissionen innerhalb der Universität
  3. eine Stellungnahme zur Zukunft des universitätseigenen Kraftwerks, das Energie aus Erdgas herstellt.

Wir sind weiterhin gespannt auf Ihre Antwort. Um unsere Bitten noch einmal zu verdeutlichen sind wir heute hier auf dem Wilhelmsplatz.

Liebe Georg-August-Universität, wir müssen über den Tod sprechen.

Deshalb übergebe ich das Wort an Dr. Michaelsen, Ärztin am Neu-Bethlehem Krankenhaus in Göttingen:

„In der Medizin sind aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse Grundlage unseres ärztlichen Handelns. Geht es in einer Akutsituation darum, das Leben einer Patientin zu retten, greifen wir auf genau dieses Wissen zurück. Das Wichtigste ist dabei, die Notfallsituation zu erkennen und ernstzunehmen. Wird der Notfall zu spät erkannt, kommt jede Hilfe zu spät. Dann nützt uns auch das eigentlich vorhandene Wissen nichts mehr. Auf das Erkennen des Notfalls folgt dann das entschlossene Handeln, um die Patientin zu retten.

Auf lokaler und globaler Ebene fehlt momentan noch ein solch entschlossenes Handeln anhand von wissenschaftlichen Erkenntnissen. Wir sind mittendrin in der Erderhitzung. Wissenschaftler:innen warnen davor, dass diese ab einem gewissen Punkt unaufhaltsam und unumkehrbar ist. Wir wissen nicht mit Sicherheit, ab wann das der Fall sein wird. Aber dass wir nicht genau wissen, ab wann die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten ist, sollte uns nur entschlossener handeln lassen.

Das grundlegende Wissen für mein ärztliches Handeln habe ich an der Universitätsmedizin Göttingen erworben. Es ist an der Zeit, dass die Uni selbst ihr Verhalten nach den Erkenntnissen der Wissenschaften ausrichtet. Handeln Sie endlich dem Klimanotfall entsprechend!“

Menschen verfügen ganz natürlich über eine nützliche Reaktion, die das Überleben im Angesicht einer immensen Bedrohung wahrscheinlicher macht – die Stressreaktion. Der drohende zivilisatorische Systemkollaps, vor dem die nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einer Stellungnahme warnt, sollte genau das bei uns auslösen. Stress.

Zivilisatorischer Systemkollaps heißt nämlich übersetzt: zu wenig zu trinken, zu wenig zu essen, Mord und Totschlag.

Wir sind heute hier auf dem Wilhelmsplatz, weil wir Stress spüren, wenn wir eine solche Warnung hören. Und Stress als Reaktion auf eine solche existenzielle Bedrohung ist hochgradig sinnvoll. Wir brauchen diese Stressreaktion. Sie fokussiert unsere Aufmerksamkeit, sie macht uns handlungsbereit, sie lässt uns Entscheidungen fällen.

Wir sagen, die moderne Wissenschaft ist unsere bestmögliche Annäherung an die Wahrheit. Wir vertrauen in ihre Erkenntnisse. Deshalb nehmen wir die Bedrohung durch eine unumkehrbare Klimakatastrophe ernst. Deshalb spüren wir großen Stress. Solange Sie diesen Stress nicht spüren, liebes Universitätspräsidium, sehen wir uns gezwungen, in unseren Hinweisen auf den Klimanotfall immer nachdrücklicher zu werden.

Am Klimanotfall sterben schon jetzt zahllose Menschen, z.B. bei Überschwemmungen oder Feuerkatastrophen. Forscher:innen warnen, dass die Situation sich ruckartig massiv verschlechtern könnte. Am Ende könnte dieser Planeten für uns lebensfeindlich sein – und das unwiderbringlich.

Es ist gar nicht möglich, angesichts eines solchen Notfalls überzureagieren. Es ist nicht möglich die Emissionen zu schnell zu stoppen oder die Ökosysteme zu schnell in Ruhe zu lassen. Denn alles, was wir wollen, ist die irreversible Katastrophe zu vermeiden.

Es ist nur wichtig, dass wir vor dieser Grenze, die die Katastrophe bedeutet, stoppen. Denn ähnlich wie beim Tod eines Menschen gibt es danach kein Zurück.

Bei einem solchen Versuch sind sehr viele Dinge plötzlich sehr unwichtig. Es ist zum Beispiel egal, wie viel Euro es kostet zu stoppen.

Es ist auch egal, ob wir elegant aussehen während wir stoppen.

Es ist egal, ob wir jemandem auf die Füße treten.

Es ist egal, ob das Präsidium der Georg-August-Universität Göttingen wütend auf uns wird.

Es ist nur wichtig, dass wir stoppen.

Wir müssen verhindern, über die Grenze zu schlittern, die eine unumkehrbare Katastrophe bedeutet.

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