Rebellion of One Bremen

Rebellion of One - Eindrücke von Flo

Die große Kreuzung Herdentor/am Wall. Autos lärmen, Menschen eilen, überall Masken, am Boden taut frischer Hagel. Meine Ampel wird grün, ich gehe gemächlich los. Ein wenig nervös bin ich schon. Bestimmt 20 Mal bin ich diesen Moment im Kopf durchgegangen. Auf der letzten von vier Fahrbahnen bleibe ich stehen, verbeuge mich kurz in Richtung des wartenden Autos, entschuldige mich im Kopf, hänge das Sandwichplakat um. Jetzt zählt es! Jetzt muss ich durchhalten! Meine Nervosität ist wie weggeblasen. Ich setze mich

Die Fußgängerampel wird rot. Die für Autos grün. Ich bleibe sitzen. In der ersten Phase fahren die Autos links und rechts an mir vorbei. Nutzen den Platz auf dem Bürgersteig um mich zu umkurven. Ein paar Fahrer*innen rufen unverständliches. Ich bleibe sitzen. In der nächsten Fußgängerphase rücke ich etwas nach links, um wenigstens eine der Fahrbahnen zu blockieren. Ein Autofahrer ruft „Der hat doch einen an der Waffel“. Ich lächle. Ein bisschen hat er schon Recht. Aus seiner Sicht. Ich bleibe sitzen.

Fußgänger*innen beobachten mich. Manche halten mich wohl für einen Irren. Ein paar vielleicht für einen Helden. Viele versuchen mein Sandwichplakat zu lesen. Ich drehe mich, um es ihnen einfacher zu machen. Einige machen Fotos. Viele Lächeln, zeigen „Daumen hoch“. Ein paar schauen undurchdringlich. Ich bleibe sitzen.

Nach einer unbestimmten Zeitspanne, später erfahre ich dass es 10 Minuten waren, hält vor mir ein Zivilfahrzeug mit blinkendem Parklicht. Fährt nicht um mich herum. Ich wundere mich. Warten die, bis ich weggehe? Ist das die Presse? Überlegen diese Autofahrer*innen ob sie mich überfahren wollen? Dann steigen zwei Gesetzeshüter aus und richten ihre Schirmmützen. Freunde in Blau! Sie kommen zu mir. Würde ich stehen, würden meine Knie zittern. Zum Glück kann ich meine Stimme beherrschen. Wir stellen uns vor. Die blau gekleideten Freunde fragen mich, wie lange ich hier noch zu sitzen gedenke, sie würden meinen Standpunkt verstehen aber der Protest habe verhältnismäßig zu sein. Ich habe keine Ahnung. Schlage 30 Minuten vor. Die Freunde willigen ein. Ich bleibe sitzen.

Das blaue Team stellt einen Einsatzwagen vor mich, damit ich nicht überfahren werde. Zwei Einsatzkräfte stellen sich zu mir, um Pöbelnden zu erklären, dass ich alles richtig mache. Es pöbelt niemand. Stattdessen erklärt mir eine Dame, wie toll sie es findet, dass ich so für meine Generation eintrete und drängt mir fünf Euro auf. Ich bin gerührt von so viel Zuspruch und nehme nach kurzer Corona-Rücksprache mit den Freunden das Geld dankend an. Noch mehr Menschen geben mir positives Feedback. Ich lächle, bedanke mich. Ein high-five wird mir angeboten. Aus Gründen des Infektionsschutzes kann ich es leider nicht annehmen. Wenn gerade niemand kommt unterhalte ich mich mit den Freunden über warme Kleidung und über unser Glück mit dem Wetter. Die Sonne scheint. Der Hagel ist längs weggeschmolzen. Ich bleibe sitzen.

Irgendwann teilen mir die Freunde in Blau mit, dass meine 30 Minuten bald ablaufen. Kurz überlege ich länger zu bleiben und mich wegtragen zu lassen. Möchte aber nicht die gute Beziehung zwischen grüner Szene und Polizei Bremen belasten. Ich habe heute viele Menschen erreicht, und vielleicht fahren ein paar von denen jetzt wirklich einmal weniger Auto. Als ich aufstehen will, durchfährt mich ein Prickeln und ein Schreck. Meine Beine sind eingeschlafen. Mit meinem schönsten Lächeln erkläre ich den Freunden meine Situation. Nicht schlimm. Sie haben Verständnis und warten noch, während ich meine Waden boxe und massiere. Kein Mensch denkt heute auf dieser Kreuzung an Eskalation. Nach wenigen Minuten vertraue ich meinen Beinen wieder. Klemme mein Schild, meinen Regenschirm und meine Sitzunterlage unter meinen Arm. Bedanke mich bei den Freunden für ihren Schutz. Meine es ehrlich. Ich stehe auf.

Rebellion Of One - Eindrücke von Lily

Die Aktion war einfach durchzuführen. Als es grün wurde, ging ich los, blieb Mitten auf der Straße stehen

und setzte mich hin, im Schneidersitz. Dort saß ich nun, ja, ein wenig aufgeregt war ich schon - oder sagen

wir besser: gespannt wie ein Bogen, zum stillen Kampf bereit.

Das erste Auto kam, ein schwarzer SUV, blieb stehen, wartete kurz und fuhr dann weiter, wohl wissend, dass

er an mir nicht vorbeikam. Die kommenden Autofahrer waren nicht mehr so einsichtig, forderten mich auf -

mal freundlich, mal weniger - die Bahn frei zu machen, einige pöbelten sogar und drohten mir, mich einfach

umzufahren, wenn ich nicht auf der Stelle verschwände. Immerhin hätten sie wichtige Termine und könnten

nicht verstehen, weshalb ich nun gerade hier sitzen müsste. Ein Autofahrer stieg aus, telefonierend: „Das

kann noch dauern, da sitzt so eine Spinnerin auf der Straße, die lässt mich nicht durch.“ Entschuldigung, dass

ich störe, aber es ist ein Notfall! Die Klimakrise schreitet voran und die verkehrsbedingten Emissionen

steigen, ebenso wie die Neuzulassungen von immer größer werdenden SUVs, die unsere Städte verschandeln

und einen maßgeblichen Beitrag zur lebensbedrohlichen Erderhitzung leisten. Unser Haus hat angefangen zu

brennen und ja, daran sind nicht nur die vielen Autofahrer Schuld, aber sie sind auch Schuld und es gibt

1.000 gute Gründe, zumindest in der Innenstadt, auf das Auto zu verzichten. Wir brauchen JETZT eine

Politik der Fahrradstraßen und des kostenlosen ÖPNV, wir brauchen JETZT eine Mobilitätswende. Die

Konzepte liegen auf den Tischen und warten nur darauf, umgesetzt zu werden.

Ich habe diese Straße nicht zum Spaß blockiert. Es ist die coronakonforme Rebellion Of One, die an diesem

Samstag, 27.03.2021, um 13 Uhr in ganz Deutschland von Klimaaktivisten der Bewegung Extinction

Rebellion durchgeführt wird und leider viel zu wenig Presseecho bekommt. Da riskieren Menschen ihre

Gesundheit, weil sie Angst haben … vor der sich ankündigenden Klimakrise, die Freunde, Familien,

Lebensgrundlagen und ganze Ökosysteme bedroht. Eine Passantin fing an zu weinen, als sie mich sah: „Ja,

es ist furchtbar. Meine Hoffnung ist am Ende, dass wir diesen Planeten noch retten können.“ Ihre Worte

berührten mich sehr. When hope dies, action begins - ist es nicht das Motto unserer Bewegung?! Und an

diesem Tag, in diesen 45 Minuten, die ich da auf der Straße saß, war ich stolz, Teil dieser Bewegung zu sein,

die es verstanden hat, dass alles Reden nicht ausreicht, sondern radikale Zeiten radikale Maßnahmen

erfordern.

Ob ich Angst hatte, wurde ich später gefragt. Nein, zu keinem Zeitpunkt. Klar, die Situation hätte eskalieren

können. Das Auto ist stärker, es hätte mich verletzten können, offensichtlich waren einige Autofahrer*innen

auch kurz davor. Aber dann waren da auch so viele tolle Menschen, die von außen unterstützten,

aufkommende Spannungen geschickt zu schlichten wussten. Und dann kam die Polizei. Ich habe Jura

studiert und mir ist durchaus bewusst, dass meine Aktion bei entsprechender Auslegung unter den

Straftatbestand der Nötigung fallen könnte. Das hätte die sofortige Auflösung meiner Sitzblockade und im

schlimmsten Fall eine Anzeige bedeutet. Aber es kam ganz anders. Nach einer freundlichen Begrüßung

klärte mich der Polizeibeamte auf, dass sie zu meinem Schutz hier seien. Ob ich nicht auch anders

demonstrieren und meine Botschaft vermitteln könnte? Nein, das geht in Corona-Zeiten natürlich nicht und

wie gesagt, radikale Zeiten … . Er verstand, ich durfte sitzen bleiben, beschützt durch eine Traube von

Polizisten zwischen mir und der sich mittlerweile stauenden Menge von teils wütend hupenden Autos. Nach

weiteren 30 Minuten kam dann die Aufforderung, den Platz zu räumen. Die Aktion war beendet, nicht aber

unsere friedliche Rebellion gegen eine völlig unzulängliche Klimapolitik und die klimaschädlichen

Verhaltensweisen Einzelner, die endlich begreifen müssen, dass auch sie Teil des Problems sind.

Wirklich. Nichts liegt mir ferner, als irgendwen zu irgendwas zu nötigen. Aber wenn sich nichts ändert, dann

sind wir es, meine Mitstreiter und ich, die sich zu weiteren Aktionen wie diesen genötigt sehen.

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