Der folgende Text von Jojo aus Freiburg wurde wenige Tage nach den diesjährigen Aktionstagen von Ende Gelände verfasst. Ob das Maß an Polizeigewalt, auf das Bezug genommen wird, dem entspricht, was bei Aktionen der Rebellion Wave von Extinction Rebellion angewandt wurde oder nicht: Er passt in jedem Fall. Denn zum einen sind wir am Ende eine Kimagerechtigkeitsbewegung. Was einer Person an negativen Erfahrungen zugestoßen ist, betrifft uns alle. Und zum anderen hängt es stark vom Empfinden der betroffenen Person ab, wie sie die Extremerfahrungen, welche ein inhärenter Bestandteil von zivilem Ungehorsam sind, verarbeitet. Die beschriebenen Gedanken und Gefühle können somit zu vielerlei Situationen im Kontext des Klimaaktivismus passen.
Heute war es viel besser.
Aber wie ich es auch drehe und wende, gestern war einfach kein guter Tag. Der Schnitt von meinem Leben als Aktivistin zurück zum „normalen“ Berufsleben war zu hart. Er war schneller, als mein Gehirn verarbeiten konnte. Deswegen war ich gestern absolut nicht in der Lage, in meinem Alltag klarzukommen. Zu viele Gedanken, die noch immer in meinem Kopf rasten, besonders nach den vielen schlimmen Momenten, die wir am Wochenende im Rheinland erleben mussten. Die vollkommen überzogene Polizeigewalt gegen uns (nicht vergleichbar mit dem, was einige der anderen 'Finger' durchgemacht haben, aber dennoch viel zu viel für einige von uns) und andere. Das Gefühl völliger Hilflosigkeit, wenn frau nichts tun kann außer die Cops anzubrüllen, dass sie gefälligst aufhören sollen, ohne damit irgendeinen erkennbaren Effekt zu erzielen. Die rasende Wut über die Tatsache, dass Kinder (ja, Kinder – diesmal waren die jüngsten meiner Mitaktivist*innen gerade mal zwölf Jahre alt) so eine gigantische Angst vor ihrer Zukunft haben, dass sie das Gefühl haben, der einzige Weg, damit sinnvoll umzugehen, ist eine Kohleblockade, und die sich damit dem Risiko aussetzen, verprügelt und auch anderweitig vom System dafür bestraft zu werden, dass sie es tatsächlich wagen, darum zu bitten, auch in ein paar Jahrzehnten noch überleben zu dürfen. Das Gefühl, dass wir Erwachsenen komplett versagt haben. Mir fällt dazu, dass wir es nicht schaffen, ihnen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, beim besten Willen keine wohlwollendere Beschreibung ein. Und, um den Horizont noch etwas zu weiten, die Scham darüber, wie unglaublich und widerlich unmenschlich Europa mit den Menschen umgeht, die an seinen Grenzen Hilfe suchen. Wir lassen diese Menschen gerade langsam sterben, einfach so. Die Gruppen am rechten Rand der Gesellschaft, die mehr und mehr Zulauf gewinnen, mehr und mehr in die Mitte vordringen. Und die „normalen Leute“, die alldem gegenüber gleichgültig und/oder still bleiben, weil sie sich nicht dazu hinreißen lassen wollen, auch nur einen Blick aus ihrer Komfortzone heraus zu werfen.
Damit mich niemensch falsch versteht: Aktivismus ist großartig. In den letzten Jahren habe ich so unglaublich viel gelernt, wunderbare Menschen kennengelernt und mehr Möglichkeiten gefunden, mich und andere zu empowern, als ich jemals für möglich gehalten hätte. Aber wir sollten das nicht tun müssen. Wir sollten nicht unsere gesamte Freizeit opfern und unser physisches und seelisches Wohlergehen riskieren müssen, ebensowenig wie die Chance, ein geruhsames Leben ungestört der Strafen, die das System für uns vorgesehen hat, zu führen, und alles bloß für den Hauch einer Chance auf ein irgendwie halbwegs akzeptables Leben für alle.
Und gestern war einer dieser Tage, an denen ich nichts weiter wollte als nicht weiter kämpfen zu müssen. Nie wieder eine Aktion organisieren oder mich auch nur an einer beteiligen zu müssen. Nie wieder das Gefühl zu haben, dass diese Systeme, die wir als Menschheit geschaffen haben, bis in ihr Innerstes verfault und verrottet sind, aber ohne einen Weg zu sehen, daran etwas zu ändern. Mich nie wieder derart erschöpft, leer und traurig zu fühlen.
Heute war es viel besser. Aber ich wüsste wirklich nicht, wie ich ohne die Menschen und Strukturen um mich herum klarkommen würde.