Was ich mir anhören darf ...

Geschrieben von Gregor am 02.03.2022

Kommentare zu meinem Klima-Aktivismus

Teil 2 des aktuellen IPCC-Reports ist diese Woche erschienen (hier die 96-seitige Zusammenfassung). Er schildert die Folgen des von Menschen verursachten Klimawandels, der im ersten Teil beschrieben wurde. Ich zitiere von Seite 9 der Technischen Zusammenfassung: "Klimawandel verändert das Leben in allen Ökosystemen zu Land, im Meer und im Süßwasser. Die durch den menschenverursachten Klimawandel erzeugten Effekte treten früher auf, sind größer und mit mehr Konsequenzen als erwartet. Biologische Anpassungen der Natur reichen oft nicht mehr aus. Der Klimawandel führt zu Biodiversitätsverlusten und Zunahmen von Krankheiten, Massenaussterben, Umstrukturierung von Ökosystemen und Bränden."

Wir haben kaum noch Zeit, um daran was zu ändern: jede Verzögerung bedeutet weiteren Tod („delay means death“). Das war mir aber bereits vorher klar, dass uns die Zeit davon läuft.

Mich selbst nachhaltig zu verhalten, habe ich schon lange versucht. Wir nutzen bei uns zuhause Seife statt Duschgel (um Verpackung zu reduzieren), kaufen Milch lieber in Mehrweg-Glasflaschen, trennen Müll kleinteilig. Ich gehe zu Fuß zur Arbeit und zurück, ca. 3,5 km in jede Richtung. Urlaube versuchen wir in der Nähe zu machen, und falls wir doch mal fliegen, bezahlen wir CO2-Ausgleich. Weil die meiste Energie im Leben eines Autos bei Herstellung und Verschrottung drauf geht, haben wir das letzte Leasing-Auto gekauft und wollen es jetzt zwanzig Jahre fahren (wobei wir nur ca. 8.000 km im Jahr fahren).

Aber es reicht nicht aus, sich selber möglichst nachhaltig zu verhalten. Losgekoppelt von anderen mühe ich mich ab und trete auf der Stelle. Statt einzeln müssen wir zusammenarbeiten: alle Bürger:innen, die Politik, die Wirtschaft. Also denke ich seit 2021 darüber nach, aktiver zu werden und vor Ort, in meiner lieben kleinen Gemeinde Berlin, Klima-Aktivismus zu unterstützen.

Einige Menschen, denen ich davon erzähle, sagen "Sehr gut, mach das!" zu mir. Manche erzählen mir sogar, sie seien selber schon klima-aktiv.

Aber trotz der Sachlage und des Wissens über den menschenverursachten Klimawandel, das zur Verfügung steht, sind die meisten Reaktionen skeptisch oder ablehnend. Hier eine Auflistung:

"Bist Du in den Wechseljahren?" (mein Favorit): Klima-Aktivismus habe also keine tiefere Bedeutung als persönliche Eitelkeit oder das Bedürfnis, sich öffentlich aufzuplustern und anderen ihr Verhalten vorzuschreiben. Sehe ich nicht so: fürs Klima und unsere Umwelt zu kämpfen ist nötig, weil noch zu wenige von uns begriffen haben, wie unumgänglich das ist und dass unsere Zeit dafür gerade abläuft. Wann im Leben mir endlich auffällt, was wichtig und richtig ist, ist aber weitestgehend Zufall (vom eventuellen Anhäufen von Erfahrung und Weisheit mal abgesehen). Tut mir leid, dass ich so lange brauchte. Ist nun aber endlich soweit.

Ich hab etwas ältere Kinder, 15 und 19 Jahre alt. Möglich, dass ich langsam anfange, mir klar zu machen, wie ihre Welt im Unterschied zu meiner damals aussieht.

Vielleicht beruht das Missverständnis aber auch darauf, dass es heutzutage unvorstellbar ist, mich um was anderes als nur mich selbst zu sorgen? Dass es unglaubhaft klingt, wenn ich mich mit der realen Welt beschäftige statt mit NFTs oder dem metaverse?

"Willst Du Dich noch mal richtig jung fühlen": Klima-Aktivismus sei also etwas, was nur jüngere Menschen machen. Und die auch nur, weil sie nicht in die Schule wollen. Ja, sehr viele junge Menschen machen mit, was ich richtig gut finde. Denn gerade jungen Menschen wirft man ja oft vor, nur an sich selbst und ihr unmittelbares Vergnügen zu denken. Stimmt aber nicht immer: einige kämpfen sehr wohl für das Gemeinwohl und unsere Zukunft und leben dafür selber teilweise sehr asketisch oder gefährlich. Und trotzdem sind auch sehr viele ältere Menschen bei den Aktionen und in den Ortsgruppen, Chats usw. zu sehen. Das Alter ist sehr gemischt, meine (vereinzelten!) Ansätze grauer Haare fallen nicht wirklich auf. Aber ganz ehrlich: die Energie der jungen Klima-Aktivist:innen begeistert mich und steckt mich hoffentlich an.

"Warum willst Du anderen diktieren, wie sie zu leben haben?" Weil in Griechenland, Türkei, Kalifornien und Sibirien die Wälder brennen, während viele andere Landstriche nun öfter mal Fluten ausgesetzt sind. Weil sich das laut Konsens der Fachleute verschlimmern wird, wenn wir nicht sofort handeln. Weil wir nicht mehr viel Zeit haben, um eine Energiewende herbeizuführen, bevor die Temperatur unserer Atmosphäre um mehr als 1,5° Celsius ansteigen wird.

Wir wollen aber nichts diktieren: wir von Extinction Rebellion kämpfen dafür, dass die Bundesregierung sich mit zufällig ausgewählten Bürger:innen an einen Tisch setzt, um deren Meinung zur sofortigen weiteren Vorgehensweise kennenzulernen. Wir kämpfen nicht dafür, dass nur wir selber am Verhandlungstisch sitzen.

Uns geht es darum, dass wir auch in Zukunft ein lebenswertes Leben haben. Und dazu müssen wir jetzt eigentlich versuchen, die Durchschnittserwärmung der Atmosphäre auf nur 1,5° Celsius zu begrenzen. Dafür haben unsere Gesellschaft und die Bundesregierung aber schon zu lange rumgetrödelt. Wir sollten auch dafür sorgen, dass immer weniger Plastik in die Umwelt gelangt ebenso wie immer weniger Dünger und Schwermetalle usw. Dafür müssen wir als Gesellschaft Verhaltensweisen auf den Prüfstand stellen, die vielleicht bislang als normal galten, aber nicht nachhaltig sind. Denn wenn wir das jetzt nicht tun, drohen uns Klimakollaps, Nahrungsmittel- und Trinkwasserknappheit und in der Folge von alldem Krieg. Und das wird weltweite Flüchtlingsbewegungen auslösen und viel Leid mit sich bringen. Und das wird unser aller Leben deutlich verschlechtern.

"Diese Krise setzt die Kreativität frei, und jemand wird eine tolle Idee haben, wie sich alles magisch auflöst." Hmmmmmm, Techno-Utopie. Weit verbreitet unter uns allen, aber ganz besonders in der Politik und in der Wirtschaft. Techno-Utopie dient dazu, das eigene Konsumverhalten gar nicht zu hinterfragen, weil mensch ja als Einzelne/r sowieso nichts ausrichten kann. Und außerdem braucht mensch ja auch sein eigenes Verhalten nicht anzupassen, wenn denn bald die messianische Lösung vom Technologie-Himmel fällt. Und wenn es am Ende nicht klappt, hat mensch auch selber keine Schuld - die Eliten haben Schuld, die haben keine Tech-Ideen gehabt. Techno-Utopie ermöglicht also (unter anderem) ihren Verfechtern, persönliche Verantwortung von sich zu weisen.

Außerdem, bedenkt bitte: Ist nicht der aktuelle Zustand unserer Natur so schlimm im Hinblick auf Treibhausgase, Schwermetall-, Dünger- und Plastik-Belastungen unserer Flüsse, Seen und Meere als unbeabsichtigte Nebenfolge unseres Technologie-Einsatzes? Wenn unbeabsichtigte Folgen des Einsatzes von Technologie der Grund für unser Dilemma sind, wie kann dann weitere Technologie die Lösung sein? Wird sie nicht auch unbeabsichtigte Nebenfolgen haben?

"XR und vor allem letzteGeneration sind undemokratisch." Das zielt auf ein Missverständnis ab: wir würden die Bundesregierung erpressen, um selber am Verhandlungstisch zu sitzen oder aber der Regierung vorzuschreiben, was sie tun soll. Stimmt nicht, denn wir wollen nur erreichen, dass die Bundesregierung sich mit Bürgerräten auseinandersetzt. Diese sind aus 150 zufällig ausgewählten Bürger:innen zusammengesetzt - womit sichergestellt ist, dass weder wir noch Lobbyist:innen sicher dabei sein werden (sondern höchstens zufällig).

Zudem ist es nicht undemokratisch, sobald eine Mehrheit der Bevölkerung hinter uns steht.

"Woher wollt ihr denn wissen, dass die Welt im Untergang begriffen sein soll?" Weil die Wissenschaftler:innen uns sagen, dass 9 von 15 identifizierten Kipp-Punkten, die entscheidenden Einfluss aufs künftige Verhalten des Klimas haben, bereits überschritten sind. Weil die anvisierten 1,5° Celsius die ganz sichere Untergrenze sind, die sich die Wissenschaftler anzugeben trauen. Weil diese 1,5° Celsius als Durchschnittswert für die gesamte Atmosphäre gelten: aber ca. 70% der Erde sind von Wasser bedeckt, was wegen Verdunstung immer kühlt, also ist deshalb die Temperatur auf den Kontinenten und insbesondere in menschlichen Siedlungen deutlich (ca. 4-6° Celsius) höher, wenn wir diesen Durchschnittswert von 1,5° Celsius erreichen. Weil wir bislang auch nicht ansatzweise genug unternehmen, um auch nur diese 1,5° Celsius zu erreichen.

So ähnlich ist "Eure wissenschaftliche Methodenkenntnis ist unzureichend.": es geht hier nicht um unsere wissenschaftliche Methodenkenntnis. Wir verlassen uns auf die der Wissenschaftler:innen, die an den IPCC-Reports arbeiten.

"LinkedIn ist doch für Beruf (und Facebook ist doch für privat), was haben meine panikmachenden Posts also dort zu suchen?" Ah ja. Die Bedeutung der vor uns liegenden Aufgaben lässt diese Trennung zwischen privat und beruflich verwischen. Denn die Folgen unserer Untätigkeit werden auch nicht vor dieser Trennung halt machen. Extreme Wetterlagen, immer mehr Nahrungsunsicherheit auch im Globalen Norden, die Auswirkungen von bis zu einer Milliarde Menschen auf der Flucht vor für Menschen unerträglichem Klima werden uns treffen, egal ob wir privat von beruflich trennen. Darauf wollen wir hinweisen, darüber müssen wir alle nachdenken und gemeinschaftlich einen Weg finden, diese gesellschaftsübergreifende Probleme zu lösen. Und zwar jetzt, nicht in zehn oder zwanzig Jahren.

Und Aktionen ohne mediale Begleitung haben nicht stattgefunden, sagen wir uns. Es geht uns ja darum, dass immer mehr Bürger:innen sich der Ausmaße unseres Problems bewusst werden und mitmachen.

"Willst Du, dass alle arbeitslos sind." Nein, will ich nicht. Ich will menschliches Leid minimieren, indem wir unsere Gesellschaft und unsere Wirtschaft nachhaltig gestalten, sodass wir als Teil der Schöpfung leben. Aber weil unser Konsum und somit unsere Wirtschaftsleistung eben sehr stark an Energieverbrauch gekoppelt ist, was wiederum immer noch stark an den Ausstoß von Treibhausgasen wie CO2 und Methan geknüpft ist, werden wir auch über die Konsequenzen und den Sinn dauerhaften Wirtschaftswachstums reden müssen. Wenn wir das nicht tun, wird in der Zukunft alles noch schlimmer. Noch haben wir Zeit, unsere Wirtschaft und unsere Gesellschaft zu ändern, um nachhaltig und statt im Widerspruch lieber im Einklang mit der uns umgebenden Natur zu leben.

Sowas bekam ich also zu hören. Ich stelle fest, dass die meisten Menschen das aus meiner Sicht wichtigste Problem unserer Zeit kaum wahrnehmen. Sie sind entweder zu sehr mit ihrem Alltag und ihrem Smartphone beschäftigt oder stufen die Auswirkungen des Klimawandels falsch ein. Genau das muss sich dringend ändern. Denn was ich am liebsten gehört hätte, wäre gewesen:

"Oh, cool. Das habe ich mir auch gerade überlegt. Lass mich mitmachen!"

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