Eindrucksvoll und umstritten:
Rebellion of One
(Vorbemerkung der Blog-Redaktion)
Straßenblockaden sind nichts Neues bei XR. Indem wir gewöhnliche Abläufe stören, wollen wir erreichen, dass Menschen sich mit der Dringlichkeit der Klimakatastrophe auseinandersetzen.
Dieses Ziel verfolgt auch das neue Aktionsformat Rebellion of One, und auch das Mittel scheint dasselbe zu sein: Auch hier blockieren viele Aktivist:innen den Autoverkehr. Und doch gibt es einen entscheidenden Unterschied zu „herkömmlichen“ Blockaden: Anders als bisher agieren die Blockierer:innen nämlich nicht im Schutz einer Gruppe, sondern jede:r für sich allein, zunächst einmal. Zeitgleich, aber an verschiedenen Orten setzen sich einzelne Menschen auf die Straße und errichten eine „Ein-Mensch-Blockade“.
Ein gemeinsames Merkmal, das die einzelnen Teile zu einer großen Gesamtaktion zusammenfügt, ist ein Schild, das alle Aktivist:innen um ihren Hals tragen. Es enthält eine handgeschriebene, emotionale Botschaft, die eine persönliche Perspektive ausdrückt und zugleich jede Einzel-Blockade mit den anderen verbindet: Alle Statements beginnen mit „Ich habe Angst …“ und enden mit „… wegen der Klimakrise“. Den Teil dazwischen gestaltet jede:r individuell.
Für das Konzept spricht nicht nur, dass es „coronakonform“ ist. Möglicherweise ist es auch besonders effektiv.
Durch den Kontrast von Mut und Angst und die Kombination von Verletzlichkeit und Verzweiflung hat diese Aktionsform auch das Potenzial, für Menschen, die sie erleben, zu einer besonders eindrucksvollen und überzeugenden Erfahrung zu werden.
Zugleich können mit dieser Protestform auch viele Menschen ganz direkt erreicht werden.
Hinzu kommt, dass die Rebellion of One – mittels massenhafter Social-Media-Verbreitung - auch in besonderem Maße geeignet sein könnte, mediale Aufmerksamkeit zu generieren.
Gleichwohl ist das Format nicht unumstritten. Es hat kontroverse Diskussionen ausgelöst, und die Bedenken sind begründet. Denn gerade das, was diese Art des Protests so wirkungsvoll erscheinen lässt, geht einher mit relativ hohen Risiken: Verletzungsgefahr und Repressionsrisiken könnten für die Einzelnen - gegenüber einer Aktion innerhalb einer Gruppe - deutlich höher sein.
Warum sind Menschen bereit, diese Risiken einzugehen?
Einen Beitrag zur Debatte liefern die Reflexionen von XR-Mitstreiter Lars Werner. Er engagiert sich in der Ortsgruppe Göttingen und gehört zu denen, die sich entschieden haben, am 27. März Teil der Rebellion of One zu werden. Hier beleuchtet er seine Beweggründe.
Warum ich Menschen nötigen werde
von Lars Werner
Liebe Rebell:innen,
dies ist ein persönlicher Beitrag über meine Gedanken und Ängste im Hinblick auf die anstehende Aktion Rebellion of One, bei der ich mitmachen werde. Ich finde diese Aktionsform genial. Sie transportiert alle Faktoren, die den zivilen Ungehorsam bei Extinction Rebellion ausmachen: Gewaltfreiheit, Störung, Opferbereitschaft und ein Dilemma.
Dennoch habe ich mit mir gerungen, ob ich die Rebellion of One durchführen möchte. Ich habe mich nach langem Nachdenken dafür entschieden. Mit diesem Schreiben hoffe ich, auch andere zu diesem Schritt zu ermutigen.
Bei der Rebellion of One werde ich mich allein auf die Straße setzen. Dabei werde ich ein Schild um den Hals tragen, auf dem ich meine Angst wegen der Klimakrise ausdrücke. Keine XR-Symbole, keine Gruppe, durch die ich mich weniger verletzlich fühlen könnte. Ich werde die Autos so blockieren, dass sie nicht an mir vorbeifahren können. Dadurch ist es dem XR Legal Team zufolge wahrscheinlich, dass ich eine Anzeige wegen Nötigung bekommen werde.
Zweifel und Ängste
Als ich mich mit dieser Aktionsform auseinandergesetzt habe und zu dem Entschluss gekommen bin: „Genau das ist das Richtige jetzt während Corona, da mach ich mit!“, kamen auch schon die ersten Zweifel und angsterfüllten Gedanken. Mir macht es Angst, mir vorzustellen, wie ich allein eine ganze Straße blockiere. Ich habe Angst vor den Reaktionen der Autofahrer:innen und der Polizei sowie vor den rechtlichen Konsequenzen. Aus all diesen Gründen habe ich überlegt, ob ich entgegen des Aktionsdesigns nicht doch einen Ort wählen sollte, an dem die Autos zwar von mir gestört werden würden, aber dann um mich herumfahren oder umdrehen könnten. Ich wollte sozusagen meine eigenen Ängste umfahren.
Der Konfrontation aus dem Weg gehen
Diesen Gedanken hatte ich auch schon bei anderen Straßenblockaden von XR, an denen ich teilgenommen habe. Ich dachte: Stören ist gut, ich möchte die Leute aufrütteln. Aber ich wollte keine Menschen nötigen, indem ich sie zwinge, in ihren stehenden Autos vor mir auszuharren, obwohl sie da eigentlich weg möchten. So war ich immer froh, als Autos dann irgendwann im Verlauf der Blockadeaktion umgeleitet wurden und ich der Konfrontation aus dem Weg gehen konnte.
Als ich weiter über den Sinn der Rebellion of One nachgedacht habe, kam ich auf einen Gedanken, den ich bisher in Bezug auf zivilen Ungehorsam noch nicht hatte:
Möchte ich wirklich keine Menschen nötigen? Wenn ich ehrlich zu mir bin, ist es genau das, was ich mit meinem zivilen Ungehorsam bezwecken möchte: Menschen und unsere Gesellschaft zwingen, sich mit der Klimakatastrophe wirklich auseinanderzusetzen. Deswegen leiste ich zivilen Ungehorsam. Weil nett Fragen und Bitten nicht hilft. Weil bereits Menschen sterben. Weil Milliarden Menschen sterben werden.
Ich will all das menschliche Leid nicht. Ich habe Angst davor, dass wir uns wegen den Auswirkungen der Klimakatastrophe, mehr als jetzt bereits schon, bekriegen werden. Dass wir um Ressourcen - wie Nahrung, Wasser oder Land - kämpfen werden und dass wir nicht miteinander teilen werden, weil sowieso nicht mehr genug für alle da ist. Dass wir erneut im Faschismus landen werden und die Hoffnung auf eine menschliche und egalitäre Gesellschaft zerstört wird.
Mein Dilemma
Ich will Menschen mit der Klimakatastrophe konfrontieren, weil wir sonst gezwungen sind, an ihren Folgen zu sterben. Die direkte Konfrontation auf der Straße soll außerdem, über die Medien vermittelt, eine Konfrontation von noch mehr Menschen mit der Klimakrise erzeugen – eine gesellschaftliche Debatte.
Wenn wir uns nicht trauen, eine direkte Konfrontation auf der Straße zu erzeugen, werden wir es nicht schaffen, die notwendige gesellschaftliche Debatte zu erzeugen, die wir brauchen, um tiefgreifende Veränderungen herbeizuführen. Wenn wir die unangenehme Konfrontation im direkten menschlichen Kontakt vermeiden, verfehlen wir das eigentliche Ziel unseres zivilen Ungehorsams mit Sicherheit.
Deswegen werde ich bei der Rebellion of One die Straße so blockieren, dass Autos auf keine Weise an mir vorbeikommen, zum Beispiel in einer Einbahnstraße. Keinen fließenden Verkehr um mich herum zuzulassen, ist nicht nur sicherer für meine körperliche Unversehrtheit, sondern so werden Menschen auch von mir genötigt werden, sich mit mir und damit mit der Klimakatastrophe auseinanderzusetzen.
Unangenehme Wahrheit
Es tut mir leid, Menschen zu zwingen, sich mit etwas auseinanderzusetzen, mit dem sie sich – aus für mich nachvollziehbaren Gründen – nicht auseinandersetzen wollen. Aber ich bin verzweifelt. So verzweifelt, dass ich es vor mir und vor meinen Mitmenschen rechtfertigen kann, so zu handeln. Dabei bin ich bereit, die größeren rechtlichen und die gesundheitlichen Risiken der Aktionsform in Kauf zu nehmen, um meiner Stimme Gehör zu verschaffen. [1]
Ich bin jetzt überzeugter denn je: Wir Aktivist:innen müssen uns bewusst mit unseren eigenen Ängsten auseinandersetzen. Vor diesen Ängsten dürfen wir nicht davonlaufen. Wir sollten uns ihnen stellen und so handeln, wie es unseren inneren Werten und Überzeugungen entspricht.
Vielleicht ist das unsere „inconvenient truth“ [2] - unsere unbequeme Wahrheit: Wir müssen den Ort unserer Angst aufsuchen, um die ganze Kraft des zivilen Ungehorsams zu entfachen.
Wir sehen uns auf der Straße!
Lars Werner
Extinction Rebellion - Ortsgruppe Göttingen
Am Montag, 01. März, findet um 18 Uhr das erste Aktionsbriefing statt. Hier könnt Ihr teilnehmen.
Weitere aktuelle Infos findet Ihr im Telegram-Kanal.
Wenn Ihr Fragen oder Anregungen habt, könnt Ihr uns gerne auch per E-Mail kontaktieren.
[1] Mir ist bewusst, dass ich als weißer Mann in Deutschland Privilegien habe, die andere nicht haben. Das macht es mir wohlmöglich leichter, diesen Schritt zu gehen und für meinen zivilen Ungehorsam öffentlich einzustehen. Dieser Umstand ist für mich persönlich allerdings umso mehr ein Grund, das zu tun was ich tue. Ich möchte, wenn ich schon diese Privilegien habe, das Beste daraus machen.
[2] "An Inconvenient Truth" – Titel eines Dokumentarfilms von Davis Guggenheim (2006) über die Info-Kampagne des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore zur Erderhitzung (Anmerkung der Redaktion).