Am 13.06. und 20.06.2022 hatten sich vierzehn Angeklagte wegen „gemeinschaftlicher Nötigung“ vor dem Amtsgericht Bielefeld zu verantworten, weil sie sich am 17.07.2020 an einer spontanen Straßenblockade vor dem Werksgelände des Fleischgroßindustriellen Tönnies beteiligt hatten. Eine der Angeklagten war Nicole Walther. Hier beschreibt sie ihre Gedanken und Gefühle während der beiden Prozesstage.
Hallo, ihr lieben Menschen da draußen, die uns Angeklagten, auf welchen Wegen auch immer, die letzten zwei Montage in Bielefeld bei unserem Gerichtsprozess unterstützt haben! Hallo an alle, die das Ganze generell nicht unterstützen und gern mal wüssten, was uns so im Kopf rumgeht, und hallo auch an alle, die von dem Ganzen gar nichts wussten und nun gern verstünden, worum es geht! ;-)
Am Montag, den 13.06. und Montag, den 20.06.2022 fanden in Bielefeld zwei Verhandlungstage statt zu der Tönnies-Straßenblockade vom 17.07.2020 in Rheda-Wiedenbrück. Vierzehn Angeklagte waren wir ursprünglich. Die Anklage lautete: „gemeinschaftliche Nötigung“. Angeboten wurde uns vor bzw. während des Prozesses eine Einstellung gegen Zahlung von 900 €, bzw. bei geringerem Einkommen 750 € an den WWF.
WWF? „What the...“ ach nee - „World Wide Fund For Nature“ - sind das nicht die, die für ihre Käuflichkeit und die Zusammenarbeit mit großen Konzernen bekannt sind? Ach, ja klar - denen geben wir gern Geld als Ausgleich für eine „Straftat“, die wir angeblich begangen haben, um uns gegen Lobbyismus und Käuflichkeit zu stellen. …. Ja nee, da haben wir uns mit noch acht verbliebenen Angeklagten dagegen entschieden. Verstehen kann ich die Menschen, die das Angebot angenommen haben, aber sehr gut, und ich kann auch nicht sagen, dass ich nicht auch fast zugesagt hätte oder es eventuell noch tun werde. Allerdings werde ich versuchen, die Möglichkeit einer Zahlung an eine andere, für den Zweck stimmigere Organisation, zu finden. Das kurz zu Erklärung, warum aus vierzehn Angeklagten acht wurden und wie das Ganze startete.
Am ersten Verhandlungstag stellte sich schon recht schnell raus, dass es eine interessante Verhandlung werden würde mit sehr vielen verschiedenen Meinungen im Raum. Die Richterin auf Probe aus Rheda-Wiedenbrück, der Staatsanwalt, ein bereits in seinem Job erfahren wirkender Mann, mit süffisanter Art und einer so schwer verständlichen Aussprache, dass es schwer war, ihm zu folgen. Das Wort „Klimawandel“ auszusprechen, schien bei ihm einen leichten Kieferkrampf auszulösen, aber er gab sich Mühe, es trotzdem über die Lippen zu kriegen und auch, dass wir über dessen Aktualität nicht sprechen müssen, ebensowenig über die Zusammenhänge der Fleischindustrie und den Klimaveränderungen. Ihm ging es, laut seiner Aussage, und das ist wohl wahrscheinlich auch sein Job, nur darum, dass hier in seinen Augen eine Straftat begangen wurde, die geahndet werden muss! Ausrufezeichen!
Wisst ihr, all diese tollen Menschen, die ich da auf den Straßen kennengelernt habe - egal, ob beim Tanzen, Kreiden, Festkleben, Diskutieren und Ausharren - möchte ich auf keinen Fall missen. Und der Mut und die Hoffnung, die diese Menschen einem machen, weil sie MACHEN, ist unbezahlbar. Trotzdem machen wir das alle nicht aus Spaß!!! Wir haben eben NICHT zu viel Zeit, keinen Job, Langeweile oder einfach das Bedürfnis zu pöbeln. Wir sind keine „Schreikinder“, keine „Schwänzer“ oder „Gutmenschen“, die meinen, sie könnten die Welt retten oder wären etwas Besseres. Wir sind einfach nur mit unserem Latein am Ende. Wir haben so viel versucht, so viel geredet, unterschrieben, aufgeklärt, veranstaltet, mitgemacht, aber die Klimakrise schreitet einfach so weiter voran. Und alles, was wir tun können, was WIR, wir Bürger:innen tun können, geht nicht schnell genug. Das soll nicht heißen, dass wir resignieren sollen - bitte nicht! Bloß nicht!
Wir müssen mehr werden. Wir müssen zum Ausdruck bringen, wie dramatisch die Lage den Berechnungen der Wissenschaftler:innen nach ist. Und da sieht es echt übel aus! So richtig übel! Wir haben alle jeden Tag die Wahl, unsere Entscheidungen und unser Handeln zu überdenken und generalzuüberholen. Ebenso hat die Politik die Wahl und als Einzige tatsächlich vielleicht noch die Möglichkeit, die Weichen rechtzeitig so zu stellen, dass die kommenden Generationen keine Fluchtpläne schmieden müssen. Wenn sich jetzt nichts ändert, wenn weiter so getan wird, als hätten wir gerade mal 5 vor 12 und nicht viel, viel später und als hätten wir noch Zeit, dann steuern wir auf so viel Schlimmes zu, das die meisten von uns, denke ich, noch gar nicht im Stande sind zu begreifen - und was das für Auswirkungen haben wird.
Zurück zum Staatsanwalt.
Der Vorwurf lautet „35 Minuten Blockade“ einer Straße vor dem Tönnieswerk. Ein paar Autos warten, ja. Alle hätten wenden können, viele haben es getan, andere nicht. Die Richterin selbst hat Umleitungen per google maps herausgesucht, um zu zeigen, dass es nur wenige Minuten und Kilometer gekostet hätte, um anders an sein Ziel zu kommen. Es gab also keinen, der lange und unnötig unter uns „bösen Schreikindern“ leiden musste.
Die Zeuginnen, drei Polizistinnen, bestätigten und erwähnten auch von sich aus mehrfach, dass die Aktion völlig friedlich abgelaufen ist. Der Staatsanwalt sah das anders. Er hat mehrfach darauf gepocht, dass es ja am Ende nicht mehr friedlich gewesen sei. Ach so – am zweiten Verhandlungstag war es ihm sogar zuwider, die letzten Worte einer Angeklagten in dem Prozess zu hören. Es könnte ja wieder „unerträglich lang“ werden. (Ja, das Wort hat er wirklich benutzt.)
Wohlgemerkt - die Angeklagte hatte auf seine Provokation vom ersten Verhandlungstag, warum wir nicht erstmal die legalen Wege gehen, bevor wir uns auf die Straße setzen, eine kleine Auflistung gemacht, an welchen Aktionen sie sich vor dieser besagten Blockade beteiligt hat, was sie selbst veranstaltete etc., um auf die Problematiken der Tierindustrie und des Klimawandels auf ganz legalem Weg hinzuweisen und darüber aufzuklären.
Trotz Ansprache beim ersten Prozesstag, dass man ihn kaum verstehen könne und der Absprache, ihn das nächste Mal gern darauf hinzuweisen, trug der Staatsanwalt beim zweiten Termin durchgängig seine FFP2 Maske, machte offensichtlich ein paar Nickerchen, und als aus dem Publikum angesprochen wurde, dass er unglaublich schwer zu verstehen sei, unterbrach die Richterin, ermahnte das Publikum und drohte mit dem Rausschmiss, falls sich weiter von dort aus eingemischt werde.
Generell spürte man die ganze Zeit eine leichte Tendenz zu schnellen Gefühlsausbrüchen bei der jungen Dame, ebenso konnte man immer wieder zwischendurch einen vielsagenden, oder in diesem Fall vielleicht eher vielfragenden (?) Blick und rollende Augen zum Staatanwalt bemerken.
Was wirklich auch erstaunlich war: alle Beweisanträge der Verteidiger:innen wurden abgeschmettert. Ich bin ja nicht gerichtserfahren - aber ist das normal? Aber nein - wie waren ihre Worte nach der Urteilsverkündung? „Das ist hier keine Entscheidung für oder gegen Tönnies“.
Das Urteil?
20 Tagessätze, wenn man geständig war und 30, wenn dem nicht so war oder es nicht angesprochen wurde. Die Höhe- zwischen 15-50 Euro, je nach Einkommen. Schade! So schade!
Nach all den Statements, die gehalten wurden, all den Plädoyers, lag zumindest meinem Empfinden nach das Gefühl von Freispruch oder Einstellung in der Luft. Vielleicht war es auch nur meine naive Vorstellung von Gerechtigkeit, mag sein. Umso größer war die Enttäuschung. Nicht nur über das Urteil, sondern über die ganze Verhandlung. Wie soll denn etwas anders werden, wenn keiner etwas anders macht? Bzw. wie soll sich dann etwas verändern? Wer soll die Veränderung anstoßen, wenn nicht mutige Menschen an den richtigen Plätzen? Aber so viele gibt es davon nicht.
Ist das naiv, was wir da tun? Ist es utopisch, was wir hoffen? Und was ist nun der richtige Weg? Was ich, glaub ich, von uns allen sagen kann: Wir sind müde. Müde von dem Kampf, das Richtige tun zu wollen, unsere Bedürfnisse hinten an zu stellen und an den harten, kalten Mauern des Systems zu scheitern. Gleichzeitig sind wir motiviert; motiviert, etwas verändern zu wollen. Eine Welt zu hinterlassen, die wir gerne weitergeben können, Arten zu erhalten, Leben zu retten, unseren Kindern in die Augen schauen zu können oder sich überhaupt zu trauen, noch welche in die Welt zu setzen. Und natürlich spielt hier auch ganz viel ethische Überzeugung mit, auch!
Die Frage ist halt, wie vielen Tieren ist geholfen, wenn wir sie jetzt an erste Stelle setzen, die Verhandlung aber verlieren, weil sich für deren Lebensbedingungen eben weniger Menschen interessieren als für ihre eigenen? Das eine kann von dem Kampf für das andere profitieren, denn sie stehen nun einmal eng in Verbindung, wie wir wissen.
Was jetzt fehlt, ist die Sicherheit, dass wir den Prozess finanziell gestemmt bekommen, Einschätzungen, ob wir hier Hoffnungen auf Erfolg haben sollten, wenn wir in Berufung oder Revision gehen und Aufmerksamkeit. Denn wenn wir diesen Weg weiter gehen, dann tun wir das für alles Leben auf diesem Planeten mit der Hoffnung, etwas zu erreichen, und dann hilft jede Unterstützung, das Ganze zu thematisieren. Daher hier der Link zum Spendenaufruf.
Zu guter Letzt möchte ich im Namen aller Beteiligten ein herzliches Dankeschön aussprechen an:
- das großartige Team aus Anwälten und Anwältin - Ihr habt uns großartig vertreten bzw. tut es noch immer, und bei den Plädoyers hatten viele eine Gänsehaut! Danke, dass Ihr Euch auf diesen Weg mit uns eingelassen habt und selbst so dahintersteht!!
- alle Angeklagten - ich finde, wir sind ein tolles Team, das zusammenhält und an Veränderungen glaubt!
- den Verein „Fair leben“ aus Gütersloh, Animal Save Bielefeld, Extinction Rebellion Bielefeld, Ariwa Ostwestfalen Lippe, allen, die im und vor dem Gerichtssaal waren, allen, die uns gute Gedanken geschickt haben, Beiträge geteilt, gespendet und über uns gesprochen haben.
- Danke auch an die Bäckerei „Pass“ aus Düsseldorf für die Brötchen am zweiten Verhandlungstag. Ein Frühstücksbuffet vor dem Landgericht sieht man wohl auch nicht alle Tage. ;-)
Und ganz persönlich möchte ich mich bei zwei ganz besonderen Menschen bedanken, die mir gerade eine große Stütze sind, und das sind meine Mama Judith Nowacki und mein 90-jähriger Opa Rudi Rölleke.
Euer Support bedeutet mir viel!