Menschen sind keine Institutionen! (2) - Jedoch Teil der Strukturen

Geschrieben von Tino Pfaff am 27.09.2019

Ist rassistisch und sexistisch sein etwas statisches?

Gewiss nicht. Eine Kategorisierung etwa in „ich bin rassistisch oder ich bin es nicht“ halte ich für unrealistisch. Was ist schon statisch in einer stofflichen Welt?

Wir* alle sind Teil eines toxischen Systems. Das sich im Fall der Gesellschaft in Deutschland und großen Teilen des globalen Nordens systematisch davon nährt und aufrechterhält, in dem innerhalb der Gesellschaft und vor allem außerhalb der Landesgrenzen, über den ganzen Planeten hinweg, Kulturen, Völker, Gruppen und Menschen ausgebeutet, unterdrückt, vertrieben und ermordet werden. Daran gibt es für mich nichts zu rütteln!

Zur Teilhabe an Strukturen:

Allein wenn wir* einkaufen gehen - Kleidung, Nahrung, Gebrauchsgegenstände, ja, sogar das Spielzeug für unsere Kinder – nutzen wir* Strukturen eines toxischen System. Dies tun wir* in einer Abhängigkeit, die wir* gewiss nicht in aller Konsequenz abwehren oder uns aus ihnen herausziehen bzw. befreien können. Wir* beteiligen uns tagtäglich an Strukturen, die rassistisch und sexistisch sind und sehen es in vielerlei Hinsicht als selbstverständlich an, Dinge an uns zu nehmen und zu besitzen. Dies ist höchst verwerflich, gerade weil wir* die moralischen Argumente bereits kennen. Unsere Sprache und Umgangsform kann noch so sensibel und aufmerksam sein, doch solange wir bspw. Früchte, Tabak, Kaffee oder Kakao – Nahrungs- und Genussmittel, die über tausende Kilometer hinweg transportiert werden, und die wir* uns aneignen, ohne das wir* sie zum Überleben brauchen – konsumieren, sind wir letztlich bewusst Teil eines Systems, das mindestens auf strukturellem Rassismus basiert.

Doch müssen wir* versuchen, in kleinen und in großen Schritten, auf unserem individuellen Weg und in der Gemeinschaft, uns von diesen Strukturen zu lösen. Dazu gehört aber auch die Einsicht, dass wir Teil dieser verwerflichen und rassistischen Maschinerie sind, mehr und weniger freiwillig, in vielen Situationen und durch viele selbst auferlegte Ansprüche jedoch, nicht selten, frei gewählt.

Doch was bedeutet dies?

Wie in diesem Zeitungsartikel bereits kommentiert, heißt Extinction Rebellion alle Menschen aus unserer Gesellschaft, Menschen so unterschiedlich wie kaum vorstellbar, willkommen. Zu dieser Unterschiedlichkeit gehören auch diverse Eigenschaften und Erfahrungswerte, Biografien und Hintergründe.

Wir* besitzen alle, als Teil des toxischen Systems, wenigstens latente rassistische und sexistische Tendenzen. Sie sind uns anerzogen und haben sich in unsere Sprache und Denkweisen gepflanzt.

So, denke ich, müssen wir* stets bestrebt sein, uns davon zu befreien. Befreien von einer Lebensweise, die Teil einer toxischen Struktur ist, welche sich Wohlstand und Privilegien durch das Leid unzähliger Menschen erzwingt und aneignet.

Das 6. Prinzip von Extinction Rebellion

Im 6. Prinzip von Extinction Rebellion erkenne ich den Anspruch, der aus Artikel 2 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte herausgeht. In dem jede Person so willkommen ist wie sie eben ist, sind jegliche Formen der Diskriminierung für das Zusammensein in der Bewegung ein Ausschlusskriterium.

Ja, es mag sein, dass für viele von uns eine klare Ansage fehlt. Etwa in einem klaren und unmissverständlichen „Ton“ wie: wir* sind antirassistisch und antisexistisch. Für mich ist dies jedoch eindeutig in diesem Prinzip, in Form einer positiven Formulierung enthalten.

Das 5. Prinzip von Extinction Rebellion

An dieser Stelle möchte ich auf das 5. Prinzip hinweisen. In diesem bekennen wir* uns aufrichtig dazu, uns in einen fortwährenden Reflexions- und Lernprozess zu begeben.

Erkennen wir* dieses Prinzip an, dann sind wir* stets dazu bereit zu lernen, zu erkennen und zu ändern. Ja, wir* sind dazu angehalten, unser Denken, Kommunizieren und Handeln zu hinterfragen, zu reflektieren und schließlich zu realisieren, dass wir* anderen Menschen mit unserer Sprache und unseren Handlungen wehtun, sie unterdrücken oder ihnen Schaden zufügen.

Dieser reflexive Prozess ist für mich Grundbedingung für eine würdiges Miteinander!

Die Türen stehen jedem Menschen offen - der breiten Gesellschaft - und das Willkommensschild ziert den Türbogen in schillernden Regenbogenfarben. Tritt sie*, er* oder es* herein, dann bedingen Prinzipien und Werte ihre*/seine* Teilhabe in der Bewegung.

Wir* sind alle unvollkommen, aber gewiss lernfähig.

Ebenso heißt dies aber auch für mich: Bekennt sich ein Mensch ganz klar zu einer menschenfeindlichen Gruppierung oder Ideologie, dann können wir* keinen gemeinsamen Weg beschreiten. Auch wenn die Klimakatastrophe bereits unser aller Lebensgrundlagen bedroht, möchte ich nicht gemeinsam mit Menschen an einer Seite stehen, die es als moralisch vertretbar erachten, dass ein Mensch, aufgrund irgendwelcher Zuschreibungen, es weniger verdient zu (über-)leben.

Den Vorwurf des Widerspruchs nehme ich an dieser Stelle gerne an mich, wenn ich sage: „wir* alle sind bedroht und doch entscheide ich, mit wem ich gegen die Bedrohung rebelliere“. Er ist ganz klar gegeben, doch löst er sich für mich an der Stelle auf, an der ich in mich gehe und an die vielen wunderbaren Menschen denke, die mir auf meinem bisherigen Lebensweg begegnet sind. Wir* sind so viele wunderbare Menschen, da ist kein Platz für Diskriminierung und Hass. Die Rettung der Erde schaffen wir auch ohne menschenverachtenden ideologischen Bullshit!

Ein Appell:

Lasst uns offen sein, lasst uns bereit für Vergebung sein, lasst uns auch ein wenig nachsichtig sein und lasst uns bereit sein, uns gegenseitig dabei zu unterstützen zu erkennen, wann wir* anderen Schaden zufügen. Wem wir* wann wehtun, das entscheiden nicht wir* , denn das ist ganz klar die Entscheidung der Person, die uns gegenüber steht, mit der wir* kommunizieren und die wir* mit unserem Handeln adressieren.

Lasst uns aber auch ganz klar aufzeigen, wo die Grenzen einer auf Solidarität, Diversität und Würde basierenden Gesellschaft sind, einer Gesellschaft, wie sie Extinction Rebellion zu konstruieren versucht. Ich wünschte mir, es gäbe einen Weg, alle Menschen zu vereinen, alle Menschen davon zu überzeugen, dass wir* eben alle Gleich in unserer Ungleichheit sind, dass wir* atmende Wesen sind, dass wir* Gefühle besitzen und dass wir* Fehler machen.

P.S.: Hier ein Zitat von der Extinction Rebellion Deutschland Website, zu finden unter „Wer wir sind“:

„Wir handeln aus Liebe zum Leben und für eine lebenswerte Zukunft aller Lebewesen auf diesem Planeten. Wir rufen alle auf, sich der Rebellion für das Überleben anzuschließen, unabhängig von Religion, Herkunft, Klasse, Alter, Sexualität, Geschlecht, Ethnie sowie politischer Neigung.

Alle, die unseren Prinzipien und Werte zustimmen und diesen folgen, können im Namen von Extinction Rebellion aktiv werden. Ihr braucht keine Erlaubnis, um teilzunehmen oder Aktionen durchzuführen. […]

Wir wollen weder in Aktionen noch anderswo verbale oder physische Gewalt anwenden. Unsere strikte Gewaltfreiheit gilt sowohl online als auch offline. Diskriminierendes Verhalten, Beschimpfungen und jegliche Art menschenfeindlicher Äußerungen und Aktionen sind für uns inakzeptabel.“

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