Kitchen Talk - Im Gespräch mit Klimarebell:innen - 2

Geschrieben von Birgitta Wolf für die AG Blog-Redaktion am 10.06.2020


Armin Aulinger

Extinction Rebellion Deutschland

Rebellion Wave Oktober 2019 (Berlin, Bundesministerium für Umwelt)


„Wir müssen eine positive Vision transportieren, wie eine bessere Welt aussehen kann“, sagt Armin Aulinger. Er wünscht sich einen Systemwandel und eine Gesellschaft, in der die Menschen nicht gegeneinander arbeiten, sondern miteinander. Deshalb engagiert er sich bei XR Hamburg in den AGs Regenerative Kultur und Kommunikation mit der Polizei.

In seiner hauptberuflichen Tätigkeit beschäftigt sich Armin mit Luftverschmutzung. Als Chemiker forscht er auf dem Gebiet der atmosphärischen Chemie. Sein Engagement bei XR hat nicht zuletzt auch Armins Perspektive auf seine Forschungsarbeit verändert.

XR-Blog-Mitarbeiterin Linda hat mit Armin gesprochen. [1]

Linda: Hallo, Armin. Du kommst aus Hamburg?

Armin: Ja.

Zunächst einmal würde mich interessieren: Wieso bist Du gerade bei XR?

Was XR macht, halte ich für sinnvoll, und mir gefällt auch, wie das umgesetzt wird. Hinzu kommt, dass ich bei XR viele Menschen kennen gelernt habe, mit denen ich mich dabei wohlfühle, gemeinsame Aktionen zu machen. In Gesprächen habe ich auch gemerkt, dass ich mit den Leuten gut reden kann. Die Themen von XR sprechen mich an, und auch die Art und Weise, wie XR-Rebell:innen miteinander umgehen. Da habe ich ganz überwiegend gute Erfahrungen gemacht.

Was hat Dich dazu bewegt, bei XR aktiv zu werden? Gab es dafür ein ganz bestimmtes Ereignis, das das ausgelöst hat?

Ich bin da so „reingewachsen“. Ich engagiere mich im Verein-Gewaltfreie-Kommunikation Hamburg, und XR Hamburg ist mal auf uns zugekommen und hat gefragt, ob wir die GFK nicht anbieten wollen für XR-Rebels, damit diese lernen, mit Konflikten besser umgehen zu können. Dann haben wir gesagt: o.k., wir machen das, wir treffen uns mit euch. Zunächst war ich nur als GFK-Lehrer dabei. Später habe ich mich dann auch an der einen oder anderen Aktion beteiligt. Es hat sich für mich gut angefühlt, auf diese Weise aktiv zu werden, und mit diesen Leuten.

Machst du das zu ersten Mal? Politischen Aktivismus?

Früher bin ich schon mal auf die eine oder andere Demo, und zu Studizeiten war ich als Studierendensprecher aktiv. Aber darüber hinausgehend, also so richtig organisiert, war ich bisher noch nicht politisch aktiv.

Was ist Deine Hauptbeschäftigung?

Ich bin Chemiker und forsche auf dem Gebiet der atmosphärischen Chemie. Dabei beschäftige ich mich mit allem, was mit Luftverschmutzung zu tun hat.

Würdest Du sagen, dass das, was Du erlebst in Deiner Arbeit, auch ein Grund dafür war, dass Du da nah dran bist? An den XR-Themen?

Eher umgekehrt. Die Beschäftigung mit XR hat dazu geführt, dass ich meine Arbeit neu betrachtet habe. Vieles von dem, was in den XR-Talks verbreitet wird, wusste ich zwar schon zuvor, doch die Zusammenhänge waren mir dennoch nicht so recht klar.

Erst nach meiner Begegnung mit der XR-Bewegung habe ich mich dann ernsthaft mit der zeitlichen Dynamik wirklich beschäftigt. Und verstanden, wie dringend und absolut die Sache ist.

Wenn ich früher in meiner beruflichen Tätigkeit über Luftverschmutzung geforscht habe, dann war es meist so, dass ich mich mit bestimmten Teilaspekten beschäftigt habe. Mein Engagement bei XR hat dazu geführt, dass ich jetzt das Ganze sehe. Nur an Teilaspekten zu forschen, das interessiert mich jetzt nicht mehr so sehr. Vor allem, wenn es sich um Bereiche handelt, in denen man ohnehin schon sehr vieles weiß. Noch weiter ins Detail zu gehen, obwohl schon bekannt ist, was zu tun ist, das macht für mich jetzt nicht mehr so viel Sinn. Deshalb bin ich nun dabei, wirklich etwas zu tun. Also mit XR.

Kannst du mir sagen, wie alt du bist?

Fast 50.

Bis zu welchen Aktionslevels wärst Du bereit, mitzumachen?

Aktionslevel 2 habe ich schon mitgemacht. Also zivilen Ungehorsam, sich wegtragen lassen. Personalien wurden von mir noch nicht aufgenommen. Ich denke, ich wäre auch bereit, weiter zu gehen - unter gewissen Voraussetzungen.

Ich bin ja als Forscher beschäftigt, als Angestellter im öffentlichen Dienst. Also gesettled. Das heißt: oberflächlich betrachtet kann mir in meinem Leben nicht mehr so viel passieren.

Wenn ich mit meiner Teilnahme bei einer politischen Aktion etwas riskieren würde, dann wäre mir wichtig, dass ich damit auch deutlich machen könnte, warum ich aus meiner Komfortzone herausgehe. Falls sichergestellt wird, dass diese Botschaft in irgendeiner Weise Fuß fassen kann, dann wäre ich bereit, auch weiter zu gehen als Level 2.

Was war deine kreativste Aktion, die du so erlebt hast?

Was ich sehr kreativ fand, war ,,Das Blut unserer Kinder“. Das war eine Aktion zu den „Cruise Days“ in Hamburg, bei der symbolisch ein Sarg zum Hafen getragen wurde und dort auf den Stufen Kunstblut vergossen wurde.

Wie war die Reaktion der Leute darauf?

Ich war an dem Tag selbst nicht dabei. Aber ich habe die Planung drum herum verfolgt. Die Aktion war auch sehr prominent in der Zeitung vertreten, und sie wurde auch sehr positiv aufgenommen. Sie war ein „Hingucker“. Und sie hat die Menschen dazu angeregt, darüber nachzudenken: Was bedeutet das? Wir vergießen das Blut unserer Kinder - Was heißt das eigentlich?

Warum sind Aktivist:innen bereit, sich verhaften zu lassen?

Hier möchte ich nur für mich selbst sprechen. Mir geht es im Grunde darum, deutlich zu machen, wie dringend und essentiell unser Anliegen ist. Das Ziel ist, die Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken.

Was gibt es bei der Planung von Aktionen zu berücksichtigen? Was ist für Dich dabei wichtig?

Wichtig ist, dass es sicher ist - für alle Beteiligten. Jeder, der von einer Aktion erfährt, denkt darüber nach: Warum machen die Menschen das? Deshalb ist es wichtig, dass die Message zugänglich ist. Sie soll zwar aufrütteln, doch sie darf nicht abschrecken. Auch Menschen, die zufällig zu einer Aktion kommen, sollen sich in unserer Gegenwart sicher fühlen. Damit meine ich aber nicht „sicher“ in dem Sinne, dass wir so weiter machen können wie bisher und uns nichts passieren kann. Die Menschen sollen sich bei unseren Aktionen sicher fühlen, doch zugleich muss die Verunsicherung transportiert werden, was passieren kann, wenn wir in unserem Alltag so weiter machen wie bisher.

Was würdest du erwarten, wenn wirklich 20.000 Menschen teilnehmen bei einer Rebellion Wave?

Große Sichtbarkeit. Und ich erhoffe mir auch einen „emotionalen Schub“, weil ich glaube, dass viele Rebels auch mit ihren Emotionen dabei sind. Diese reichen von Bedenken, vielleicht auch Angst, bis hin zu Hoffnung und Mut, dass noch etwas möglich ist. Ich glaube, wenn viele Menschen gemeinsam mit solchen Emotionen auf die Straße gehen, können diese Gefühle auch in eine breite Öffentlichkeit „rüber schwappen“.

Warum ist es wichtig, mit der Polizei zusammen zu arbeiten? Und wie sollte diese Zusammenarbeit aussehen?

Mit Polizist:innen sollten wir so umgehen wie mit jedem Mitmenschen. Auch hier geht es darum, dass die Menschen uns Activisti nicht als Bedrohung wahrnehmen, sondern sich sicher fühlen mit uns und auch ein Verständnis für unser Thema entwickeln. Ich gehe davon aus, dass die meisten Polizist:innen keinen beliebigen Spielraum haben und würde deshalb auch nicht erwarten, dass sie sich in Uniform zu uns auf die Straße setzen und an Blockaden teilnehmen. Das ist nicht unser Ziel, denn Polizisten habe eine bestimmte Aufgabe – unter anderem auch die, uns zu schützen.

So etwas wie meine Idealvorstellung wäre es, dass auch die Polizei – im Rahmen ihres Aufgabenbereichs – unser Anliegen unterstützt. Das heißt, dass die Polizist:innen verstehen, warum wir solche Aktionen machen. Die Aufgabe der Polizei ist es, die Straße „frei zu machen“. Doch ich wünsche mir, dass auch die Polizst:innen auf jegliche Gewalt verzichten – dass sie zwar ihren Aufgaben nachkommen, aber in dem Bewusstsein, dass sie uns unterstützen und auch in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für unser Anliegen schaffen. Unser Ziel sollte sein, dass die Polizei – was die Umweltthemen betrifft – sozusagen auf unserer Seite steht. Und dass dies möglich ist, ohne dass die Polizist:innen ihre beruflichen Aufgaben aufgeben müssen.

Was sollten Leute wissen, die sich spontan XR-Aktionen anschließen?

Sie sollten wissen, was auf sie zukommt und sich darüber im Klaren sein, wofür sie das machen und wieviel sie riskieren möchten. Sie sollten sich informieren können und auch wissen, wie sie sich innerhalb der Bewegung Unterstützung suchen können.

Bei XR gibt es ja so viele verschiedene AGs, und es gibt so viele Bereiche, in denen man aktiv werden kann. Gibt es einen bestimmten Bereich, in dem Du aktiv bist?

Ich bin hauptsächlich in der „Regenerativen Kultur“ aktiv, aber auch beim Polizeikontakt.

Kannst Du etwas zum Thema Regeneration sagen? Für Menschen, die nicht bei XR sind, ist das vielleicht nicht verständlich …

Regeneration zielt – nach meinem Verständnis – im wesentlichen darauf, Menschen zu helfen, die in eine Krise geraten sind oder sich in einem Konflikt befinden. Für solche Menschen wollen wir ein Umfeld und ein Netzwerk schaffen, das sie auffängt. Das ist das eine.

Zum anderen hat Regeneration für mich auch ganz viel mit einer Art Systemwandel zu tun, den ich mir wünsche. Unser Ziel ist, dass es gesellschaftlich eher ein Miteinander wird statt eines Gegeneinanders. Auch Sicherheit ist für mich ein wichtiges Thema. Bei dem Systemwechsel, den wir erreichen wollen, dürfen sich die Menschen nicht alleine fühlen, und sie sollen auch keine Angst haben. Manche denken vielleicht, wenn sie den Klimaschutz ernst nehmen, müssen sie viele liebgewordene Gewohnheiten aufgeben. Deshalb ist es wichtig, dass die Menschen eine Vision haben, wie eine bessere Welt aussehen könnte.

Regeneration heißt ja auch: etwas neu zu erschaffen – re-generieren. Wir müssen eine positive Vision mit transportieren – und auch das „community building“. Das bedeutet für mich Regeneration.

Vielen Dank für das Gespräch, Armin.




[1] Linda hat das Interview bei der Aktionskonferenz AKKON im Februar 2020 in Berlin geführt.

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