XR-Aktivist:innen aus verschiedenen Orten trafen sich im Februar in Berlin, um bei einer Aktionskonferenz die für Mai geplante Rebellion Wave vorzubereiten. Blog-Redakteurin Linda hat die Gelegenheit genutzt, um mit einigen Teilnehmer:innen persönlich ins Gespräch zu kommen. Sie hat die Rebell:innen gefragt, warum sie sich bei XR engagieren und was sie von den bevorstehenden Aktionen erwarten.
Dass uns kurz nach den Interviews eine Pandemie dazu zwingen würde, die Mai-Rebellion zu verschieben und in den digitalen Raum zu verlegen, das konnten wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehen. Doch dies ändert natürlich nichts daran, dass wir nach wie vor durch die andere globale Krise, die Klimakrise, bedroht werden und wir deshalb auch weiterhin für Klimagerechtigkeit rebellieren werden.
In der Serie „Kitchen Talk“ möchten wir hier in Porträts einige dieser Rebell:innen vorstellen.
Im Gespräch mit Klima-Rebell:innen
1. Manon
Wir beginnen mit Manon, die sich bei XR in der Politik AG engagiert. Als hauptberufliche Orchesterviolistin arbeitet sie in einem Bereich, der eigentlich weit von politischem Aktionismus entfernt ist. Doch auch bei XR-Aktionen konnte sie ihr Instrument schon zum Einsatz bringen.
Linda: Guten Tag, Manon. Zuerst würde mich interessieren: Wieso bist Du eigentlich bei XR?
Manon: Ich engagiere mich politisch und in der Umweltbewegung, seit ich denken kann. Bereits im Alter von 13 oder 14 habe ich begonnen, mich für Greenpeace zu interessieren und mich dort gegen Walfang engagiert und gegen FCKW in Spraydosen … - und dieses Engagement hat bis heute nicht aufgehört.
Im vergangenen Frühjahr, im April, hat mich ein Freund, der in Cambridge studiert, auf Extinction Rebellion UK aufmerksam gemacht. Ich war sofort begeistert! Und es war für mich völlig unbegreiflich, dass ich zuvor davon noch nie etwas gehört hatte.
Wir holen uns die Politik zurück!
Könntest Du beschreiben, was genau es war, das Dich begeistert hat bei XR?
Konkret hat mich vor allem begeistert, dass XR über die bisherigen politischen Formate hinausgeht.
Zuvor bin ich auf vielen Demos mitgelaufen und war bei vielen Aktionen dabei, aktiv oder zumindest als Spenderin. Ich habe auch Demonstrationen mitgestaltet und Petitionen unterzeichnet. Doch ich habe gesehen, dass das alles im Endeffekt nichts bringt - oder nur sehr wenig. Jedenfalls nicht genug, um einen richtigen Wandel herbeizuführen.
Und plötzlich war da eine neue Bewegung dabei, sich zu etablieren, die gesagt hat: Wir machen es einfach selber! Wir gehen auf die Straße und holen uns die Politik zurück! Auf einmal schien es mir greifbar und möglich, etwas Konkretes zu bewegen, und ich fühlte mich auch nicht mehr so alleine. Nach wie vor gibt mir mein Engagement bei XR einen unglaublichen Schwung – eine Energie, die mich über Monate trägt. Zwischenzeitlich war ich auch manchmal schon ein bisschen müde – doch jetzt, an diesem Wochenende, habe ich wieder neuen Mut bekommen.
Meine nächste Frage („Machst Du so etwas zum ersten Mal?“) hat sich damit dann eigentlich erübrigt …
Ja. Ich war schon auf der Blockade auf der Oberbaumbrücke dabei. [1] Das war eine Initiation für mich, denn bis dahin habe ich noch nie so etwas wie zivilen Ungehorsam praktiziert. Zuvor habe ich mich in einem sehr bürgerlichen Milieu bewegt. Erst mit der Blockade auf der Oberbaumbrücke hat sich das dann geändert.
Womit beschäftigst Du Dich so im „normalen“ Leben, also jenseits Deines Engagements für XR?
Ich bin Musikerin. Ich spiele Bratsche im Opernorchester, also einem hochsubventionierten Kulturbetrieb – und ich liebe das auch sehr. Denn das ist ja ein sehr privilegierter und erfüllender Beruf – aber natürlich auch sehr, sehr, sehr, sehr weit weg von Politik jeglicher Art. Aber ich habe meine Bratsche auch schon bei XR eingebracht: Z. B. habe ich schon einmal bei einem Die In auf dem Gendarmenmarkt musiziert, und auch auf der Marshallbrücke stand ich schon mit der Bratsche und hab Bach gespielt, mit Verstärker. Ich kann das also auch zusammenbringen – das Musizieren und mein politisches Engagement bei XR. Bisher allerdings leider nur alleine, denn bis jetzt habe ich noch keine Mitstreiter:innen gefunden für gemeinsame Aktionen musikalischer Art. Doch vielleicht wird sich das ja noch ändern …
Wie weit gehen?
Welche Aktionslevels würdest Du eingehen bei Aktionen?
Generell schließe ich nicht aus, dass ich mich auch mal irgendwo ankette …
Also Aktionslevel 3?
Genau. Tatsächlich gemacht habe ich das bisher zwar noch nicht. Denn bei der letzten Rebellion Week [2] hatte ich sehr viel logistische Verantwortung für das Entertainment-Programm. Da hätte ich es mir gar nicht leisten können, mich irgendwo verhaften zu lassen, weil dann die Logistik für den nächsten Abend nicht mehr hätte stattfinden können. Deshalb hat sich diese Frage für mich bisher erst gar nicht gestellt. Auch für die kommende Rebellion Week denke ich, dass ich wahrscheinlich mehr bewirken kann, wenn ich mich auf freiem Fuß bewege.
Doch ich bewundere es sehr, wenn Rebell:innen bereit sind, sich verhaften zu lassen, und ich habe selbst auch keine Angst vor der Polizei oder vor Repressionen. Aber ich glaube ganz einfach nicht, dass ich mit einer Verhaftung meine Fähigkeiten oder Möglichkeiten optimal einbringen kann. Bisher habe ich mich eher auf der legalen Seite bewegt und sah meine Aufgaben darin, zu kommunizieren, zu deeskalieren, aufzuklären und zu netzwerken - oder auch mit der Bratsche zu musizieren (wenn ich nicht mehr netzwerken musste).
Kreativität
Was war Deine kreativste Aktion, die Du bei XR erlebt hast?
Die kreativste? Diese Frage kann ich gar nicht so leicht beantworten. Denn eigentlich waren alle Aktionen kreativ, mehr oder weniger …
Auf der Marshallbrücke ganz alleine Bratsche zu spielen … - das war schön und auch kreativ. Für mich war das auch etwas ganz Besonderes, denn normalerweise musiziere ich nicht auf der Straße. Einmal habe ich auch gejammt – ja, das war vielleicht am kreativsten. Das war zusammen mit einem Klarinettisten und zwei Drummern, die spontan angefangen hatten, auf der Straße zu jammen. Da habe ich dann einfach mitgemacht – obwohl ich eigentlich gar nicht improvisieren kann! Aber da ging das dann plötzlich - ja, das war eine tolle Erfahrung!
Kreativ waren aber auch die Bastelnachmittage mit XR Artists – Flaggen nähen und bedrucken, Banner malen … - und auch dieses tolle Theaterstück, das wir zusammen zelebriert haben am Brandenburger Tor … [3] – Es fällt mir tatsächlich schwer, mich jetzt zu entscheiden.
Warum sich verhaften lassen?
Warum ist es wichtig, dass Aktivist:innen bereit sind, sich verhaften zu lassen?
Die Bereitschaft, sich verhaften zu lassen, ist wichtig, weil das eine große Symbolwirkung hat. Denn es zeigt auch, wieviel wir als Bewegung bereit sind, zu opfern. Die persönliche Freiheit zu opfern, das ist ja ein unglaublich starkes Zeichen, das als Signal einfach wichtig ist. Also: Wie weit sind wir bereit, zu gehen? Um unsere Ziele glaubhaft zu kommunizieren, muss es genügend Leute geben, die sich auch verhaften lassen.
Verantwortung und Mut
Was gibt es bei der Planung von Aktionen zu beachten? Was wäre Dir da am wichtigsten?
Was das letzte Mal vielleicht noch nicht optimal gelaufen ist und was dieses Mal unbedingt besser laufen muss, ist: Die Verantwortlichkeiten müssen eindeutig geklärt werden. Alle müssen genau wissen, wer im Bündnis Ansprechpartner:in ist. Z. B. für mich, als Mitglied der Politik-AG, ist es wichtig, zu wissen, wer konkret ansprechbar ist. Und alle aus dem Bündnis sollten auch genau wissen, wer von uns aus der Politik-AG Ansprechpartner:in ist, wenn es z. B. darum geht, konkrete Inhalte zu liefern. Wenn ein Pressetermin ansteht, und die Mitglieder der Presse-AG selbst nicht ausreichend vorbereitet sind oder wenn sie nicht genügend Materialien haben, dann muss ganz klar sein, an wen sie sich wenden können. Alle müssen die Namen und Telefonnummern der jeweils zuständigen Ansprechpartner:innen haben. Auch die Kommunikationswege müssen eindeutig sein und etabliert, die Leute sollten sich also kennen.
Am allerwichtigsten ist aber, dass wir uns aufeinander verlassen können und dass wir uns gegenseitig auch immer wieder Mut machen – auch wenn es schwierig wird und einige das Gefühl haben: Diese Aufgabe ist eigentlich nicht zu stemmen. Wenn wir sehen, dass jemand gerade dabei ist, seinen Mut zu verlieren oder zu viele Zweifel und Sorgen hat, muss sofort jemensch von uns da sein, der versucht, das mit positivem Spirit aufzufangen. Das ist auch immer sehr wichtig, damit Aktionen gelingen können.
Kommunikation mit der Polizei
Was erwartest Du, wenn es bei der nächsten Rebellion Wave über 20.000 Teilnehmer:innen gibt?
Das hängt natürlich vom Ort ab, an dem sich diese Teilnehmer:innen versammeln. Wenn es wieder ein öffentlicher Platz ist, der nicht weiter sensibel ist, so dass die Polizei auch wieder entsprechend entspannt reagiert, wird das einfach nur ein bisschen größer aussehen als im Oktober.
Wenn es uns aber gelingen sollte, ganz neuralgische Punkte zu blockieren - wie z. B. den Zugang zum Vattenfall-Gelände – und es plötzlich um knallharte Wirtschaftsinteressen geht, dann fürchte ich, dass wir auf eine Eskalation zusteuern könnten. Denn es könnte sein, dass wir uns dann ganz anders mit der Polizei auseinandersetzen müssen, weil diese dann wohl nicht mehr einen „Kuschelkurs“ fahren wird wie im Oktober …
Was ist Dir wichtig bei unserer Zusammenarbeit mit der Polizei?
Beim letzten Mal hat die Zusammenarbeit mit der Polizei ja ganz überwiegend sehr, sehr gut funktioniert. Ich glaube, das lag daran, dass wir tolle Leute am Start hatten, die sich – wie auch immer – auf ihre Vermittler-Rolle unglaublich gut vorbereitet hatten. Gut fand ich z. B. auch, dass bei wichtigen Gesprächen mit der Polizei die Campleitung mit einer ungeheuer divers aufgestellten Gruppe vertreten war: Ein junger Mann war dabei, eine schwangere Frau, ein eindeutig homosexueller Herr im etwas älteren Register, und ich glaube, sogar noch jemand mit muslimischem Hintergrund … - Ich glaube, das war sehr gut.
Für uns muss immer wichtig sein, wie wir nach außen wirken: Sind das nur lauter junge „Akademiker-Hippies“, die da irgendwas fordern? Oder vertreten wir sozusagen ein Abbild der Bevölkerung, auch innerhalb unserer Bewegung? Wenn uns das gelingt, werden wir auch ernst genommen. Wir sollten auch verschiedene Temperamente repräsentieren und den Diskurs sehr breit anlegen. Denn das ist immer überzeugender, als wenn nach außen der Eindruck einer elitären, jugendlichen Gruppierung vermittelt wird.
Offen für alle?
Was müssten Leute wissen, die sich Aktionen spontan anschließen wollen?
Unsere Strategie sollte sein, dass wir nach außen Offenheit signalisieren. In der Nähe von Lock-Ons sollte es für Passanten z. B. immer Möglichkeiten geben, sich einfach nur zu informieren. Es muss für Außenstehende immer klar sein, dass sie sich nicht automatisch kriminell involvieren lassen müssen, sondern dass sie auch einfach nur kommen können und immer freundlich empfangen und informiert werden.
Wir müssen vermitteln, dass jede Art von Engagement willkommen ist - Z. B. wenn jemand sagt: Ich würde Euch jetzt Kaffee bringen. Auch so etwas ist immer willkommen. Einige Passanten werden sagen: O.k., ich nehm das jetzt mal mit und hab das Bild bekommen: Ihr seid ja gar nicht so chaotisch, wie ich mir das vorgestellt hatte. Dieses Bild werden sie dann z. B. ihrem Nachbarn kommunizieren.
Alle sollen wissen, dass jede Art von Unterstützung und Kontaktaufnahme von außen willkommen ist, z. B. auch einfach, sich mit uns zu unterhalten.
Wenn natürlich ein Nazi oder Faschist ankommt und sagt, er möchte zu uns gehören, schließen wir das ja mittlerweile explizit aus. Zur Toleranz zählt bei uns nicht Toleranz gegenüber Intoleranz. Wenn jemand unsere zehn Grundregeln nicht beachtet, kann er nicht zu uns gehören. Das muss auch klar sein.
"Sag die Wahrheit"?
Du engagierst Dich ja in der Politik-AG. Gibt es irgendetwas, was Du aus dieser Perspektive noch gerne vermitteln möchtest?
Ich glaube, dass wir mit unseren drei Forderungen nach wie vor in breiten Teilen der Bevölkerung noch auf Unverständnis stoßen. Was z. B. unsere erste Forderung: „Sag die Wahrheit!“ betrifft, habe ich den Eindruck, dass vielen Leuten immer noch nicht klar ist, in welcher Krise wir uns bereits befinden. Das müssen wir nach wie vor besser kommunizieren.
Mittlerweile sprechen wir in der Politik-AG aber auch darüber, dass diese erschreckenden Horror-Fakten und diese fürchterlichen Zahlen und Bilder aus der ganzen Welt mitunter vielleicht sogar dazu führen, dass sich Menschen ganz von uns abwenden. Wir müssen aufpassen, dass wir den Bogen nicht mit „Angstmache“ überspannen. Denn es besteht die Gefahr, dass sich dann viele Leute davon so attackiert fühlen, dass sie sagen: „Ich kann mich damit nicht auseinander setzen, das macht mir Angst, das will ich nicht.“
Eine positive Vision
Heißt das, Ihr würdet also eine Alternative zur „deep education“ vorschlagen?
Zumindest diskutieren wir das. In Talks fragen wir uns: Wie kann es uns gelingen, die Leute wirklich „mitzunehmen“? Wie können wir unsere Forderungen eindeutig kommunizieren und trotzdem nicht nur ein Schreckgespenst an die Wand malen? Es muss darum gehen, dieses sofort mit einem positiven Narrativ zu verknüpfen – also mit einer positiven Vision für die Umgestaltung unserer Gesellschaft.
Wir arbeiten verstärkt daran, zu kommunizieren, welche Chancen ein – gesellschaftlicher wie politischer – Strukturwandel bieten kann und dass wir eine Vision einer besseren Welt für alle haben. Um dieses Messaging noch zu verstärken und noch plastischer und auch einladender zu gestalten, arbeiten wir in der Politik AG auch eng verzahnt mit Outreach und Presse zusammen.
"Wir sind das Volk!"
Mein Steckenpferd und mein Lieblingsdetail aus der Politik-AG sind die Bürger:innen-Versammlungen. Dazu werden wir bei der Rebellion-Wave ein Format auf der Straße anbieten: offene Versammlungen. Damit wollen wir die Bevölkerung wirklich involvieren – nicht nur im Zuhören, sondern im Tun. Das, finde ich, ist ein unglaublich spannender Prozess - diese wirkliche Einladung zur Selbstermächtigung: „Wir sind das Volk!“ - Das mag wie eine abgedroschene Phrase klingen, doch es muss klar werden: Wir sind der Souverän. Wir müssen uns empowern. Wir müssen uns involvieren. Und mit „wir“ meine ich natürlich nicht nur XR, sondern unsere gesamte Gesellschaft.
Vielen Dank für das Gespräch, Manon!
[1] Am 15. April 2019 hatten XR-Rebell:innen für mehrere Stunden die Berliner Oberbaumbrücke blockiert, bevor sie von der Polizei gewaltfrei geräumt wurde.
[2] Die letzte XR-Rebellion-Week fand vergangenen Oktober statt (14. bis 20.10.2019).
[3] Performance am Brandenburger Tor, Berlin, am 8. Oktober 2019: https://www.youtube.com/watch?v=RpFH3Gb73rc