Die Bundesregierung nimmt 130 Milliarden Euro in die Hand, um zu sagen: Weiter so! Statt diese Chance für einen mutigen Aufbruch zu einer klimaneutralen und regenerativen Gesellschaft zu nutzen, präsentiert die GroKo hier eine klimapolitische Fehlzündung.
Die Absenkung der Mehrwertsteuer sendet ein klares Signal: Wir konsumieren uns einfach aus der Krise! Doch genau dieses Verständnis von Wohlstand hat uns bereits in die Klimakrise gestürzt. Unser übermäßiges Konsumverhalten wird dank künstlich geschaffener Bedürfnisse und Anreize am Leben gehalten. Statt einen echten sozialen Ausgleich zu schaffen, wird diese Steuererleichterung nun als sozial gerecht verpackt - denn S-Klasse und Fahrrad werden ja beide 3% günstiger. Ein Großteil der hierfür veranschlagten 20 Milliarden Euro wird bei Unternehmen, die von der Krise profitieren, wie beispielsweise bei Amazon, versickern - die Weitergabe der Entlastung an Kund:innen ist optional.
Das gepriesene Zukunftspaket: Eine Mogelpackung
Die eine oder der andere lobt nun das Konjunkturpaket als 'Schritt in die richtige Richtung'. Und die Kritik fällt bisher eher müde aus. Die schlimmsten klimapolitischen Albträume wie eine Prämie für Verbrenner und das absurde Festhalten am Solardeckel wurden zwar verhindert, Bahn und ÖPNV bekommen einen kleinen [!] Teil der weggefallenen Einnahmen erstattet. Doch wo bleibt der Biss, wo der Aufschrei, wenn hier gerade eine der größten Chancen unserer Zeit zu gerechtem Wandel vertan wird? Selbst der grüne Schein des Zukunftspakets trügt: Maßnahmen wie die Förderung von LNG (verflüssigtes Methan) oder neuer Flugzeuge [sic] als Klimaschutz zu verkaufen, ist zynisch.
Individualverkehr for future?
Auch die Verkehrswende kommt durch das Zukunftspaket nicht voran – statt klar auf die kollektiven Transportmittel zu setzen, wird der Individualverkehr (basierend auf unserer imperialen Lebensweise) mit bis zu 6000 Euro für Elektroautos gefördert. Zwar wird der ÖPNV hier und da unterstützt, doch die Maßnahmen muten eher wie ein Trostpflaster an, gemessen am Umfang der sonst reichlich versprochenen Gelder. Apropos Trostpflaster: Die Autoindustrie bekommt einen Zuschuss von zwei Milliarden Euro für 'Forschung und Entwicklung' frei von Zwängen. Für die E-Ladeinfrastruktur, die das Verkehrsministerium und sein ‚Enfant terrible‘ seit Jahren wissentlich verschleppt, werden weitere zweieinhalb Milliarden Euro vergeben.
Um die eher mageren konkreten Maßnahmen für Klimaschutz herum stehen einige Lippenbekenntnisse: Der Ausbau der Offshore-Windkraft-Kapazitäten soll bis 2030 von 15 auf 20 Gigawatt erhöht werden. Finanzielle Mittel sind dafür nicht zugesagt. Die Kfz-Steuer soll sich für Verbrenner-Neuzulassungen an den CO2-Werten orientieren. ‚Immerhin ein symbolischer Akt – der Protest wirkt!‘, verkündet man nun stolz in der Umweltbewegung.
Neokolonialer Wasserstoff
Ebenfalls unkonkret, aber mit einer ambitionierten Rhetorik versehen sind die Pläne für eine 'nationale Wasserstoffstrategie'. An den bisherigen, völlig unzureichenden Plänen des Bundeswirtschaftsministeriums, bis 2030 eine Wasserstoff-Kapazität von fünf Gigawatt aufzubauen, hat sich nichts geändert. Nun will man diese bis 2040 auf zehn Gigawatt erhöhen. Dabei muss Deutschland bis 2025 die Emissionen sämtlicher energieintensiven Industrien wie beispielsweise der Zement-, Stahl- und Chemieindustrie auf null senken. Das kann durch den Einsatz von klimaneutralem Wasserstoff gelingen. Mit der geplanten Leistung von fünf Gigawatt lassen sich aber nur etwa 14 Terawattstunden generieren. Die benötigte Energie der Industrie in Deutschland liegt aktuell allein für Prozesswärme (wie bei Hochöfen in Zement- oder Stahlherstellung benötigt) bei circa 500 Terawattstunden.
Ein weiterer Absatz beschäftigt sich mit weitreichenden Plänen, Wasserstoff-Technologie in Ländern zu implementieren, in denen "aufgrund der geographischen Lage Wasserstoff effizient produziert werden kann". Eine globale Zusammenarbeit in der klimaneutralen Wasserstoffherstellung ist gut und notwendig, aber darf unter keinen Umständen mit nationalistischen Interessen als neokoloniale Maßnahme in Länder des globalen Südens transferiert werden. Für ein Pilotprojekt in Marokko wurden bereits Verträge geschlossen. Ob das Projekt die schwindenden lokalen Wasserreserven bedroht, wie es bereits gebaute Solarkraftwerke tun, ist dabei unklar. Einen so wichtigen Bestandteil der Klimaneutralität wie die Wasserstoffherstellung den Wirtschaftslobbyist:innen zu überlassen, ist indes fatal. Das zeigt das krachend gescheiterte Versprechen, mit Solarstrom von ‚Desertec‘ all unsere Probleme zu lösen.
Grundrecht Wohnen auf Kollisionskurs
Die größte verpasste Chance zur Abschwächung des Klimawandels bei gleichzeitiger Sicherung von Arbeitsplätzen und sozialer Gerechtigkeit liegt womöglich in der Gebäudesanierung. Das 'CO2-Gebäudesanierungsprogramm' der Bundesregierung wird zwar um eine Milliarde Euro aufgestockt, doch die Subventionen spielen vor allem Wohnraum-Spekulant:innen in die Hände und werden nicht annähernd der Bedeutung von energetischer Sanierung gerecht. Die notwendige Transformation des Gebäudebestands hin zur Klimaneutralität funktioniert nicht durch die hier angewandte Anreiz-Logik von Wertsteigerung des Privateigentums. Denn die nun aufgestockte Förderung von Sanierungsmaßnahmen hat in vielen Fällen den Nebeneffekt von Verdrängung und saftigen Mieterhöhungen und setzt die starke Recht-auf-Stadt-Bewegung auf direkten Kollisionskurs mit der Klimabewegung.
Neue Mehrheiten
Bei aller Kritik am Kurs der Bundesregierung - das Konjunkturpaket ist folgerichtig. Die Politik tut, was sie tun muss – sie versucht schnell wieder auf den ‚Wachstumspfad‘ zu kommen, wie es direkt auf der ersten Seite des Entwurfs heißt. Sie sieht sich in der Pflicht, Optimismus zu verbreiten: Geld für alle mit der Bazooka und Wumms, Kollateralschäden egal.
Doch viele haben während dieser Pandemie verstanden: Wir sind längst über den Zenit, haben unsere Unverwundbarkeit verloren. Wir stehen in Abhängigkeit voneinander, nicht in Konkurrenz, können auf Bedrohungen mit Kooperation und Solidarität reagieren. Wir erkennen, was wir wirklich brauchen – und worauf wir verzichten können. Der globalisierte freie Markt zeigt sich indes als fragiles Konstrukt, der zugrunde liegende Neoliberalismus offenbart eine Unerbittlichkeit, die nun nicht mehr zu ignorieren oder abzutun ist. In diesem Jahr sehen wir zum ersten Mal gesellschaftliche Mehrheiten überall auf der Welt, die sich offen gegen Wachstum und für die Rettung von Menschenleben stellen.
Transformation kommt von unten
Was wir jetzt brauchen und wofür die Menschen bereit sind, ist ein mutiges und weitreichendes Transformationspaket. Eines, das den Tatsachen ins Auge schaut, offen kommuniziert, was nötig ist, um die globale Erwärmung unter 1,5°C zu halten, und das bis dahin verbleibende Emissionsbudget anerkennt. Eines, das den Indikator für Erfolg an das jetzige und zukünftige Wohlergehen von Menschen knüpft und Bruttoinlandsprodukt und Wachstumszwang hinter sich lässt. Ein Transformationspaket, das den Strukturwandel in allen Sektoren gerecht und für die Arbeiter:innen gestaltet. Eines, das konsequent die fortlaufenden Subventionen für fossile Energien umleitet, einen zutreffenden CO2-Preis einführt und die Restauration von Ökosystemen mit großer Ambition angeht. Für all das sind Menschen bereit, wenn sie dies im Rahmen von deliberativen Bürger:innenversammlungen selbst erarbeiten - die Politik braucht nun den Mut, sie zu lassen.
The ideas that are lying around now
Seit der letzten globalen Krise 2008 und den darauf folgenden Reaktionen wie zum Beispiel dem ‚Wachstumsbeschleunigungsgesetz‘ ist in der Zivilgesellschaft viel passiert. Ausgereifte Ideen und Vorschläge zu sozial-ökologischem Wandel, Postwachstum und Klimagerechtigkeit gibt es nun reichlich, und sie liegen gut zugänglich auf dem Tisch. Dem fossilen Kapitalismus hingegen sind die Ideen ausgegangen. Er kann der Politik keinen Weg mehr glaubwürdig aufzeigen, das zeigt sich auch an der Rhetorik, mit der die massiven Geldspritzen überall auf der Welt verteidigt werden: Sie sind alternativlos. Wir sind es nicht.