DANNI? - BLEIBT!

Geschrieben von Linda Becker am 18.12.2020

Eine Hommage an Menschen in Bäumen

Ich laufe durch den Bahnhofstunnel von Stadtallendorf. Ja, dahinten stehen wieder Menschen an der Mahnwache, um Ankommende in Empfang zu nehmen. Gerade habe ich überlegt, was ich wohl mache, wenn da keine/r ist?

Eine junger Mann ruft sofort beim Infopoint im Dannenröder Camp an. Eine junge Frau möchte geshuttelt werden. Die beiden gehören zu den Waldbewohner:innen. Er hat noch rote und schwarze Farbe im Gesicht. Die Frau erzählt mir, dass sie nur ein paar Stunden geschlafen hat, sie ist so erschöpft. Ich frage sie, wie es für sie weitergeht. ,,Es war soo anstrengend. Also körperlich. Ich möchte mich nur noch ausruhen. Aber dann komm ich wieder.“ Und trotz ihrer Erschöpfung sehe ich das Leuchten in den Augen.

Da kommt ein Lieferwagen. ,,Nein, nicht da hinten die Türe aufmachen!! Dann fallen meine Küche und mein Wohnzimmer raus!!“, höre ich.

Ich muss grinsen. Der Wagen ist hinten eigentlich ziemlich leer. Bis auf Schlafsack und ein bisschen Kram. Der Fahrer hat ein wettergegerbtes Gesicht und einen etwas nordischen Slang.

„Schade, dass ich so spät erst vom Danni gehört habe. So`n Baumhaus mach ich mit links. Ich bin ja Tischlermeister und hatte, als ich herkam, den ganzen Wagen voll mit Baumaterial!" Dann grinst auch er. „Das läuft eigentlich ziemlich gut hier. Letztens hatte die Küfa (Küche für ALLE) eine Großspende bekommen. Zehn Zentner Seidentofu. Und hast du schon von der Päckchenaktion gehört? Es gibt zu Nikolaus zentnerweise Päckchen für die Waldbewohner. Aus ganz Deutschland!“ Nach einer kleinen Pause sagt er: ,,Die können zwar die Baumhäuser hier kaputt machen mit ihren Maschinen, aber diese Kraft, die hier entstanden ist, die nicht!“

Wir sind im Dorf, fahren los und biegen in den schmalen Weg zum Camp. Ein großer Wagen kommt uns entgegen. Ich steige aus. ,,Hat jemensch noch Kapazität, beim Müll zusammenräumen zu helfen?“ Etwa sieben Menschen sind mit Müllsäcken und einem kleinen Müllberg am Straßenrand beschäftigt. Selbst als die beiden Wagen sich nah an ihnen vorbeischlängeln und ein Hund kläffend zur Seite springt, bleibt es recht entspannt. Ja, ich bin wieder hier!

Auf dem Sportplatz von Dannenrod stehen überall kleine Grüppchen zusammen. Am Rande kleine Infotische mit selbstgebackenen Plätzchen und Infomaterial.

Oben auf der Bühne türmen sich die Päckchen. Ich bin beeindruckt. Es sind wirklich Hunderte!

Eine Frau aus der Gegend zeigt auf die Zelte im Wald: „Da wohnen jetzt die jungen Leute, die vorher in den Baumdörfern gelebt haben. Manche sind schon sehr traumatisiert. Mein Sohn ist auch dabei. Er ist Baumpfleger und hat schon auch Angst um seine Freunde.“

Ich mache mich auf den Weg in den Wald, um die Schneise der Zerstörung zu sehen. Am Waldrand begegne ich ‚Wüste‘. Wir hatten uns bei meinem letzten Besuch im Danni kennengelernt. Sie erzählt von ihren Lieblingsorten. Sie sind einfach nicht mehr da. Weggebaggert. Abgesägt. Die Tränen laufen ihr übers Gesicht. ,,Eigentlich würde ich gerne einen Grief Circle machen.“ Ein Grief Circle ist ein Kreis, der uns die Möglichkeit gibt, uns mit all unseren Gefühle angesichts der ökologischen Krise zu zeigen.

Wir schauen gemeinsam runter ins Tal. Dort ist diese Baustelle. Sie ist mit Stacheldraht umzäunt und wird von Flutlichtern angestrahlt. Sie wirkt so monströs in dieser unberührten Landschaft. Ein Fremdkörper.

‚Wüste‘ geht dorthin, wo sie früher so gerne gesessen hat, und ich gehe in den Wald, um zu begreifen, was hier passiert ist. Die Schneise ist abgezäunt. Auf der rechten Seite liegen akkurat aufeinander gestapelt die Stämme der Bäume, die hier Wald gewesen waren. Auf der linken Seite ihre Äste und Zweige. Eine Frau sagt im breiten Hessisch: ,,Ich kann das net glauben!“ Und fängt an zu weinen. Zwei Kinder werfen Tannenzweige oben in die Stacheldrahtrollen. Sie wollen den Zaun schmücken. Ganz weihnachtlich. Sofort sind Polizisten da. Sie lassen mit sich reden und drehen wieder ab.

Ich muss an den Wasserwerfereinsatz der Polizei denken. Die Demonstranten hatten mit Schneebällen geworfen. Und Wasserwerfer waren die Antwort.

Auf dem Rückweg durch den Wald begegne ich dem Youtuber ‚Bewegungsgärtner‘ (Tommy). Ich laufe auf ihn zu, aber er winkt ab. ,,Ich bin durch!“

Und mir fällt ein, dass er ja bei der Räumung des Baumdorfes OBEN dabeisein wollte.

Zurück im Camp höre ich Wortfetzen von der Bühne. Barbara Schlemmer spricht. Die Parents for future haben diese Geschenkaktion für die Aktivisti im Wald initiiert. Und sie erzählt, wie es weiter geht.

Das Bündnis ,,Wald statt Asphalt“ wird auf juristischem Weg weiter machen und lädt weiterhin alle Menschen ein zu bleiben. Der Danni wird weiterhin gefällt. Für Zufahrtswege. Und es gibt da immer noch viel zu tun. Und sie wünscht sich, dass ein Wirbelsturm vom Danni ausgeht. Für eine sofortige Verkehrswende! Sie bedankt sich bei Ende Gelände, Extinction Rebellion, Robin Wood ...

Auf der Bühne geht es mit Musik weiter. Ein lustiges Trio singt für die Waldmenschen auf die Melodie von Dona nobis pacem: ,,Da-anke, Da-anke!“

Die Stimmung ist wirklich schön. Plötzlich stürmt Barbara Schlemmer wieder auf die Bühne. Eine Hundertschaft von Polizist:innen ist vorgerückt. Wenn wir jetzt sofort alle hingehen, können wir die Räumung noch aufhalten. Das Bühnenprogramm wird sofort abgebrochen.

Und wir gehen alle los. Zur letzten Struktur im Wald: OBEN. Ein junger Waldmensch zeigt mir die Abkürzung.

Hier war früher nur ein ganz kleiner Waldpfad. Wir waten durch den Matsch. Ich sinke bis zu den Knöcheln ein. ,,Das macht was mit einem, dieser Matsch!“ Er lacht. Ja, es stimmt.

Am Waldteich bleiben wir stehen. „Siehst du da die Traverse?“

Hier können sie keine Maschinen einsetzen, ist einfach zu weich, der Boden.

,,They know the price of everything, but the value of nothing“, sagt er unvermittelt. Ich nicke. Es ist einfach so unglaublich schön hier.

Dann machen wir noch einen kleinen Umweg. Und wir sind an einer Quelle.

,,Das ist tollstes Trinkwasser! Im Sommer kann man hier wunderbar baden.- Ja, im Sommer, da haben wir uns hier noch so sicher gefühlt. Und jetzt muss man aufpassen, dass man nicht von irgendwelchen Cops überfallen wird.“

Wir gehen weiter. Ich drehe mich noch einmal um, um mir noch einmal diese wunderschöne Waldlichtung anzuschauen.

Da kommen weiße Gestalten mit federnbesetzten Gewändern durch den Nebel. Sie bewegen sich geradezu lautlos und streifen durch die Lichtung.

Und dann sind wir unter den Baumhäusern von OBEN: 500-1000 Menschen sind da.

Mein Begleiter ist ganz bewegt. Er erzählt: ,,Am Anfang, als es los ging mit der Räumung, waren auf dem Boden unterm Baumhaus vielleicht fünf bis zehn Menschen. Wenn wir immer so viele wären, dann könnten die das nicht schaffen!“

Auf der gerodeten Fläche haben am selben Tag Menschen von Ende Gelände Barrikaden errichtet. Die Kahlfläche sieht aus wie ein riesiges Labyrinth.

Ein älterer Herr spricht ganz enthusiastisch in sein Handy: ,,Es sind wirklich alle Generationen hier!“

Eine lange Reihe von Polizist:innen riegelt die Baustelle ab. Ich stehe unter der letzten Struktur. Hinter den Bäumen mit den letzten Baumhäusern des Dorfes ist die andere Kahlfläche zu sehen. Ich komme mit zwei jungen Baumhausbewohnern von OBEN ins Gespräch. Einer trägt einen durchlöcherten Norwegerpulli und Dreads und hat ein feines Gesicht.

Wir überlegen, ob es im Schutz der Menge möglich ist, noch Tripods aufzustellen. Es ist tatsächlich seit einigen Tagen im Kreis Vogelsberg verboten.

,,Ich hätte nicht gedacht, dass sie hier zuletzt räumen. Alles hat hier mit OBEN angefangen. Das war ein ganz schöner Schock, als wir auf einmal bis zur nächsten Struktur gucken konnten. Vier Wochen Räumung. Das ist wie Krieg! Diese Geräusche. Das Schlimmste war immer das laute Krachen der LKW-Klappen, wenn sie Kies ausgekippt haben. Und dieses ständige Flutlicht. Sägen. Brechen der Bäume. Aber wir, wir sind innen weich geblieben. Wir sind nicht hart geworden. Trotz der Gewalt der Cops. Wir haben immer unseren Morgenkreis gemacht. Gelacht. Oben Handball gespielt, während die Cops unten standen. Ein Lagerfeuer gemacht. So Sachen.“

Etwas weiter weg singen wieder die drei Frauen mit dem Akkordeon: ,,Daa-nke daa-nke, euch auf den Bäumen!“

Alle singen mit. 500 bis 1000 Menschen. Und dann zeigen alle zum Baumdorf OBEN.

Meinen beiden Gesprächspartnern stehen die Tränen in den Augen. Sie sind so berührt. Es ist ein schöner, ergreifender Moment.

,,Später, wenn wir uns ausgeruht haben, dann wollen wir von OBEN zusammen ziehen in eine WG. Und dann geht es weiter. Es gibt noch so viele Wälder...und überflüssige Autobahnplanungen…“

Etwas weiter weg spricht gerade Luisa Neubauer durch ein Megaphon. Auch Peter Wohlleben soll da sein. Die Redner des Bühnenprogramms sind einfach mit in den Wald gezogen.

In unserer Nähe steigt ein Poetry Slammer auf eine Barrikade. Er hat seine Erfahrung der Räumung in ein Gedicht gefasst:

,,Dann kreischen nur die Sägen...“

Als er zu Ende gesprochen hat, ist es still. Die Dämmerung setzt ein. Ich schaue noch einmal in das große Baumhaus von OBEN. In diesen großen und mächtigen Baum, der bald nicht mehr sein wird.

Hier hängt ein großes, weißes Banner:

„Was ist das für eine Gesellschaft, in der wir leben? In der Profitinteressen Einzelner Vorrang haben vor den Gesetzen, die den Erhalt unserer Lebensgrundlagen und die Zukunft unserer Kinder sichern?“

#SystemchangeNotClimatechange!

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