Corona und dann? Bürger:innen für die Wende im Denken

Geschrieben von Heiko Erhardt, AG Bürger:innenversammlungen am 07.04.2020

Ewig wird sie nicht dauern, die Corona-Krise. Und dann? Zurück zum Normalzustand, weiter wie bisher? Hoffentlich nicht. Denn wir erleben gerade eine Zäsur, die uns die Chance eröffnet, zu lernen. Wir sollten diese Gelegenheit nicht verpassen. Eine Bürger:innenversammlung könnte der Schlüssel sein, die transformative Kraft, die in der Krise steckt, zu entdecken und zu nutzen.

Kurt Wilhelmi, CC BY-SA 2.0

Die Corona-Krise trifft uns mit Wucht aus heiterem Himmel. Binnen weniger Wochen befindet sich die Welt im Ausnahmezustand. Gravierende Einschränkungen unseres Lebens sind die Folge. Unsere Wirtschaft wird schwer in Mitleidenschaft gezogen und muss mit Zuwendungen in dreistelliger Milliardenhöhe gestützt werden. Das Virus macht uns die Verletzlichkeit unserer globalen Gesellschaft schmerzlich klar. Für einen Teil von uns geht es um Leben oder Tod.

So sehr uns die Auswirkungen von COVID-19 gerade beschäftigen – es gibt eine Zeit nach der Krise. Und wir werden die Chance haben, aus ihr zu lernen - um die Heftigkeit kommender existenzbedrohender Krisen abzuschwächen und besser mit ihren Folgen umgehen zu können. Das gilt für eine Pandemie genauso wie für die Klima- und Umweltkrise, die bereits begonnen hat.

Werte, die wir vernachlässigt haben, entdecken wir gerade neu: Solidarität, nachbarschaftliche Hilfe, menschliche Wärme, lokale und regionale Anbindung statt globalisierter Abhängigkeit und nicht zuletzt entschlossenes, gemeinwohlorientiertes Handeln fern von Profitdenken.

Es ist an der Zeit, unsere Gesellschaft und ihre Mechanismen neu zu bewerten und auch zum Teil neu zu denken. Anders als bei den im Eilverfahren durchgewunkenen Corona-Hilfsmaßnahmen geht es hier nicht darum, Symptome schnell und effektiv zu bekämpfen. Es geht um einen dauerhaften Kulturwandel, mit dem Ursachen adressiert werden können. Eine solche Neuausrichtung muss von Bürger:innen maßgeblich mit erarbeitet und mit getragen werden. Hierzu können wir vertiefte Formen der Bürger:innenbeteiligung einsetzen, die unser politisches System angemessen ergänzen.

Parlamentarische Systeme sind in ihrer Handlungsfähigkeit oft eingeschränkt durch Fraktionszwang, Lobbyismus und dem Vermeiden unpopulärer Entscheidungen aufgrund von wahltaktischen Erwägungen. Die direkte Beteiligung der Öffentlichkeit am politischen Prozess stattet Politiker mit einem klaren Mandat der Bevölkerung hinsichtlich eines bestimmten Themas aus. Damit können sie sich auch für langfristige Strategien einsetzen, die den Bedürfnissen der gegenwärtigen wie auch der zukünftigen Generationen Rechnung trägt.

In den letzten Jahren haben sich weltweit Bürger:innenversammlungen als konstruktives Werkzeug erwiesen, das die Schwächen unserer parlamentarischen Demokratie effizient kompensieren kann. Repräsentative Großgruppen von zufällig ausgewählten Bürger:innen beschäftigen sich über einen längeren Zeitraum intensiv mit einem klar umrissenen Thema. In einem transparenten Prozess hören die Bürger:innen Meinungen von Expert:innen, die unterschiedliche Perspektiven einbringen. In einem moderierten Verfahren tauschen die Bürger:innen ihre Standpunkte aus und einigen sich auf eine Reihe von Empfehlungen. Nicht selten erweitern Bürger:innen in diesem Prozess ihren Meinungshorizont und übernehmen echte Verantwortung für tragfähige und nachhaltige Lösungen. Dabei ist es wichtig, dass sich die Politik im Vorhinein dazu verpflichtet, die Empfehlungen der Bürger:innenversammlung als handlungsleitend zu betrachten und sie entsprechend in den parlamentarischen Prozess zur Gesetzgebung einzubringen.

Nutzen wir die Krise als Wendepunkt. Es geht um unsere Zukunft. Lasst sie uns gemeinsam gestalten – durch eine konstruktive Vertiefung unserer Demokratie.

Eine Bürger:innenversammlung benötigt Zeit für die Vorbereitung und eine wirksame Anbindung an das politische System. Ein Vorschlag zur genauen Fragestellung für die Bürger:innenversammlung, deren Organisation und dem politischen Verfahren könnte von einer Arbeitsgruppe aus Politiker:innen, Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen von Demokratie- und Umweltbewegungen erarbeitet werden.

Wir von Extinction Rebellion sind gerne dabei und bringen unsere Ansätze ein - eine Bürger:innenversammlung zum Thema Klima- und Umweltkrise ist eine unserer drei zentralen Forderungen.

Lasst uns nicht warten, bis stillschweigend wieder die alte Normalität einkehrt. Wendet euch jetzt an eure Abgeordneten und Vertreter:innen der Regierung und fordert Bürger:innenversammlungen, die sich mit der Welt nach Corona auseinandersetzen. Es ist uns ernst mit diesen Themen. Lasst uns unseren Politiker:innen klar machen, dass sie sie ernst nehmen sollten.

Mit Bildmaterial von Kurt Wilhelmi

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