Bauwende JETZT

Geschrieben von Marcelo Ruiz für die Blog-Redaktion am 25.02.2021

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Damit die globale Erderwärmung, wie im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart, auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden kann, ist eine konsequente Bauwende erforderlich. Interview mit Isabel Dietsch von Architects for Future e.V. anlässlich des Anhörungstermins der Petition am 01.03.2021 im Bundestag.

Hallo Isabel! Es freut mich, dass wir Zeit haben, über eure erfolgreiche Petition zu sprechen. Kannst du zunächst etwas zu dir und deiner Person sagen?

Ich bin Isabel Dietsch, arbeite als angestellte Architektin im Bereich Akquisition und Öffentlichkeitsarbeit in einem Berliner Büro und bin seit ca. 1,5 Jahren bei Architects for Future aktiv. Aktuell schreibe ich meine Masterthesis in einem berufsbegleitenden Masterstudiengang an der UdK Berlin über das Thema Leadership in digitaler Kommunikation.

Ihr konntet am 9. Januar erfolgreich vermelden, dass ihr die erforderlichen Stimmen für die Petition zusammen bekommen habt. Erkläre uns doch noch einmal kurz, worum es in der Petition geht und wer ihr bei Architects for Future seid?

Wir von Architects for Future stehen solidarisch zur Fridays for Future-Bewegung und sind ein Verbund aus allen der Baubranche zugehörigen Berufsgruppen, z.B. Architekt:innen, Ingenieur:innen, Handwerker:innen und Studierenden aus diesem Fachbereich. Wir fordern einen klimagerechten Wandel der Baubranche, um die globale Erderwärmung, wie im Pariser Klimaschutzabkommen vereinbart, auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. In der Petition haben wir sieben Punkte erarbeitet.

Die Idee, eine Petition zu verfassen, ist in verschiedenen Ortsgruppen von Architects for Future entstanden. Daraus hat sich dann eine überregional agierende AG gebildet. Zuerst wurden hier mehrere Petitionen mit einzelnen Forderungen erarbeitet. Zum Einreichen im Bundestag fanden wir es aber sinnvoller, eine Petition zu verfassen, die ein ganzes Maßnahmenpaket für eine komplette nachhaltige Bauwende einfordert.

Uns wurde auch klar, dass das sofort und jetzt geschehen muss. Der Bausektor ist aktuell für 40 % des CO2-Ausstoßes global und in Deutschland verantwortlich. Er verursacht die Hälfte des Müllaufkommens in Deutschland und verbraucht 90 % der mineralischen, nicht nachwachsenden Ressourcen. Daher haben wir als wichtigste Forderungen formuliert, dass das Bauen mit gesunden und kreislauffähigen Materialien gefördert, dass Sanierungen vereinfacht und dass unsere Städte grüner und sozialgerechter geplant werden sollen.

Was ist das Neue an der Petition?

Jetzt klingen die Forderungen der Petition für Kenner der Baubranche durchaus vertraut. Gerade in der Baubranche erleben wir ja, dass z.B. Fenster nicht mehr einfach, nicht mehr zweifach, sondern mittlerweile mit Dreifachverglasung und damit mit einem besseren Wärmeschutz verbaut werden. Das Thema Energiesparen ist für den Baubereich nichts Neues. Auch die Bundesregierung hat sich des Gebäudesektors angenommen, Klimaschutzziele formuliert und ein Klimaschutzprogramm 2030 aufgelegt.

Natürlich sind das Klimaschutzprogramm 2030 und das Gebäudeenergiegesetz (GEG) Schritte in die richtige Richtung. Aber die reichen bei weitem nicht aus, um den globalen Temperaturanstieg durch den Treibhauseffekt auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Besonders kritisch ist – und das, obwohl es viele fordern – dass im GEG die Graue Energie nicht berücksichtigt wird. Das hat z.B. auch die Deutsche Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB) kritisch angemerkt. Dieser wichtige Hinweis wurde komplett ignoriert. Außerdem fußt der gesamte Maßnahmenmix, den die Bundesregierung aufgestellt hat, auf einer viel zu optimistischen Annahme der Emissionsminderungen bis 2030. Mit diesem Förderprogramm und dieser aktuellen Gesetzgebung können wir die Ziele auf keinen Fall erreichen. Daher müssen wir noch konsequenter handeln.

Jetzt hast du gerade den Begriff der "Grauen Energie" verwendet. Kannst du ihn erläutern?

„Graue Energie“ bedeutet, dass Energieverbräuche und die von ihnen ausgelösten CO2-Emissionen nicht erst ab dem Tag gerechnet werden, ab dem ein Gebäude gebaut wird, sondern schon die in der Herstellung aufgewendete Energie und auch die bei der Entsorgung berücksichtigt werden. Wenn die Umweltfolgekosten, die wegen der durch CO2 verursachten Klimakrise entstehen, auf Baustoffe umgelegt würden, wäre ein Baustoff wie Beton beispielsweise viel teurer, weil er bereits in seiner Herstellung sehr viel Energie verbraucht und somit CO2 verursacht. Das wurde bislang im GEG, dem neuen Gebäudeenergiegesetz, nicht berücksichtigt.

Ihr kritisiert also, dass die Strategie, die die Bundesregierung mit dem Klimaschutzgesetz und -programm verfolgt, rechnerisch zu kurz greift, weil vorgelagerte CO2-Emissionen fehlen, weil sie nicht in Deutschland anfallen oder weil nicht betrachtet wird, wie die Baustoffe nach Deutschland kommen? Wie wichtig ist dieser Aspekt der „Grauen Energie“?

Das ist äußerst relevant. Wenn man in der Ökobilanzierung eine Konstruktion aus Beton einer Konstruktion aus Holz gegenüberstellt, ist Holz wesentlich günstiger. Natürlich ist Beton nicht in allen Bereichen schlecht. Wenn Gebäude gegen Grundwasser abgesichert werden müssen, dann ist Beton derzeit kaum vermeidbar. Wir sind aber dafür, dass Beton nur noch dort eingesetzt wird, wo es keine funktionalen Lösungen gibt, die ökologisch nachhaltig sind. Beton sollte nicht, wie es oft, z.B. im modernen Wohnungs- und Bürobau der Fall ist, für alles eingesetzt werden. Man kann ein Fundament aus Beton bauen und darauf ein Gebäude aus Holz setzen. Diese hybride Konstruktion ist unter den aktuellen Bedingungen eine mögliche Lösung.

Bestandsschutz und Sanierung

Ich habe in der Petition auch die Stichworte Bestandsschutz und Sanierung gelesen. Welche Rolle hat ein anderer Umgang mit dem Bestand? Wie können wir uns das vorstellen? Darf nicht mehr neu gebaut werden? Müssen wir in alten ‚Butzen‘ sitzen bleiben? Wie sieht das Baugewerbe in Zukunft aus?

Wir haben uns damit beschäftigt, welche Hebel wir einsetzen können, um den großen CO2-Fußabdruck der Baubranche zu verringern. Gerade im Gebäudebestand steckt ein enormes Potenzial, weitere CO2-Emissionen zu vermeiden. Unserer Meinung nach spart das Umnutzen und das Neugestalten des Bestands enorme Ressourcen gegenüber dem Neubau ein.

Hinzu kommt, dass wir unsere Baukultur wertschätzen. Ein wertschätzender Umgang mit dem Gebäudebestand bedeutet auch einen behutsamen Umgang mit Nachbarschaften, mit dem vorhandenen sozialen Umfeld. Neubau bedeutet in der Regel weitere Flächenversiegelung, die dann natürlich noch weniger zulässt, dass wir in der Stadt Grünflächen haben. Die brauchen wir aber umso stärker, je mehr wir den Belastungen durch die Klimakrise, z.B. Hitzewellen und Starkregenereignissen, in unseren Städten etwas entgegensetzen wollen.

Sozial- und generationengerechte Bauwende

Du hast gerade den Punkt der sozialgerechten Bauwende angesprochen. Wie wollt ihr sicherstellen, dass das Bauen nicht noch teurer wird, weil höhere ökologische Standards eingehalten werden müssen? Der Mechanismus, dass auf der anderen Seite etwas preiswerter wird, funktioniert von alleine ja nicht. Erst einmal kriegt CO2 einen Preis, der dann auch noch für die eingesetzte Graue Energie gelten soll. Welche Ideen habt ihr, damit das Bauen erschwinglich bleibt?

Durch die CO2-Bepreisung für Gebäudewärme entstehen Kosten, die derzeit als energetische Sanierungskosten auf Mieter:innen umgelegt werden können. Damit sind wir nicht einverstanden. Ein Teil unserer Petition fordert eine sozialgerechte Bauwende. Wir sehen auf jeden Fall einen Bedarf, am CO2-Preismechanismus im Sinne einer stärkeren Sozialverträglichkeit nachzuregeln.

Aber zugleich muss ich eine Gegenfrage stellen: Ist denn das Bauen heute wirklich preiswert? In den Preisen von heute steckt alles das gar nicht drin, was zukünftige Generationen an Klimafolgekosten aufgrund von Waldbränden, Hitzeperioden, Überflutungen etc. bezahlen werden. Die Politik weigert sich derzeit noch, die gesamten Kosten im Lebenszyklus eines Gebäudes bereits beim Bau zu berücksichtigen. In Wahrheit ist es ziemlich teuer, wie wir jetzt bauen.

Deshalb fordern wir eine Bauwende hin zum nachhaltigen Bauen, hin zu Bauformen, die wir auch schon hatten, die aber anscheinend in Vergessenheit gerieten, die aber viel resilienter, d.h. überlebensfähiger waren. Wir fordern, dass hinsichtlich technischer Gebäudekonzepte umgedacht wird. Gefragt werden muss, ob ein Bürogebäude wirklich eine vollverglaste Fassade haben muss, weil dadurch nicht nur im Sommer eine Klimatisierungsanlage erforderlich wird, die wiederum so viel Energie verbraucht und dadurch der Klimakrise weiter einheizt. Das ist der Teufelskreis, den wir durchbrechen wollen.

Kannst du noch ein Beispiel bringen für die überlebensfähigeren Konzepte, die in Vergessenheit geraten sind?

OK, nehmen wir den Holzbau. Wenn alles aus Holz gebaut werden soll, ist es schwierig. Es gibt jedoch verschiedene Konzepte und Mischformen, z.B. Mauerwerk, Lehmbau in Kombination mit Holz. Diese Bauweisen haben wir schon vor 100 und 200 Jahren verwendet, und sie sind sehr zukunftsfähig, weil sie sehr langlebig sind. Im Vergleich dazu müssen viele heutige Neubauten schon nach 30 - 40 Jahren abgerissen oder aufwendig saniert werden.

Wir müssen für die Zukunft bauen lernen

Am Ende eurer Petition kratzt ihr an Themenbereichen, die deutlich machen, dass euch noch mehr bewegt als nur der engere Baubereich. Ihr sprecht Flächenversiegelung, sprecht die Ausbildung an. Habt ihr eine Strategie, warum ihr mit der Bauwende auch noch andere Berufsgruppen oder Sektoren mitnehmen wollt?

Wir haben auf jeden Fall eine Bildungsstrategie, weil wir größtenteils Architekt:innen und Ingenieur:innen sind, die mit einer Ausbildung konfrontiert waren, die sehr auf einen Ressourcen missachtenden Neubau ausgelegt ist. In der Ausbildung wird wenig bewusst mit dem Baustoff Beton umgegangen. Ganz wenig wird gelehrt, wie Gebäude im Bestand genutzt werden können.

Durch diese Blindstellen in der Lehre haben Architekt:innen heutzutage regelrecht Angst, den Bestand zu nutzen oder kreativ umzuplanen. Wir sind komplett auf Neubau ausgerichtet. Das ist ein Grundproblem. Ökologisches Bauen oder nachhaltiges Bauen sind in der Ausbildung oder in Abschlussarbeiten oft nur Randthemen, die mitbehandelt werden, die aber fast nie fester Anker eines Entwurfs sind. Wir stehen in Kontakt mit den Hochschulen und wollen, dass diese Herausforderungen nicht länger ignoriert werden. Wir müssen für die Zukunft bauen lernen. Bauen im Bestand ist für uns ein Zukunftsthema.

Aufbruch?

Jetzt hat es etwas Erfreuliches an sich, über eine erfolgreiche klimapolitische Petition berichten zu können. Wie geht es aber nun weiter mit der Petition? Wie ist eure Gefühlslage? Gibt es da eine Aufbruchstimmung?

Bei uns im Team gibt es auf jeden Fall eine Aufbruchstimmung. Es ist ein super Erfolg, dass wir mit dem Quorum mehr als die erforderliche Stimmenanzahl erreicht haben. Ebenso positiv ist, dass wir uns während der Kampagnenarbeit vernetzen konnten und so viel Zuspruch aus allen Richtungen erhalten haben.

Was mich damals bewegt hat, bei A4F einzusteigen, war es, dass mir meine Verantwortung als Architektin bewusst wurde. Mir war nicht bewusst, dass 40 % der CO2-Emissionen aus dem Gebäudesektor kommen - und das, obwohl ich mich schon immer für Klimaschutz eingesetzt habe. Als ich das erfuhr, habe ich gemerkt, dass ich da etwas ändern will und dass ich Teil dieser Bewegung sein möchte. Ich glaube, vielen Architekt:innen und mit der Baubranche Beschäftigte, die jetzt durch die Öffentlichkeitsarbeit von der Petition erfahren haben, geht es genauso. Sie wollen an dieser Wende teilhaben, sie fühlen sich viel motivierter, auch in ihrem Job etwas zu ändern.

In den Büros und Betrieben wird langsam umgedacht. Für uns war der 27. Januar dieses Jahres ein Erfolg. An diesem Tag gab es eine Bundestagsdebatte zu den Themen ressourcenschonendes Bauen und Bauwende. Zum Beispiel haben sich die Grünen vollkommen für eine Bauwende ausgesprochen, was wir auch erwartet hatten. Aber auch die SPD hat selbst zugegeben, dass sich die gesteckten Ziele mit dem Klimaschutzprogramm nicht erreichen lassen. Außerdem haben wir jetzt erfahren, dass wir am 1. März 2021 im Petitionsausschuss angehört werden.

Druck erhöhen

War der Debattentermin im Januar aus einem anderen Kontext entstanden? Wie kam es zu dieser fast zeitgleichen Debatte?

Also, die Parteien hatten das Thema ressourcenschonendes Bauen bereits auf der Agenda. Aber durch die Petition konnten wir den Druck enorm erhöhen und die gesellschaftliche Relevanz verdeutlichen. Wir arbeiten überparteilich und suchen ausgehend von der Petition Kontakt und Austausch zu den verschiedenen Fraktionen. Die Debatte zeigt, dass letztlich alle Parteien sehen, dass hier Handlungsbedarf besteht. Nur setzen sie an unterschiedlichen Punkten an. Selbstverständlich gibt es dabei mit einigen Parteien größere Schnittstellen als mit anderen.

Wenn ihr die Petition im März ausführlich darstellen könnt, gibt es danach eine Perspektive wie es weitergeht? Denkt ihr an eine Gesetzesvorlagee oder an ein Maßnahmenbündel? In welche Richtung lässt sich so eine Petition fortspinnen?

Wir hoffen natürlich, dass unser vorgeschlagenes Maßnahmenpaket so schnell wie möglich umgesetzt wird. Es ist auf jeden Fall schon einmal ein Erfolg, dass die Politiker:innen das Problem erkannt haben und nicht mehr länger wegsehen können, weil es den Druck aus der Zivilgesellschaft gibt. Wir werden den konkreten politischen Prozess auf jeden Fall begleiten. Schließlich haben wir ja nur noch 9 Jahre Zeit bis 2030. Wir müssen jetzt alle Hebel in Bewegung setzen, um etwas zu ändern, beispielsweise das Gebäudeenergiegesetz noch einmal nachregeln. Im Fokus stehen dieses Jahr natürlich auch die vier Landtags- und die Bundestagswahlen. Die Klimakrise sollte hier zentrales Thema sein.

Kann es sein, dass eure Petition jetzt in eine politisch ungünstige Situation fällt, weil wir vor einer Bundestagswahl stehen, welche im besten Fall mit eurer Thematik aufgeladen wird, aber danach geht die Bauwende in den Wirren der Koalitionsbildung unter? Wie behaltet ihr da einen langen Atem?

Gute Frage. Einerseits ist die Petition wichtig für uns, und wir hoffen, dass dadurch etwas bewegt wird und Regelungen und Gesetze beschlossen werden. Andererseits geben wir als Gruppe niemals auf und werden weiter Öffentlichkeitsarbeit betreiben und klimapolitisch auf die Straße gehen. Die Relevanz des Beitrags der Baubranche zur Erderhitzung muss allen Architekt:innen bewusst werden.

Ein weiteres wichtiges Datum in der Zukunft - du kennst es selber – ist der nächste globale Klimastreik am 19. März. An diesem Tag sind wir auch dabei. Wir werden im Zusammenhang mit der Petition und dem Klimastreik eine Dokumentation mit einem Kamerateam drehen, weil uns bewusst ist, dass Filme auf eine viel breitere Öffentlichkeit treffen. Wir verfolgen zahlreiche Projekte, die auch durch die Petition angeschoben wurden. Gerade durch die Verbindung mit so vielen Organisationen, die sich mit diesem Thema beschäftigen, glaube ich, dass wir den Druck so immens erhöhen dieses Jahr, dass die Politik einfach nicht mehr an unseren Forderungen vorbeikommt.

Wenn man sich über eure Aktivitäten informieren und vielleicht auch mitmachen möchte: www.architects4future.de. Findet man dort alle Infos zu Beitrittsmöglichkeiten?

Wer aktiv mitmachen will, schaut einfach auf unserer Webseite unter ‚Mitmachen‘ nach. Dort sind alle Ortsgruppen aufgeführt. Einfach direkt bei einer Ortsgruppe anmelden und beim nächsten Onlinetreffen teilnehmen.

XR: Prima! Euch viel Erfolg und vielen Dank für das Interview!

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