offener Brief an ARD-aktuell und den NDR

Sehr geehrte Damen und Herren der Chefredaktion von ARD-aktuell,

Sehr geehrte Mitglieder des Rundfunkrats,

wir danken Ihnen für Ihre Offenheit für Gespräche über Ihre Berichterstattung zur Klima- und ökologischen Krise.

Sie weisen zurecht darauf hin, dass seit Jahren über den Klimawandel berichtet wird. Ihre langjährige Berichterstattung dazu ist lobenswert, aber nicht Inhalt des Anliegens. Denn eine über Jahre hinweg unzureichend angepasste Berichterstattung zur Klimakrise ist nicht mehr zeitgerecht.

Schon jetzt lassen die Häufigkeit und Stärke einiger Extremwetterereignisse sowie globale Höchsttemperaturen Rückschlüsse darauf zu, dass wir es nicht mit einem langfristigen Klimawandel, sondern einer akuten Bedrohung durch eine Klimakrise zu tun haben.

Wir gehen davon aus, dass Ihnen die Szenarien des benötigten Emissionsrückgangs, um die globale Erderwärmung auf 1,5 Grad gegenüber vorindustriellen Messungen zu begrenzen, sowie ihre zeitliche Dringlichkeit, bekannt sind. Momentan aber steuert Deutschland auf Emissionspfade zu, die "Kippunkte" im Klimasystem auslösen, wie etwa das Auftauen der Permafrostböden, das Abschmelzen großer Eismassen in Arktis und Antarktis, das Korallensterben oder der Verlust des Amazonasregenwaldes. Es könnten aktuellen Forschungen zufolge bereits 9 dieser 15 identifizierten globalen Kippelemente angestoßen worden sein. Sie sind irreversibel und werden, einmal überschritten, unsere Lebensgrundlage weiter anheizen.
Die Verselbstständigung der Erderhitzung würde absehbar den Tod von Milliarden Menschen und langfristig ein mögliches Aussterben unserer Spezies bedeuten. Diese Gefahr durch einen sogenannten "galoppierenden Klimawandel" ist der aktuellste wissenschaftliche Stand und sollte nicht als diskutable Meinung präsentiert werden.

Eine verstärkte Verwendung des Begriffs "Klimakrise" statt "Klimawandel" stellt eine erste Anpassungsmaßnahme an die veränderten Verhältnisse dar. Auch ist das Wort Klimakrise zutreffender, da es den Klimawandel um die sozio-ökonomischen Aspekte ergänzt und betont, dass diese Veränderung keinen neutralen Wandel, sondern eine bedrohliche Krise darstellt.

Sie sprachen es im schriftlichen Austausch bereits an: Wir sind uns einig darüber, dass unsere Gesellschaft aktuell einer Vielzahl an komplexen Problemen ausgesetzt ist. Corona, Rassismus und Rechtsextremismus sind einige der gravierendsten, aber die Liste ließe sich natürlich deutlich verlängern. Wir fordern keinesfalls, dass für die Berichterstattung über die Klima- und ökologische Krise andere gesellschaftlich relevante Themen vernachlässigt werden. Doch viele dieser Themen können mit den Folgen und Auswirkungen der Klimakrise logisch kontextualisiert werden, anstatt sich gegenseitig Sendezeit streitig zu machen. Wir erwarten, dass die Erderhitzung und die Zerstörung der Ökosysteme aus ihrer thematischen Isolation herausgeholt werden.

Schon heute fliehen unzählige Menschen nicht nur vor sozialen Unruhen und Bürgerkriegen, sondern auch vor den unmittelbaren Folgen des Zusammenbruchs unserer Ökosysteme. Durch versalzende Böden, anhaltende Hitzewellen und Wasserknappheit verlieren, gerade im Globalen Süden riesige Bevölkerungsgruppen ihre Lebensgrundlage.

Die Klimakrise hat direkt und indirekt Einfluss auf einen großen Teil der weltweiten Krisen und Konflikte. Stabile Gesellschaften werden instabil, bereits instabile Gesellschaften und Staaten werden zerbrechen. Dass diese Destabilisierung nicht ohne tiefe Ungerechtigkeit und massives Leid vonstatten gehen wird, sehen wir am desolaten humanitären Zustand der Flüchtlingslager am Rande von Europa.

Die Klima- und ökologische Krise wird mit jedem verschwendeten Jahr größer und wird das, was wir heute als Krise betrachten, um ein Vielfaches in den Schatten stellen. Wir als wirtschaftsstarke Industrienation tragen einen großen Teil der Verantwortung für die bereits verursachten Schäden und Krisen.

Die Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind in der Position, die Gesellschaft zu informieren, zu warnen, Verantwortlichkeiten aufzuzeigen und den schon jetzt Betroffenen eine Stimme zu geben.

Statt eines Formats wie „Börse vor Acht“ könnte "Klima vor Acht" aktuelle Ereignisse wie Dürrekatastrophen, Unwetter und Temperaturrekorde, von denen in allgemeinen Nachrichtenformaten berichtet wird, näher beleuchten. Diese Zusammenhänge aufzuzeigen, entspricht Ihrem Bildungsauftrag. Oder halten Sie tägliche Informationen über Aktienkurse tatsächlich für relevanter für Ihre Zuschauer:innen?

Eine weitere Möglichkeit bieten die Wetterberichte: Hier können die Zusammenhänge von Extremwetterereignissen und der Klimakrise erörtert werden.

Außerdem bieten Sendungen wie Nordmagazin, NDR aktuell, Hamburg-Journal, Schleswig-Holstein-Magazin, buten un binnen und Hallo Niedersachsen das Potenzial, auf regionaler und lokaler Ebene die Herausforderungen unserer Gesellschaft auf dem Weg zur Klimaneutralität zu beleuchten.

Neben diesen konkreten Beispielen erinnern wir an unsere bereits übermittelten Anliegen:

  • Beenden Sie die thematische Isolation: Stellen Sie Themen aus Wirtschaft, Gesundheit, Wohnen, Bildung, Ernährung und alle weiteren unmittelbar verbundenen Bereiche auch aus dem Klima-Blickwinkel dar. Das bedeutet explizit kein Gegeneinander der Themenschwerpunkte, sondern das verstärkte Aufzeigen ihrer Verbindungen.

  • Zeigen Sie, was auf dem Spiel steht! Über die Folgen des Artensterbens etwa wird unzureichend berichtet. Außerdem ist vielen Menschen ist nicht bewusst, welche Auswirkungen eine +1,5°C wärmere Welt für den Alltag jedes Einzelnen haben wird. Und dass bereits unterhalb von +2°C Kipppunkte erreicht werden, die einen unaufhaltsamen Temperaturanstieg auf +4°C oder darüber auslösen können. Hierfür ist die Einführung eines regelmäßigen Aufklärungsformats wie “Klima vor acht” vonnöten.

  • Berichten Sie lösungsorientierter. Um der Bevölkerung Wege aus der Krise zu vermitteln, muss über wissenschaftlich denkbare Chancen stärker berichtet werden.

  • Berücksichtigen Sie diejenigen stärker, die bereits jetzt durch Klimafolgen und Naturzerstörung existenziell bedroht sind. Zeigen Sie Stimmen und Geschichten von Menschen im Globalen Süden und von indigenen Völkern.

  • Hinterfragen Sie Netto-Null-Ankündigungen von Unternehmen und Regierungen hinsichtlich der CO2-Emissionen stärker in Ihrer Berichterstattung. Weisen Sie darauf hin, dass dies schon seit Jahrzehnten eine Strategie des Greenwashings darstellt. Stellen Sie Handlungen gegenüber Versprechungen in den Vordergrund. Hinterfragen sie, ob Ankündigungen und Handlungen mit dem Pariser Abkommen kompatibel sind.

  • Stellen Sie Extremwetterereignisse in Zusammenhang mit menschlichen Treibhausgasemissionen. Die zunehmende Häufigkeit und Intensität von Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Rekordhitzewellen und Dürren kann die moderne Klimawissenschaft ziemlich genau den von Menschen verursachten Treibhausgasen zuordnen.

Extinction Rebellion ist eine dezentrale Bewegung. Wir, die Autor:innen, sprechen für uns selbst, repräsentieren aber die Forderungen und Prinzipien der Bewegung.

Wir sind gerne bereit, die Gespräche mit Ihnen fortzuführen und einen geeigneten Gesprächsrahmen zu verhandeln.

Mit freundlichen Grüßen,

Das Nordbündnis von Extinction Rebellion

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