Wir sehen düsteren Zeiten entgegen
FFF Global Day of Climate Action, 20. September 2019 // Abschlusskundgebung, Rede XR Hannover.
Hallo Hannover!
Ich bin Maxim Matthias.
Ich bin Teil der Extinction Rebellion, Teil des Aufstands gegen das Aussterben.
Normalerweise müsste ich mich freuen – so viele Menschen sind hier, es herrscht gute Laune. Heute ist der größte Klimastreik, den die Welt je gesehen hat.
Ich wünsche mir oft, dass ich einfach keinen Plan von der Welt hätte. Nein ganz im Ernst: Die Regenwälder in Brasilien brennen im kriminellen Ausmaße. Die Staaten sichern Brasilien Geld zur Bekämpfung der Brände zu, sind aber gleichzeitig überzeugt von einem Freihandelsabkommen mit Brasilien, welches dieses Problem nur weiter verschärft.
Die Stadt Hannover nimmt mit großem Verständnis die Forderungen der Fridays for Future an, fördert aber gleichzeitig in Millionenhöhe die Kreuzfahrtindustrie.
Die Landesregierung Niedersachsens, aber auch unsere Bundesregierung, scheinen sich ganz groß um uns zu sorgen. Deswegen darf die Wirtschaft nicht unter dem Klimaschutz leiden, die Bürger*innen aber schon, indem sie tiefer in die Tasche greifen müssen.
Dabei liegen die Lösungen schon auf den Tischen der Wirtschaftsexperten der Regierung.Was die Regierungen hier tun, ist eine kollektive Verleugnung der Umweltkatastrophe.Wir stehen mit beiden Beinen tief in der Scheiße und diejenigen, die etwas tun können, nehmen das Problem nicht ernst. Was wir alle anerkennen müssen, und daran führt kein Weg vorbei, ist dass wir keine Zeit mehr haben. Wenn Parteien und Institutionen vom Erreichen der Klimaziele bis 2040 sprechen, haben sie klipp und klar die Forderungen vom IPCC, dem Weltklimarat, nicht verstanden. Wir sind jetzt schon am Anbeginn einer weltweiten Katastrophe, welche bald mehr Tote fordern wird als die letzten zwei blutigen Weltkriege.
Vor einem Monat bin ich das zweite mal Onkel geworden.Wenn man in die Augen eines Babys sieht, dann bewegt sich in vielen von uns etwas. Ich hoffe, dass die Mütter und Väter unter euch mir da zustimmen können. Meine Oma nahm immer gerne meine Hände und sagte, „Was werden diese Hände in diesem Leben noch Arbeiten müssen!“. Ich sage hier, „Was werden die Augen meiner Nichte in ihrem Leben noch schlimmes sehen müssen!“Sie sehen düsteren Zeiten entgegen.
Wir sehen düsteren Zeiten entgegen.[1]
Die Menschheit befindet sich in einer Situation, wie es sie in unserer Geschichte noch nie zuvor gegeben hat. Eine Situation, eine Krise, die, wenn wir sie weiterhin ignorieren, alles zerstören wird, was uns lieb und teuer ist: unsere Heimat, unsere Mitmenschen, unsere Ökosysteme und die Zukunft unserer Kinder.
Die Wissenschaft formuliert es unmissverständlich: Wir befinden uns mitten im sechsten Massenaussterben der Erdgeschichte! Wir steuern unaufhaltsam auf die Katastrophe zu, wenn wir nicht sofort und entschieden handeln.
Weltweit wird die biologische Vielfalt vernichtet. Unsere Ozeane werden vergiftet, übersäuert –und der Meeresspiegel steigt. Überschwemmungen und Wüstenbildung werden riesige Landstriche unbewohnbar machen und Menschen werden millionenfach in die Flucht getrieben. Die Luft, die wir atmen, ist derart vergiftet, dass Luftverschmutzung weltweit bereits heute mehr Opfer fordert als Krieg und Hungersnöte, Malaria und HIV zusammen.Sie schädigt bereits Ungeborene und verursacht den vorzeitigen Tod von Millionen von Menschen. Der Kollaps unseres Klimas hat begonnen: Waldbrände, unberechenbare Stürme, Hungerkatastrophen und ausgedehnte Dürreperioden werden zunehmen, während Nahrungsmittel und Süßwasser knapp werden. Der Kampf um die schwindenden Ressourcen führt zur weltweiten Ausbreitung von Konflikten.
Kein vernunftbegabtes Wesen, das ein moralisches Gewissen besitzt –sei es ethisch oder im Glauben fundiert – , kann die ökologischen Krisen, die diesen Planeten und seine Tier-und Pflanzenwelt heimsuchen, leugnen, ignorieren oder dem ganzen tatenlos zusehen.
Im Einklang mit unseren Werten, aus Liebe zum Leben und in Übereinstimmung mit der überwältigenden wissenschaftlichen Beweislast erachten wir es als unsere Pflicht, zu handeln – im Interesse der Sicherheit und des Wohlergehens unserer Kinder, der Vielfalt und Einzigartigkeit menschlichen Lebens und der Zukunft des Planeten Erde. Gestützt auf unser Gewissen und unsere Vernunft, erklären wir unseren Regierungen und ihren korrumpierten, untauglichen Institutionen, deren Versagen unsere Zukunft bedroht, die Rebellion! Den massenhaften, friedlichen Aufstand gegen das Aussterben – für das Leben! Unsere Regierungen haben, in Anbetracht ihrer vorsätzlichen Komplizenschaft mit denjenigen, die das Gemeinwohl zugunsten kurzfristiger individueller Gewinne opfern, unser Vertrauen verspielt. Wenn weder die gewählte Volksvertretung noch das Gesetz den angemessenen Schutz und das Wohlergehen der Bevölkerung gewährleisten können, liegt es in der Hand der Bürger*innen, die notwendigen Veränderungen einzuleiten – zur Abwendung der Katastrophe und für die Zukunft unserer Kinder. Dann ist es nicht nur unser Recht zu rebellieren, sondern unsere Pflicht.
Wir rufen alle Bürger*innen auf, sich gemeinsam mit uns friedlich zu erheben.Wir fordern, gehört zu werden, um mit Unterstützung der Wissenschaft fundierte Lösungen für die Bewältigung der beispiellosen ökologischen Krisen zu finden. Wir fordern, Bürger*innenversammlungen einzuberufen, die die notwendigen Schritte erarbeiten, unseren gegenwärtigen, katastrophalen Kurs zu ändern.
Wir weigern uns, zukünftigen Generationen einen sterbenden Planeten zu hinterlassen!
Es ist Zeit zu handeln!
WIR handeln! Wir können nicht anders!
Wir handeln friedfertig und mit unbändiger Liebe in unseren Herzen.
WIR handeln! Zivil und ungehorsam!
Wir handeln gewaltfrei, respektvoll und aus Liebe zu unseren Mitmenschen.
Wir alle müssen handeln! AusLiebe zu ALLEN Lebewesen –die sich selbst nicht schützen können.
Wir handeln aus Liebe zu unserer einzigen Heimat – aus Liebe zum Planeten Erde!
Wir* handeln! Im Namen des Lebens!
Kommt deshalb, ob in Gruppen oder alleine, ab dem 07.Oktober nach Berlin. Ich fordere auf zum gewaltfreien Zivilen Ungehorsam!
Ich bin Maxim von der Extinction Rebellion.
Dankeschön!
[1] Es folgt die Erklärung der Rebellion, Extinction Rebellion, Berlin, am 15. April 2019, 12.05
Fotos: Kolja Schwab