Klimakrise und Journalismus - Eine kritische Betrachtung

Geschrieben von XR München am 17.09.2024

Animal Rebellion Berlin demonstriert für mehr Berichterstattung über die Klimakrise, Massentierhaltung und daraus entstehende Zoonosen, Berlin, 12.05.2021 (CC BY 2.0)

Einleitung

Die Klimakrise ist eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit und der Journalismus spielt eine entscheidende Rolle dabei, wie dieses Thema in der öffentlichen Wahrnehmung verankert wird. Bei Extinction Rebellion München erleben wir zunehmend, dass die Presse nicht mehr über uns und unsere Aktionen berichtet.

Eine Podiumsdiskussion an der Universität Göttingen im April 2023 beleuchtete die komplexen Beziehungen zwischen Klimajournalismus, Medienberichterstattung und öffentlicher Wahrnehmung. Klimaaktivist:innen verwandelten das „Forum Wissen“ für ein Wochenende in das „Forum Handeln“ und kuratierten eine Sonderausstellung über die Klimakrise. Trotz der beeindruckenden Besucherresonanz blieb die mediale Berichterstattung hinter den Erwartungen zurück.

Im folgenden Text beleuchten wir dieses Problem und suchen nach einer Erklärung dafür.

Die Rolle der Medien in der Klimaberichterstattung

Die Diskussionsteilnehmer, darunter Ute Andres vom NDR, der Kommunikationswissenschaftler Bernd Blöbaum und der Klimaaktivist Jonathan Groß, erörterten die Gründe für die zurückhaltende Medienberichterstattung. Groß kritisierte, dass die Medien oft ein Narrativ der destruktiven Klimaaktivist:innen bedienen und damit ungewollt zur Radikalisierung von Klimaprotesten beitragen könnten. Diese Sichtweise wird - ohne das Narrativ zu bestätigen - durch die Überlegungen von Bernd Blöbaum gestützt, der auf Jahrzehnte der Forschung zu „Nachrichtenwerten“ verweist: Negative Ereignisse und Kontroversen erhalten mehr Aufmerksamkeit und ruhige, konstruktive Aktionen fallen oft durch das Raster der Berichterstattung.[1]

Nachrichtenwerte und ihre Auswirkungen

Blöbaum erläuterte, dass die traditionellen Nachrichtenwerte wie Konflikt und Personalisierung, Überraschung und Negativität maßgeblich beeinflussen, welche Themen in den Medien Gehör finden. Dies bedeutet, dass friedliche und konstruktive Aktionen, wie die der Klimaaktivist:innen in Göttingen, weniger Chancen haben, mediale Beachtung zu finden. Groß argumentierte, dass diese Kriterien hinterfragt werden sollten, da sie nicht nur die Wahrnehmung der Klimakrise verzerren, sondern auch potenziell destruktive Reaktionen fördern könnten.[1]

Forschungsbefunde zur Klimaberichterstattung

Eine umfassende Medienanalyse, veröffentlicht in der Zeitschrift „Global Environmental Change“, unterstützt diese Beobachtungen.[2] Die Studie zeigt, dass Medien überwiegend über die Probleme der Klimakrise berichten und Lösungen vernachlässigen. Dies verstärkt ein Gefühl der Hilflosigkeit in der Öffentlichkeit und fördert nicht die notwendige Handlungsbereitschaft. Die Forscher:innen analysierten über 50.000 wissenschaftliche Artikel und fanden heraus, dass Medien vor allem Arbeiten aus den Naturwissenschaften und Gesundheitsbereichen aufgreifen, während Studien zu Landwirtschaft, Technologie und Energie – also zu potenziellen Lösungen – vernachlässigt werden.

Konstruktiver Klimajournalismus

Sara Schurmann, eine Spezialistin für Klimajournalismus, betont die Notwendigkeit eines konstruktiven Ansatzes in der Klimaberichterstattung. Dieser Ansatz zeigt Handlungsoptionen auf und ordnet Lösungsansätze kritisch ein, ohne die Dringlichkeit der Klimakrise zu verharmlosen. Schurmann argumentiert, dass konstruktiver Journalismus den Diskurs von reiner Problemorientierung hin zu Möglichkeiten der Veränderung verschieben kann. Dies ist nicht nur ein journalistisches Ideal, sondern eine Notwendigkeit, um die Öffentlichkeit zu informierten Entscheidungen zu befähigen.[3] Allerdings können dadurch auch komplexe Sachverhalte vereinfacht und systemische Ursachen verschleiert werden, indem sich auf positive Einzelfälle konzentriert wird.[19]

Die Berichterstattung über die Klimakrise steht somit vor der Herausforderung, komplexe wissenschaftliche Zusammenhänge verständlich zu vermitteln und gleichzeitig konkrete Handlungsoptionen aufzuzeigen. Die eben erwähnte Studie zeigt, dass Nachrichtenmedien oft das traditionelle „Wissensdefizitmodell“ verfolgen, das davon ausgeht, dass mehr Informationen zu mehr Handlungsbereitschaft führen. Allerdings reicht es nicht aus, nur die Probleme der Klimakrise zu beleuchten. Ein „transformatives Mediatisierungsmodell“ könnte hier Abhilfe schaffen: es fordert eine Abkehr von rein alarmistischen und naturwissenschaftlich fokussierten Berichten hin zu einer ausgewogenen Darstellung, die auch soziale, technologische und lokale Lösungsansätze einbezieht. Es betont die Vermittlung konkreter Handlungsoptionen und soll durch die Kombination globaler und lokaler Perspektiven Menschen motivieren, aktiv zu werden. Statt nur Probleme aufzuzeigen, zielt es darauf ab, durch lösungsorientierte Berichterstattung die gesellschaftliche Transformation zu fördern.[2][18]

Weiterbildungs- und Verbesserungsvorschläge für Klimajournalisten

Angesichts der Komplexität und Dringlichkeit der Klimakrise ist es unerlässlich, dass Journalist:innen kontinuierlich weitergebildet werden. Sara Schurmann hebt hervor, dass alle Journalisten ein grundlegendes Verständnis der Physik und Zusammenhänge im Erdsystem sowie ein Bewusstsein für die Dringlichkeit von Klimaschutz und -anpassung benötigen. Verlage und Sender sollten daher entsprechende Aus- und Weiterbildungen anbieten, um sicherzustellen, dass Klimaaspekte in allen Ressorts berücksichtigt werden.[4]

Ein praktischer Ansatz zur Verbesserung der Berichterstattung über Wetterextreme umfasst das Herstellen von Zusammenhängen zwischen Extremwetterereignissen und der Klimakrise. Dies beinhaltet die Integration von Klimawissenschaft und die Befragung von Expert:innen, um die Ursachen und zukünftigen Risiken solcher Ereignisse verständlich zu machen und mögliche Auswege aus der Krise dringlicher zu machen. Zudem sollte die Bebilderung von Berichten sorgfältig ausgewählt werden, um die tatsächliche Schwere der Ereignisse angemessen darzustellen und eine verharmlosende Darstellung zu vermeiden. Diese Ansätze ergänzen die Prinzipien des konstruktiven Klimajournalismus, der bereits betont wurde, indem sie die Notwendigkeit einer umfassenden und kontextualisierten Berichterstattung unterstreichen.[4]

Ein weiteres wichtiges Thema ist auch das Problem des False Balancing in der Berichterstattung. False Balancing beschreibt die Praxis, beiden Seiten eines wissenschaftlich gesicherten Themas gleich viel Raum zu geben, obwohl die überwältigende Mehrheit der Wissenschaftler einer Meinung ist. Dies kann zu einer verzerrten Wahrnehmung der Fakten führen und den Eindruck erwecken, dass es mehr wissenschaftliche Uneinigkeit gibt, als tatsächlich der Fall ist. Diese Praxis ist insbesondere in der Klimaberichterstattung problematisch, da sie die Dringlichkeit und die wissenschaftliche Einigkeit über die Klimakrise untergräbt.[4][5]

Die Bedeutung von Framing in der Klimaberichterstattung

Wir sprechen in unserem Artikel ausschließlich von der Klimakrise anstatt des "Klimawandels", um die Dringlichkeit und Schwere der aktuellen Lage klar zu betonen. Diese bewusste Wortwahl reflektiert die Erkenntnisse aus der Framing-Diskussion. Wie der Beitrag "Klimawandel: Wie Framing den Blick auf die Klimakrise verändert" auf bento.de zeigt, beeinflusst die Sprache unser Denken und die Wahrnehmung von Fakten. Die britische Zeitung "Guardian" hat beispielsweise entschieden, in ihrer Berichterstattung statt "Klimawandel" den Begriff "Klimakrise" zu verwenden, um der wissenschaftlichen Dramatik gerecht zu werden. Diese Änderungen in der Sprache sollen dazu beitragen, die Ernsthaftigkeit der Situation zu unterstreichen und den notwendigen Handlungsdruck zu verdeutlichen.

Indem wir die Klimakrise als solche benennen, setzen wir einen Deutungsrahmen (Frame), der die Gefahren für den Planeten deutlich macht. Wie Elisabeth Wehling, Kognitions- und Sprachwissenschaftlerin an der kalifornischen Berkeley-Universität, erklärt, hilft uns dieser sprachliche Frame, die Fakten nicht nur zu verstehen, sondern auch ihre Bedeutung einzuordnen. Dies zeigt, dass die Wahl der Worte in der Klimaberichterstattung eine zentrale Rolle spielt und somit auch ein Schlüsselelement für effektiven Klimajournalismus darstellt.[17]

Vernachlässigung des Globalen Südens in der Berichterstattung

Eine umfassende Langzeituntersuchung unter dem Titel „Vergessene Welten und blinde Flecken“[6] hat aus den Jahren 1996 und 2007-2019 über 5.100 Sendungen der Tagesschau sowie Berichte ausgewählter in- und ausländischer Leitmedien ausgewertet. Die Ergebnisse dieser Untersuchung zeigen, dass der Globale Süden in den Nachrichten der Tagesschau konsequent vernachlässigt wurde. Die geografische Orientierung der Berichterstattung lag eindeutig auf dem Globalen Norden, während die Länder des Globalen Südens nur eine sehr geringe Rolle spielten.[7]

Selbst wenn heute über den Globalen Süden berichtet wird, geschieht dies oft nur punktuell und selten als Top-Thema. Humanitäre Krisen und Katastrophen im Globalen Süden, wie die Jahrhundertflut in Pakistan 2022[8], die politische Krise in Peru 2022[8], Berichte über die Hungerkrise in Somalia 2017[9] oder Katastrophen wie die Heuschreckenplage in Ostafrika und Südasien 2020[10] tauchen zwar gelegentlich auf, sind jedoch meist nur kurzlebig und verlieren schnell an medialer Aufmerksamkeit.[7] Diese punktuellen Interessen führen dazu, dass wichtige Themen nicht tiefgehend und dauerhaft behandelt werden.

Ein pointiertes Beispiel zeigt die Unterschiede in der Berichterstattung und den verfügbaren Ressourcen: Für das ARD-Studio in Nairobi gibt es zwei Korrespondent:innen, die für 38 afrikanische Staaten mit 870 Millionen Einwohner:innen verantwortlich sind. Im Vergleich dazu betreuen zwei ARD-Korrespondent:innen im Fernsehstudio in Prag nur Tschechien und die Slowakei mit insgesamt 16 Millionen Einwohner:innen. Diese Relationen geben natürlich auch vor, welche Regionen wie stark abgebildet werden.[7][11]

Es gelte daher, den Nachrichtenwert eines Ereignisses primär nicht nach dem Ort, wo es sich ereignet habe, sondern nach seiner menschlichen Dimension zu bemessen. Es gelte ebenso, die Länder des Globalen Südens aus dem medialen Erinnerungsschatten zu holen und ihnen das Nachrichteninteresse bzw. die öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwerden zu lassen, die ihnen zustehe.

Der Einfluss der Ölindustrie auf den Journalismus

Ein weiteres Hindernis für die effektive Berichterstattung über die Klimakrise ist der Einfluss der Ölindustrie auf den Journalismus. Interne E-Mails von ExxonMobil, die von der House Oversight Committee veröffentlicht wurden, zeigen, wie fossile Brennstoffunternehmen versuchen, die Berichterstattung zu manipulieren. Diese Dokumente enthüllen, dass ExxonMobil systematisch versucht hat, die Berichterstattung zu beeinflussen, indem es Journalist:innen favorisierte, die ihre Positionen positiv darstellten und indem es negative Berichte unterdrückte.[12][13]

Dies spiegelt sich auch in der Berichterstattung börsennotierter Unternehmen zur Klimakrise wider, wie eine Studie von PwC zeigt, die deutliche Mängel und eine oft unzureichende Darstellung der tatsächlichen Klimarisiken in den Berichten dieser Unternehmen feststellt.[14]

Diese Praktiken verdeutlichen die Herausforderung, vor der Journalist:innen stehen, wenn sie versuchen, objektiv und unabhängig über die Klimakrise zu berichten. Die fossilen Brennstoffunternehmen nutzen ihre finanziellen Ressourcen, um ihre Interessen durchzusetzen und die öffentliche Wahrnehmung zu beeinflussen, was die Arbeit von Journalist:innen erheblich erschwert.

Gefahren für Journalist:innen

Die Herausforderung für Journalist:innen geht aber auch über die Auswahl von Nachrichtenwerten hinaus: Eine globale Umfrage des Earth Journalism Network und der Deakin University ergab, dass fast vier von zehn Journalist:innen, die über die Klimakrise berichten, aufgrund ihrer Arbeit bedroht wurden, wobei 11% physischer Gewalt ausgesetzt waren. Die Umfrage, die mehr als 740 Reporter:innen und Redakteur:innen aus 102 Ländern umfasste, zeigt, dass Bedrohungen oft von Personen ausgehen, die in illegale Aktivitäten wie Holzschlag und Bergbau verwickelt sind.

Darüber hinaus berichteten 39% der Journalist:innen, dass sie sich selbst zensieren, hauptsächlich aus Angst vor Repressalien. Diese Zensur schränkt die Fähigkeit der Journalist:innen ein, vollständig und wahrheitsgemäß über die Klimakrise zu berichten, und führt oft dazu, dass sie Aussagen von Klimaskeptiker:innen einbeziehen, um eine vermeintliche Balance zu wahren.[15][16]

Fazit:

Die Diskussion in Göttingen und die vorliegenden Forschungsbefunde verdeutlichen, dass der Journalismus eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung der Klimakrise spielt. Es bedarf eines Paradigmenwechsels hin zu einer Berichterstattung, die nicht nur Probleme aufzeigt, sondern auch Lösungen bietet und die Öffentlichkeit zu aktivem Handeln ermutigt. Dies erfordert eine kritische Reflexion der Nachrichtenwerte und eine verstärkte Fokussierung auf konstruktive und lösungsorientierte Berichterstattung.

Gleichzeitig müssen die Herausforderungen, denen sich Journalist:innen gegenübersehen, anerkannt und adressiert werden. Die Bedrohung und Einschüchterung von Journalist:innen, die über die Klimakrise berichten, erschwert ihre Arbeit erheblich und führt zu Selbstzensur. Hinzu kommt der immense Einfluss der fossilen Brennstoffindustrie, die versucht, die Medienberichterstattung zu manipulieren und eigene Interessen durchzusetzen. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, sind verstärkte Ressourcen, Unterstützung und Schulungen für Journalist:innen erforderlich, um eine umfassende und wahrheitsgetreue Berichterstattung über die Klimakrise zu gewährleisten. Nur so kann der Journalismus seiner Verantwortung gerecht werden und einen bedeutenden Beitrag zur Bewältigung der Klimakrise leisten.

Quellenangaben:

  1. https://www.campuspost.goettingen-campus.de/2023/10/10/wie-berichten-die-medien-ueber-klimaproteste/
  2. https://www.klimafakten.de/kommunikation/klimajournalismus-zu-viel-problem-zu-wenig-loesung
  3. https://www.ard-zdf-medienakademie.de/mak/homepage/trends/klimakrise-und-journalismus-mit-sara-schurmann.html
  4. https://www.journalist.de/werkstatt/werkstatt-detail/so-berichten-sie-angemessen-ueber-wetterextreme/
  5. https://de.wikipedia.org/wiki/Falsche_Ausgewogenheit
  6. https://books.ub.uni-heidelberg.de/heibooks/catalog/book/599
  7. https://www.kontextwochenzeitung.de/medien/564/unter-den-opfern-waren-deutsche-7964.html
  8. https://de.ejo-online.eu/qualitaet-ethik/den-globalen-sueden-kaum-im-bild
  9. https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_von_Hungersnöten
  10. https://de.wikipedia.org/wiki/Heuschreckenplage_2019/2020
  11. https://www1.wdr.de/unternehmen/der-wdr/standorte/auslandsstudios/studio-nairobi-100.html
  12. https://www.thenation.com/article/environment/big-oil-fossil-fuel-journalism/
  13. https://www.theguardian.com/us-news/2024/apr/30/big-oil-climate-crisis-us-senate-report
  14. https://www.pwc.de/de/nachhaltigkeit/building-public-trust-award/klimaberichterstattung-borsennotierter-unternehmen.html
  15. https://www.theguardian.com/environment/article/2024/jun/05/climate-crisis-journalists
  16. https://www.unesco.de/wissen/wissensgesellschaften/presse-und-meinungsfreiheit/journalismus-im-angesicht-des-globalen
  17. https://www.spiegel.de/panorama/klimawandel-wie-framing-den-blick-auf-die-klimakrise-veraendert-a-01b18d55-d2a9-4b14-a276-dce86c7ad75a
  18. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0959378023000419
  19. https://www.journalistenkolleg.de/documents/10157/161315/Solutions+Journalism.pdf
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