Brief von der Erde

Geschrieben von Lena am 21.12.2023

In der ersten Jahreshälfte 2023 entstand auf dem Vorplatz des Stadttheaters Freiburg unter dem Motto "10 nach 12" ein Festspielhaus der Zukunft, mit Windräder, Solarmodulen, Komposttrenntoilette, Wasserspeicher, Gartenanbau.

Vom 8. bis zum 22. Juli diente die Bühne als klimaneutrales Zukunftslabor, mit Musik-, Theater- und Tanzaufführungen, Workshops zu den Themen Nachhaltigkeit, Resilienz, Aktivismus, Recycling. Mittags wurde Gemüse vom Solidarischen Landwirtschaftsprojekt "Klappergarten" gemeinsam geschnibbelt und zusammen mit Nahrungsmitteln aus dem Foodsharing gekocht.

Um die Mittagszeit besuchten Schulklassen das Projekt, nahmen Angebote wahr oder machten selbst welche.

Zehn Bündnispartner hatten sich dem Projekt angeschlossen. Einer davon war XR Freiburg.

Am 21. Juli fand auf dem Platz der Alten Synagoge, direkt gegenüber dem Festspielhaus der Zukunft, eine Kundgebung statt, mit einer Tanzperformance der School of Life and Dance unter Leitung von Graham Smith, dem Initiator von "10 nach 12". Davor gab es Redebeiträge.

Einen davon, Lenas Poetry-Slam, dokumentieren wir hier.

Hey, ich hab‘ uns da was Mysteriöses mitgebracht,
Gestern Abend ist aus heiterem Himmel etwas auf meinen Briefkasten gekracht.

Ein Brief von der Erde steht auf dem Papier,
„Ach Du Scheiße“, dachte ich, „was will die denn von mir?“
„PS: Bitte aufmachen!“, ist außerdem noch draufgekritzelt,
„WTF!? Werd‘ ich jetzt von der Erde bespitzelt?“
„Keine Panik, mein Sprachrohr bei der Demo sollst Du sein,
Und jetzt hör‘ auf zu labern und steig endlich ein.“

Na gut...

Lieber Mensch,

Immer wieder frag ich mich: "Was kann Dich noch retten?“,

Bin schon dabei, mit Mars und Jupiter zu wetten,

Dass es auch in diesem Sommer nix bring wird, Dir zu zeigen,

Was es ausmacht, wenn sich die Polkappen schrittweise dem Ende zuneigen.

Was ein bisschen Permasfrost so bewegen kann,

Und wieder marschiert bei Euch munter die AfD voran.

Ich dachte, jetzt, wo sich seit Jahren die Katastrophen überschlagen,

Wollt Ihr Euch vielleicht selbst mal befreien von den endlosen Plagen.

Aber nein, stattdessen kann ich von hier aus zusehen,

Wie Eure Lebensgrundlagen immer mehr dem Ende zugehen.

Und trotzdem hält der Mensch sich fest an Kapitalismus, Ausbeutung und all dem Kram,

Regt sich derweil lieber auf über die „Kinder im Klimawahn“.

Eigentlich könnte es mir ja egal sein, was mit der Menschheit passiert,

Hier auf der Erde sind schon einige Spezies vor Euch abgeschmiert.

Ich hab all die vergangenen Katastrophen überstanden,

Gesehen, wie Arten über Arten von der Welt verschwanden.

Ihr seid für mich ein kleiner Virus, eine Erde ohne Mensch kann es gut geben,

Aber den Menschen ohne Erde, pah, wie Ihr das macht, das will ich sehen.

So selbstverschuldet hat es bisher noch keine Spezies hier geschafft,

Ich muss schon zugeben, sie ist nahezu beeindruckend, Eure Selbstzerstörungskraft.

Wo ansonsten Vulkane und Asteroiden nötig sind, um Massensterben zu befeuern,

Reicht es aktuell einfach nur, die Gier des Menschen drauf anzuheuern.

Ohje, ich schweife schon wieder ab von dem, was ich eigentlich wollte,

Bis vorgestern glaubte ich nicht daran, ich geb’s zu, ich schmollte.

Ach komm, kurzer Prozess: Ich will ehrlich mit Euch sein,

Ich ließ mich besoffen auf `ne saudumme Wette mit Mars und Jupiter ein.

Die Wette lautet – und jetzt bitte nicht lachen:

Ich soll ein Feuer für Klimagerechtigkeit in Euch entfachen.

Was hab ich davon, fragt Ihr Euch nun?

Lebenslang muss ich nix mehr für Massagen von den beiden tun.

Naja, und da haben die beiden ehrlich `nen wunden Punkt getroffen,

Für Massagen in den Anden, auf dem Pazifik und im Südschwarzwald bin ich nämlich immer offen.

Naja, deshalb dachte ich, probieren wir’s jetzt einmal aus,

Dann hat er hoffentlich ein Ende, dieser ewige Graus:

Nun gut, lass uns mal eine klimagerechte Welt ausmalen,

Diese wird sich nämlich für Euch alle auszahlen.

Für die Lindners unter Euch, die dies nicht glauben wollen,

Ja, Christian, auch in der Bahn kann man gemütlich nach Sylt hochrollen.

Und der Markus, der in Bayern die Wurst mit seinem Leben verteidigt,

Der wird in meiner Utopie vor dem Altar mit einem Tofugriller vereidigt.

Naja, Schluss mit lustig, lasst uns mal das Große und Ganze betrachten,

Wie schön wäre es, wenn alle gleichermaßen aufeinander achten.

Eine klimagerechte Welt sähe ganz anders aus, das ist klar,

Ihr hättet nicht halb so viele Katastrophen jedes Jahr.

Stellt Euch vor, Kinder könnten in allen Stadtvierteln auf der Straße herumtrollen.

Und nicht nur dort, wo Eltern das Geld haben, einen Rasen im Garten auszurollen.

Ja, weil Ihr eine ernsthafte Verkehrswende habt,

Und die Straßen zu dem, was sie mal waren, umgrabt.

Ihr hättet ein Landwirtschaftssystem, welches nicht die Böden degradiert,

Und zunehmend die Lebensgrundlage aller kommenden Menschen ausradiert.

Stattdessen wäre das System solidarisch und würde keine Profite generieren,

Und außerdem gäbe es keine Unterscheidung zwischen Haus- und Nutztieren.

Und wenn wir unseren Blick nun noch einmal weiten,

Und wir in eine global gerechte Welt voranschreiten:

In einer Welt, in der Profite nicht über Menschenleben stehen,

Ihr würdet nicht einfach für „Wohlstand“ (was auch immer das ist) über Leichen gehen.

In meiner Utopie sind alle Ressourcen gerecht verteilt,

Ihr habt da keinen, der sich am Besitz eines Privatjets aufgeilt.

Ihr hättet Ungerechtigkeiten für immer hinter Euch gelassen,

Menschen sind Menschen und nicht eingeteilt in unterschiedliche Klassen.

Rassismus, patriarchale und koloniale Strukturen gehören der Vergangenheit an,

Und alle Kinder wachsen nun in einer lebenswerten Welt heran.

Auch hätte sich der globale Norden seinen historischen Schulden gestellt,

Ihr lebt nun nämlich in einer antikapitalistischen Welt.

Stellt Euch das nur mal vor, ja, Ihr hättet Chancengleichheit auf der Welt,

Geld, Macht und Profit wären es nicht, was die Menschen zufriedenstellt.

Wäre es nicht wunderschön, so eine Welt zu beleben?

Ich denke, danach solltet Ihr alle streben.

Denn klar, die Klimakrise ist schon heute zu spüren,

Und Ihr könnt‘ sie auch nicht mehr schließen, alle Türen.

Aber deshalb nun aufzugeben, nicht mehr weiterzukämpfen?

Es liegt allein an Euch, die Krise noch aufs Geringste einzudämpfen.

Eine gerechtere Welt als die aktuelle ist wirklich kein großer Anspruch,

Und wenn’s irgendwer schafft, dann packt Ihr jetzt den Durchbruch.

Kuss und LG,

Eure Erde.



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