Offener Brief

[XR Düsseldorf 29.04.2020] Offener Brief an die Landesregierung NRW

Düsseldorf, den 29.4.2020

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrte Ministerinnen und Minister,

wir schreiben Ihnen unter außergewöhnlichen Umständen, alle Aufmerksamkeit liegt auf der aktuellen Corona-Krise. Auch unser Mitgefühl gilt den Opfern und Betroffenen, unsere Hochachtung den zahlreichen 'Helden und Heldinnen des Alltags' und unsere Anerkennung den Vielen, die in dieser schwierigen Lage wichtige und drastische Entscheidungen treffen müssen. Dazu zählen auch insbesondere Sie und die gesamte Landesregierung, die uns derzeit durch diese schwere Zeit führt.

Diese Krise verdeutlicht, dass der Mensch nicht Herrscher über die Natur ist, sondern Teil von ihr - mit einem Virus lässt sich nicht verhandeln. Sie zeigt indes ebenso, was kraftvolles Handeln in kürzester Zeit und im engen Schulterschluss mit der Wissenschaft zu bewirken vermag. Und sie ist medizinisch wie wirtschaftlich mit der Aussicht und Hoffnung verbunden, schon bald ein Medikament oder eine Impfung zur Verfügung zu haben, schrittweise und mittelfristig zu einem lebenswerten Miteinander zurückkehren zu können.

Dass darauf derzeit die größte Aufmerksamkeit liegt, ist richtig und wichtig.

Doch wir fordern, dass bereits jetzt die Weichen gestellt werden, um mit gleicher Energie die langfristig ungleich bedrohlichere Klima- und Umweltkrise anzugehen, mit ihrem unabsehbaren Potential für Konflikte, Leid und Opfer.

Denn hier gibt es Parallelen wie signifikante Unterschiede:

Mit den Gesetzen der Strahlungsphysik, die das Verhalten der irdischen Atmosphären maßgeblich bestimmen, oder den Gesetzmäßigkeiten, denen Ökosysteme unterliegen, sind ebenfalls keinerlei Übereinkünfte möglich.

Gleichwohl ignoriert die Politik - vorweg auch Ihre Landesregierung - hier seit Jahrzehnten weithin immer drastischere Warnungen der Wissenschaft und die wahrnehmbaren Zerstörungen auf der Erde. Während sie in der Corona-Krise den Bürgern vieles genau erklärt, abfordert und zumutet, geschieht weder das eine noch das andere in der Klima- und Umweltkrise. Und das, obwohl die Gesamtlage hier bereits katastrophal ist. Das unbestreitbar erforderliche +1.5 °C Grad Ziel in der Klimapolitik etwa ist kaum noch zu erreichen. Zwischen den Reden der Bundeskanzlerin in denen sie ankündigt gegen den Klimawandel müsse alles Menschenmögliche unternommen werden und der tatsächlichen Umsetzung dieser Versprechen besteht eine gravierende Diskrepanz. Mit dem Argument, es sei nur das Machbare umsetzbar, wird aktuell vielfach noch das genaue Gegenteil des unbedingt Nötigen getan; insbesondere auch in NRW. Beispielsweise wird der Ausbau der Windenergie, vor allem mit der 1.500 m Abstandsvorgabe und der EEG-Novelle, abgewürgt.

Zugleich gibt es keinerlei Hoffnung, dass uns hier wundersame technische Erfindungen in Zukunft noch retten können. Arten die aussterben, kommen nicht zurück, Kipppunkte des Klimasystems, die überschritten werden, lassen sich nicht zurückstellen, Alternativen zu Wind- und Solarenergie sind nicht in Sicht.

Wir sind überzeugt, dass sich die Haltung der Politik ändern muss. Alle Regierungen - gleich welcher politischen Ausprägung - werden mit einschneidenden Maßnahmen, ja Notverordnungen auf die Klima- und Umweltkrise reagieren müssen. Nicht weil sie möchten, sondern weil sie angesichts der Lage keine Wahl mehr haben, und verzweifelt versuchen, unser aller Lebensgrundlagen zu retten. Doch es wird dann zu spät und lediglich noch reaktiv sein.

Daher fordern wir Sie nochmals dringend auf: Entfesseln Sie schon jetzt alles Ihnen Mögliche um die Treibhausgas-Emissionen in naher Zukunft auf Netto-Null zu senken, das Artensterben zu stoppen und den ökologischen Raubbau mit allen Mitteln einzudämmen! Stoppen Sie als ein erstes Symbol dieser Wende die Inbetriebnahme von Datteln 4.

Außerdem ist eine Energie-, Agrar- und Verkehrswende möglich und dringend nötig!

Für all dies finden sich wissenschaftliche Studien, Konzepte und konkrete Beispiele - es gibt nur ein Handlungsproblem.

Nutzen Sie das Momentum der aktuellen Krise: Wo immer finanzpolitische Instrumente dies erlauben, setzen Sie diese bitte als Stellschrauben ein, insbesondere bei aktuellen Hilfspaketen. Wo die Landesregierung keine oder nur eingeschränkte Befugnisse hat (da in Zuständigkeit der Kommunen oder des Bundes) üben Sie dennoch Ihren Einfluss dazu als mächtigstes Land aus. Und erklären Sie all dies umfassend allen Bürgerinnen und Bürgern.

Geben Sie alldem dann allerhöchste Priorität! Alleiniger Erfolgsmaßstab muss dabei das Urteil der Wissenschaft sein, wie sich so notwendige Ziele erreichen lassen, zum Beispiel die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens.

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, Sie schreiben auf Ihrer eigenen Website "Mein Wunsch war es immer, mich einzusetzen für eine bessere Welt"(1). Diesen hohen Anspruch teilen wir bei Extinction Rebellion ausdrücklich. Dabei ist uns bewusst, dass es angesichts des fortgeschrittenen Klimawandels und der Umweltzerstörung schon großartig wäre, wenn sich der derzeitige klimatische und ökologische Zustand noch erhalten ließe. Seien Sie ein aktiver Teil davon und folgen Sie Ihren eigenen Idealen!

Haben Sie den Mut politisch neue Wege zu beschreiten und Risiken einzugehen. Lassen Sie sich dabei von einer Bürger:innenversammlung unterstützen, die die gesamte Vielfalt unserer Gesellschaft abbildet und Sie damit in die Lage versetzt, den unmittelbaren Willen der Bürger:innen zu hören und umsetzen zu können.

Wir sind verpflichtet, alles in unserer Macht Stehende zu versuchen – nur so können wir vor dem Urteil bestehen, welches die Nachwelt über uns fällen wird; mit allem, was wir getan und nicht getan haben werden.

Wir wünschen Ihnen Entschlossenheit und gutes Gelingen für eine verantwortungsvolle Politik,

mit freundlichen Grüßen,

Extinction Rebellion (Ortsgruppe Düsseldorf)

Quellen:

(1) Armin Laschet: https://armin-laschet.de/mein-leben/

(2) Angela Merkel: https://www.bundeskanzlerin.de/bkin-de/aktuelles/rede-von-bundeskanzlerin-merkel-bei-der-368-graduationsfeier-der-harvard-university-am-30-mai-2019-in-cambridge-usa-1633384

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