Wasser ist ein Menschenrecht

Geschrieben von Manon Gerhardt am 07.05.2024

Zu Besuch bei Elon Musks neuen Nachbar:innen

Heute habe ich mit meiner Freundin Susie die Waldbesetzung neben Elon Musks Gigafactory in Grünheide bei Berlin besucht. Ich wollte schon lange herkommen, um Möglichkeiten des Supports vor Ort einzuschätzen, Susie will vor allem in den Austausch mit einer Pressesprechenden gehen.

Die Protestierenden wollen den Wald vor dem Kahlschlag retten, denn der droht, wenn die geplante Erweiterung der E-Auto-Fabrik Realität würde.

Warum der Multi-Milliardär seine Fabrik vergrößern will, obwohl die Absatzzahlen für seine teuren Karren fallen und daher unmittelbar 400 Beschäftigten gekündigt wird, erschließt sich mir im ersten Anlauf nicht.

Aber das nur am Rande.

Erst einmal betreten wir einen Wald, der natürlich - wie fast überall in Brandenburg - von hohen Kiefern dominiert wird. Ausgewachsene Laubbäume sehen wir keine, dafür aber eine Menge Jungbäume, Ebereschen zumeist. Dazwischen Blaubeer- und Brombeersträucher, die ersten Maiglöckchen zeigen sich.

Über dem Weg zum Protestcamp ist ein großes Banner gespannt:

“Willkommen in der Utopien Gigafactory - no COPS, no NAZIS, no ELON“

Dann betreten wir den Bereich der Besetzung, in dem etwa ein Dutzend solider Baumhäuser auf 4 bis 6 Meter Höhe zwischen den Kiefern zu schweben scheinen, sie hängen an Seilen und ich frage mich, wie genau sie dort hoch gelangt sind. Auf Tafeln im Eingangsbereich werden die Camp-Regeln einladend kommuniziert, überall zwischen den Bäumen und an den Häusern flattern Banner mit unterschiedlichen Slogans:

„Wasser ist ein Menschenrecht“, „Safe Housing for all refugees“, „Hands off Congo“ scheinen nur vordergründig unterschiedliche Themen zu adressieren. Hier im Protestcamp werden sie zusammen gedacht. Es geht darum, Kämpfe zu verbinden. Klimagerechtigkeit zu fordern bedeutet auch, ausbeuterische, postkoloniale Strukturen anzuprangern, die zum Beispiel bei der Lithiumförderung zerstörerisch wirksam sind. Ohne Lithium keine Batterien, ohne Batterien keine E-Mobilität und keine Gigafactory, die im strukturschwachen Brandenburg mal eben über 12.000 Arbeitsplätze geschaffen hat.

Auf mit großen Ästen markierten Wegen können sich Besucher:innen auf dem Gelände frei bewegen. Wir treffen Mara und Alex, die sich Zeit für unsere Fragen nehmen.

Susie möchte den Besuch von Carola Rackete vorbereiten, die sie in ihrem Wahlkampf um einen Sitz im Europaparlament unterstützt. Uns beide interessiert zudem, wie es momentan um die Sicherheit des Protestcamps bestellt ist, weil vor ein paar Wochen ja bereits mit Räumung gedroht wurde.

Der erste Versuch des brandenburgischen Innenministers, das Camp mit absurd hohen Auflagen als illegal zu brandmarken und demnach räumen lassen zu dürfen, ist vor dem Verwaltungsgericht Potsdam gescheitert. Noch bis 6.5. kann gegen die Beschwerde der Polizei beim Oberverwaltungsgericht Stellungnahme eingereicht werden. Aber am 16.5. wird in der Gemeinderatssitzung in Potsdam schon darüber verhandelt, ob das Land Brandenburg das Stück besetzten Waldes an Elon Musk verkaufen wird. Um darauf aufmerksam zu machen und öffentlichen Widerstand zu mobilisieren, wird ab 8. Mai ein weiteres Protestcamp mit zahlreichen Info-Veranstaltungen, Kulturprogramm und mehreren Demos veranstaltet.

Wir wissen, warum dieser Widerstand so wichtig ist.

Inmitten der Klimakrise, in einem der trockensten Bundesländer, durfte innerhalb von nur 2 Jahren in einem Wasserschutzgebiet eine riesige Fabrik hochgezogen werden, die mit ihrem enormen Frischwasserbedarf die Wasserversorgung der Bevölkerung mittelbar gefährden kann und zudem seit Eröffnung durch zahllose Unfälle auf dem Werksgelände Skandal-Schlagzeilen schreibt. Außerdem steht in jedem wissenschafts-basierten Bericht, dass E-Mobilität nur dann eine Lösung innerhalb der notwendigen Transformation des Verkehrssektors darstellt, wenn sie vor allem in Carsharing und öffentlichem Nahverkehr eingesetzt wird - nicht in riesige Nobel-Karossen für den Individualverkehr.

Wir wissen aber auch, warum nicht nur die brandenburgischen Politiker - u. a. Ministerpräsident Woidke, Innenminister Michael Stübken und Wirtschaftsminister Jörg Steinbach - dem Tesla Konzern um jeden Preis Ärger vom Hals halten wollen. An der Fabrik hängen über 12.000 Arbeitsplätze, das Totschlag-Argument gegen jeden Einwand aus umweltpolitischer, klimatischer oder ethischer Richtung.

Wie sieht das aber genau aus mit der Gefährdung von Grundwasser durch die Produktion, und um welche Art Arbeitsplätze geht es hier?

Die im September veröffentlichte Recherche von „Stern“ und „Frag den Staat“ lässt selbst hart gesottene Aktivist:innen mit Grundlagenwissen über Verflechtungen von Wirtschaft und Politik in Deutschland schaudern. Wie die Politik von oberster Stelle dem Konzern um den Bart gegangen ist, belegen hunderte mittlerweile veröffentlichte Email-Seiten. Da wurden Anträge auf EU-Fördermittel für Tesla ausgefüllt, Umweltauflagen übergangen und unzählige private Treffen organisiert, um die Ansiedlung des Großinvestors im Eiltempo zu ermöglichen. „Innovation made in Brandenburg“- ein Traum.

Oder auch Alptraum.

Das grüne Image von E-Mobilität hält einem zweiten Blick nicht stand. Der Ressourcen-Abbau, der durch den Bau von E-Autos nötig wird, zerstört weltweit Ökosysteme und trägt zu massiven Menschenrechts-Verletzungen bei. Die großen Mengen Kobalt, Lithium und Kupfer, die die schweren Tesla-Modelle brauchen, importiert Deutschland aus Ländern des Globalen Südens. Durch den verstärkten kapitalintensiven Bergbau werden in diesen Ländern Landnutzungs- und Beschäftigungsverhältnisse stark verändert, ganze Bevölkerungsgruppen verlieren Zugang zu Land und Wasser.

In Grünheide selber musste erst einmal ein großes Stück gesunden Waldes weichen. Zudem wurden bis September 2023 auf dem Fabrikgelände bereits 26 Umwelt-Havarien gemeldet. Das geht aus Informationen des Brandenburger Landesamts für Umwelt hervor. Zu den Havarien zählten sieben Brände, ausgelaufene Chemikalien wie Epoxidharz, Hydrauliköl, Farbe, Lack und Diesel. Es soll zu keinem Zeitpunkt Gefahr für das Grundwasser bestanden haben. Aber:

Der Leiter Ökosysteme am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Martin Pusch, sprach von einer grundsätzlich hohen Gefährdung mit Blick auf das Trinkwasser. „Es ist ein hohes Risiko der Beeinträchtigung der Trinkwasserversorgung aufgrund der geringen Rückhaltekapazität des Untergrunds“. Es scheint also nur eine Frage der Zeit, wann einmal ein Unfall auf dem Gelände doch das Grundwasser beeinträchtigt.

Seit Mai 2022 laufen nun täglich etwa 1000 Autos in Grünheide vom Band. Und dabei wird immer deutlicher, wie teuer Elon Musks Traum der Erlösung der Welt durch seine Autos nicht nur der Umwelt, sondern auch den Menschen zu stehen kommt.

Die Recherche vom Stern liest sich - und hört sich als Podcast an - wie ein Krimi. Investigativ-Journalistinnen hatten sich letztes Jahr undercover in die Fabrik eingeschleust und mit zahlreichen Mitarbeitenden gesprochen. Was dabei herauskam, ist ein wirklich erschreckendes Beispiel von neoliberaler Ausbeuter-Logik, wie sie brutaler nicht ausfallen könnte.

In Elon Musks Fabrik wird unter enormem Druck gearbeitet. Die “Stückzahlen” müssen erreicht werden, Zeit ist Geld!

Und da auch Tesla mit dem Fachkräftemangel konfrontiert ist, werden durch Leiharbeit-Firmen angeheuerte Ungelernte nicht richtig eingearbeitet, oft ohne Sicherheitseinweisung an gefährliche Arbeitsplätze gelassen oder in verantwortliche Positionen geschoben, die eigentlich eine Fachausbildung erfordern. Zudem fehlt oft die angemessene Arbeitskleidung, Helme und Handschuhe sind nicht oder in mangelnder Qualität vorhanden, auch wenn die Arbeiter:innen scharfe Bauteile tragen müssen oder von der erst 2 Jahre alten Halle kleine Metallteile herunterfallen.

Überdurchschnittlich viele Arbeitsunfälle sind die Folge.

Die werden aber bei weitem nicht immer dem Amt für Arbeitsschutz gemeldet, das lediglich 3 Unfälle im Jahr 2022 verzeichnet hat und bei den 14-tägigen Kontrollen keinerlei Mängel feststellt.

Die Investigativ-Recherche kommt auch diesem Widerspruch auf die Spur, und erschreckenderweise arbeiten hier die Landesämter zugunsten der Fabrik, indem Kontrolleure genau ankündigen, wann und was genau sie anschauen werden. Wie in einem schlechten Film wird offenbar kurz vor der Kontrolle hochwertige Arbeitsschutz-Kleidung an die Mitarbeitenden ausgegeben, die nach dem Besuch gleich wieder eingesammelt wird, und natürlich dürfen alle in ihrem eigenen Tempo arbeiten und werden nicht permanent zur Eile getrieben.

Wer sich für weitere Details der Tesla-Arbeitswelt interessiert, dem sei dringend der gesamte Bericht des Stern empfohlen. Es ist alles dabei: Von rassistischen Verhaltensweisen gegenüber BiPoC-Menschen bis Kündigungen nach ärztlicher Krankmeldung, “Nachsitzen” am Samstag bei Nicht-Erfüllen der Stückzahlen bis Drohungen von “Konsequenzen”, wenn Mitarbeitende sich an die Presse wenden sollten.

Die Tesla Gigafactory stellt sicherlich keinen Einzelfall dar, auch in anderen Fabriken werden Arbeitnehmer:innen zu harter Arbeit unter wahrscheinlich zum Teil schweren Bedingungen eingestellt. Aber hier wird offenbar das Prinzip Ausbeutung - an Mensch und Natur - perfektioniert und Außendarstellung und Wirklichkeit klaffen extrem auseinander.

Susie und ich laufen die 100 Meter durch den Wald bis an die Bahngleise. Dahinter liegt das Tesla- Gelände, eine Sandwüste mit unzähligen silbernen Hallen, dazwischen Parkplätze, soweit ich das erkennen kann.

Direkt hinter dem Zaun parkt ein Auto. Ich nehme an, ein Tesla, aber ich hab’s nicht so mit Automarken. Das Kennzeichen macht mich stutzig, ich brauche 2 Sekunden, um es richtig zu lesen: “Sauron 09”. Im Ernst??

Elon Musk, der sich selber zum Retter der Menschheit gekürt hat, lässt auf die Nummernschilder seiner Security Leute den Namen des Oberschurken aus Herr der Ringe prägen?

Wir machen fleißig Fotos, bis einer der Insassen des Sauron 09 herausspringt und uns über die Distanz anschreit, wir sollten gefälligst nicht ihn und seinen Kollegen fotografieren. Wir beginnen zu lachen. Erst jetzt, da er ausgestiegen ist, können wir ihn ja überhaupt erkennen, vorher war er von spiegelnden Autoscheiben komplett verborgen.

Ich mache ein lustiges kleines Interview-Video mit Susie, dann gehen wir zurück ins Camp. Was für ein Kontrastprogramm.

Hier haben Dutzende engagierte Menschen unter gerade eher winterlichen Wetterverhältnissen eine solidarische Gemeinschaft aufgebaut, überall wird ein sorgsamer Umgang miteinander und mit der natürlichen Umgebung sichtbar. Mit einfachsten Mitteln wurden Wohn- und Schutzräume geschaffen, das selbst organisierte Zusammenleben scheint für alle gut zu funktionieren. Ich versuche mir vorzustellen, wie viel Arbeit dahinter steckt. In Berlin haben wir auch schon Klima-Camps aufgebaut, aber mitten in der Stadt können wir auf eine ganz andere Infrastruktur zurückgreifen, vor allem haben wir nie selbst Häuser gebaut.

Den Waldbesetzer:innen gebührt mein tiefer Respekt.

Im Gespräch mit Mara und Alex versuchen wir, Ansatzpunkte für mögliche Unterstützung zu konkretisieren.

Briefe an Abgeordnete und Minister schicken - eine niederschwellige Aktionsform.

Ganz praktisch: Sachspenden bringen, Nachtwachen übernehmen.

Auf unseren Kanälen den “Tag X”, den Tag der möglichen Räumung, vorbereiten und für Support mobilisieren.

Das Klima- Camp ab 8. Mai bewerben.

Die Gemeinderats-Sitzung in Potsdam am 16.5. besuchen und ordentlich Krach schlagen. Also verbal natürlich.

Prominente zu einem Besuch in der Waldbesetzung bewegen, damit die Presse mehr darüber berichtet.

Zu Hause in Berlin setze ich mich gleich daran, meine Erlebnisse und Gedanken festzuhalten, woraus dieser Text entstand. Schreiben, um Protest sichtbar zu machen! Das ist leider noch nicht so sehr viel, aber ein Anfang.

Was fällt dir ein, die du diesen Bericht bis zum Ende gelesen hast?

Auf welche Art und Weise können wir den Mächtigen noch die Stirn bieten? Dieser Wald - diese Welt ist zu schön und wertvoll, um sie von einigen durchgeknallten Narzissten zerstören zu lassen. Ich weiß, manchmal ist es verdammt schwer, nicht den Mut zu verlieren. Die Waldbesetzung in Grünheide inspiriert uns hoffentlich zu einem neuen Anlauf.

“It always seems impossible - until it’s done” - Nelson Mandela.




Quellen:

https://fragdenstaat.de/blog/2023/09/29/wie-deutsche-ministerien-tesla-hofieren/

https://www.deutschlandfunk.de/tesla-gruenheide-kritik-berechtigt-100.html

https://plus.rtl.de/podcast/stern-investigativ-inside-tesla-cmb3ez0cfmobt

https://www.swp.de/wirtschaft/tesla-gruenheide_-arbeitsunfaelle-und-braende-so-gefaehrlich-ist-die-gigafactory-wirklich-71835135.html

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